Keine Energiewende ohne Handwerker
Fachkräftemangel könnte den geplanten Ausbau des Solarstroms in Baden-Württemberg ausbremsen
- 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms soll bis 2030 aus erneuerbaren Energien generiert werden. Doch wie realistisch ist dieses Ziel? Für den Südwesten würde das allein bei Solarenergie den Bau von 150 Photovoltaikanlagen auf Hausdächern bedeuten – täglich. Doch die Fachkräfte, die sie installieren sollen, sind im Handwerk Mangelware.
Die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP plant eine Ausbau-Offensive für Wind- und Solarenergie. Dem Koalitionsvertrag zufolge soll Deutschland bis Ende des Jahrzehnts 80 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energien beziehen. Auch der Gebäudesektor soll demnach deutlich grüner werden – unter anderem dadurch, dass Solardächer künftig bei Privat-Neubauten zur Regel werden. In Baden-Württemberg ist das bereits beschlossene Sache, ab Mai 2022 gilt die Solardachpflicht für Wohnhäuser – ein Jahr später sollen dann auch Dachsanierungen von Altbauten unter diese Pflicht fallen.
Die Bau-Expertin Lamia MessariBecker hält die Pläne der Ampel-Parteien zum Ausbau erneuerbarer Energien im Gebäudesektor für schwer umsetzbar. Eine zentrale Hürde sei der Mangel an Fachkräften, sagt Messari-Becker. „Zigtausende neuer Solardächer stehen schon jetzt mangelnden Kapazitäten und einem eklatanten Fachkräftemangel im Baugewerbe gegenüber“, mahnte die Bauingenieurin, die seit Jahren die Bundesregierung berät. Die Bauwirtschaft sei „überaltert“, in den vergangenen Jahren seien viele Facharbeiter in Rente gegangen. Ohne langfristige Investitionen in Personal werde der ökologische Wandel im Gebäudesektor nicht gelingen, warnt die Expertin.
Aktuell sind in Deutschland Solarstromanlagen mit rund 60 Gigawatt Leistung installiert. Der Bedarf, um das 80-Prozent-Ziel der neuen Regierung
zu erreichen, wird vom Bund in einem Jahrzehnt auf 200 Gigawatt geschätzt. Auf das Land Baden-Württemberg entfielen nach Bevölkerung dabei rund zehn Prozent der Kapazität. Um bis Ende des Jahrzehnts diese 20 Gigawatt zu realisieren, müssten auf Hausdächern theoretisch täglich rund 150 kleine Photovoltaikanlagen errichtet werden, im Gewerbe sieben große Anlagen täglich und auf Freiflächen 75 Anlagen jährlich.
Das bedeute etwa eine Verdreifachung der derzeitigen Ausbauleistung, sagt Franz Pöter, Geschäftsführer der Plattform Erneuerbare Energien Baden-Württemberg, durch die Verbände und Organisationen der Energiewende im Südwesten gemeinsam den Umstieg auf eine nachhaltige Energieversorgung
vorantreiben. „Der Fachkräftemangel wird der Flaschenhals in der Energiewende sein“, sagt der Präsident der Handwerkskammer Ulm, Joachim Krimmer. Aktuell seien die Auftragsbücher der Handwerksbetriebe voll, was zur Folge hat, dass Kunden mindestens drei Monate bis zur Umsetzung ihrer Bauprojekte warten müssten. Nur rund ein Drittel von den Fachkräften im Handwerk, die aktuell in Rente gehen, könnten durch Neuzugänge, etwa durch Auszubildende, ersetzt werden. „Wir haben ein massives Nachwuchsproblem, viele Betriebe im Handwerk können Stellen nicht nachbesetzen und finden kaum Lehrlinge“, sagt Krimmer. Die Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg kennt die Problematik: „Wir haben permanent offene Stellen in den Berufen Dachdecker, Anlagenmechaniker und Elektriker. Auch die Lehrstellen für die entsprechenden Ausbildungen können wir nicht besetzen“, sagt Pressesprecher Walter Nägele. Gerade dies seien die Zukunftsberufe, die für die Energiewende im Sektor Solarstrom von Bedeutung seien. Allein im Landkreis Ravensburg gibt es laut der Agentur für Arbeit 34 offene Stellen für Anlagenmechaniker Heizung, Sanitär und Klima sowie 26 offene Stellen für Elektriker.
Der gelernte Heizungsbauer Joachim Krimmer, der gemeinsam mit seinem Sohn einen Handwerksbetrieb in Leutkirch im Allgäu betreibt, richtet einen dringenden Appell an die Politik: „Berufliche und akademische Bildung müssen als gleichwertig anerkannt werden“, fordert er. Für die Aus- und Weiterbildung brauche es vom Land mehr Unterstützung für die überbetrieblichen Bildungsstätten, denen deutlich weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen würden, als den Universitäten und Hochschulen.
Dass das beherrschende Thema der Zukunft der Fachkräftebedarf im Handwerk sein wird, ist kein Geheimnis. „Natürlich gibt es einen Fachkräftemangel im Handwerk – mit mehr Personal könnten die Betriebe mehr Aufträge annehmen und diese schneller abschließen. Aber wenn Projekte entsprechend geplant sind, dann gelingt auch der Ausbau der Solarenergie“, sagt Marion Buchheit, Pressesprecherin des BadenWürttembergischen Handwerkstags. Sie empfiehlt Bauherren, die Handwerksbetriebe frühzeitig einzubeziehen, denn es sei „immer gut, die entsprechenden Betriebe von Anfang an mit ins Boot zu holen“.
Der von Bund und Ländern angepeilte Ausbau von Solarenergie im Gebäudesektor wird aber nicht als unmöglich eingestuft. Allerdings müssten hierfür die Rahmenbedingungen angepasst werden, sagt Franz Pöter. „Es darf nicht nur auf die Pflicht gesetzt werden, wir brauchen das Engagement der Bürger, die sich freiwillig eine Photovoltaikanlage aufs Dach bauen lassen.“
Ein Problem seien laut Pöter beispielsweise die sinkenden Einspeisevergütungen für Anlagenbesitzer, die dazu führten, dass die Zeiten, bis sich eine Solarstromanlage amortisiert, immer länger wurden. An dieser Stelle fehle die Investitionssicherheit für Verbraucher, die sich auch im Bausektor bemerkbar mache – viele Dachdecker-, Elektround Klimabetriebe seien aufgrund unsicherer Zukunftsaussichten in der Vergangenheit ausgestiegen. Deshalb müsse die Einspeisevergütung flexibel angepasst werden.