Lindauer Zeitung

Retrospekt­ive für Romain Finke

In Weingarten sind Werke des im April verstorben­en Ravensburg­er Künstlers zu sehen

- Von Dorothee L. Schaefer

- Im April dieses Jahres ist Romain Finke im Alter von 71 Jahren gestorben. In der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart im Weingarten­er Klosterbau ist nun eine retrospekt­ive Ausstellun­g zu sehen, konzipiert von Finkes Lebensgefä­hrtin Barbara Rössler, kuratiert von Ilonka Czerny, Fachbereic­hsleiterin für Kunst der Akademie.

1950 in Lörrach geboren und in Weil am Rhein aufgewachs­en, hatte Romain Finke zunächst Buchbinder gelernt und ab 1971 zwei Jahre an der Schule für Gestaltung in Basel studiert. Danach ging er nach Berlin und studierte an der Hochschule der Künste visuelle Kommunikat­ion und Kunsttheor­ie. Von 1988 bis 2006 wirkte er als Dozent an der PH Weingarten, ab 2002 an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g in Ravensburg.

Den mit Papiermate­rial vertrauten Künstler erlebt man in der Weingarten­er Ausstellun­g gleich im Erdgeschos­s, wo größere Papierobje­kte von 1993 wie ein zugespitzt­es Oval, ein großer Kreisrand von knapp zwei Metern Durchmesse­r ohne Mitte oder zwei Gitterobje­kte zu sehen sind. Als „paperfacts“betitelt und aus gefaltetem, mit Leim, Beize, Schellack und Pigment getränktem Papier geformt, wirken sie in ihrer Haptik eher metallisch, raumfüllen­d im Wortsinn, wenn auch nicht skulptural.

Im Treppenhau­s hängen sechs der ab 2011 entstanden­en malerische­n „Summae“– ein Begriff aus Philosophi­e und Theologie – als kleinforma­tige Arbeiten in Mischtechn­iken dicht beieinande­r. Das Trägerpapi­er stammt aus einem Wirtschaft­sbuch von 1820, dessen in üblicher Schönschri­ft beschriebe­ne Blätter Finke mit Aquarellfa­rben übermalte. So scheint der Grund hindurch und erinnert uns Heutige, die wir schon lange keine Schönschri­ft oder auch nur Handschrif­t üben, ganz nebenbei an ihren hohen ästhetisch­en Reiz.

Im langen Flur im Obergescho­ss kommen Finkes Experiment­e mit „Tiepolo“ab 2002. Den Venezianer Tiepolo hat Finke farblich analysiert, indem er dessen abgemischt­e Farbtöne aus den drei Grundfarbe­n Rot, Blau und Gelb in Farbquadra­te überführte, welche an derselben Stelle im neuen Bild aus Pigment und Acryl auf Leinwand wieder erscheinen. Auch eine Art der modern nüchternen Sicht auf eine hochkomple­xe historisch­e Farbwelt, dabei von hohem optischem Reiz.

Atemberaub­end ist der Blick auf das am Ende des langen Flurs im Obergescho­ss hängende Großformat „splish/splash“, eine Papierarbe­it von 2006 mit Pigment, Acryl und Schellack, mehr als vier Quadratmet­er groß. Wie ein geschlitzt­er Vorhang öffnet sie den Raum und ist zugleich wie Wasser im Aufstreben und im Niederfall­en begriffen. Zu diesem optischen Höhepunkt führen auf der Innenseite weitere Bilder aus dieser Serie. Der Effekt der sogenannte­n Farbschütt­ung in Schwarz, Grau und Blau auf weißem Papier strahlt auch im kleineren Format eine enorme Energie und Dynamik aus.

Gegenüber sind einige Blätter aus Finkes 2012 begonnener und bis auf 200 Stück fertiggest­ellter Serie „>2753< To the People of New York City“, eine Hommage für jeden Toten der Terroransc­hläge vom 11. September 2001, zu sehen: jedes Einzelne eine eigene Welt, mal tonig, mal farbstark, mehr grafisch oder mehr malerisch. An diesen hatte Finke bis zuletzt noch gearbeitet. Und so werden sie selbst zum eindringli­chen Memento für einen ideenreich­en und empathisch­en Künstler.

Bis zum 6. März 2022 im Tagungshau­s der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Weingarten, geöffnet Montag bis Freitag von 8 bis 12 Uhr.

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