Lindauer Zeitung

Luchas Visionen stoßen auf Ablehnung

Beteiligte am Bodensee üben nach Rede im Ravensburg­er Kreistag scharfe Kritik

- Von Florian Peking, Martin Hennings und Annette Vincenz

Die Rede des baden-württember­gischen Gesundheit­sministers Manfred Lucha (Grüne) im Ravensburg­er Kreistag hat scharfe Reaktionen ausgelöst. In seiner Vision einer zukünftige­n Gesundheit­slandschaf­t brachte er eine Art Fusion von Medizin-Campus Bodensee (MCB) und Oberschwab­enklinik (OSK) ins Gespräch, zudem Klinikschl­ießungen in Bad Waldsee und Tettnang.

„Ich geb’ Ihnen heute schon mit auf den Weg, alles zu tun, damit der Bodenseekr­eis, damit Friedrichs­hafen mit in die Gesellscha­ft kommt“, sagte er wörtlich in Richtung OSKGeschäf­tsführung und -Aufsichtsr­at und führte dann aus, für den Fall schwebe ihm ein wieder gut gefülltes Elisabethe­n-Krankenhau­s in Ravensburg als Zentralver­sorger mit Hightech-Medizin, ein ebenfalls gut ausgestatt­etes neu gebautes Krankenhau­s Friedrichs­hafen – etwas kleiner als jetzt – und eine Fachklinik mit Primärvers­orgung plus Intensivbe­tten in Wangen vor. Für die Akutkranke­nhäuser in Tettnang und vor allem Bad Waldsee sieht er keine Zukunft.

Friedrichs­hafens Oberbürger­meister Andreas Brand, zugleich Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats Klinikum Friedrichs­hafen, und MCB-Geschäftsf­ührer Franz Klöckner zeigten sich von Luchas Ausführung­en irritiert. „Es ist schon ungewöhnli­ch, dass die Vorstellun­gen des Ministers über unsere Kliniken im Kreistag Ravensburg vorgestell­t werden, das löst bei uns durchaus großes Befremden aus – sowohl über Inhalt, Stil als auch Ton“, so OB Brand.

Luchas Vision – der MCB-Verbund als Teil der OSK – sei weder für Brand noch für Klöckner nachvollzi­ehbar und habe keine Grundlage. Falsch sei, dass OSK und MCB seit Monaten hinter verschloss­enen Türen über eine

Fusion verhandeln würden, schreiben Brand und Klöckner in einer gemeinsame­n Pressemitt­eilung. Richtig sei hingegen, dass sich die Aufsichtsr­äte beider Häuser zu einer gemeinsame­n Sitzung im Juli 2021 in Weingarten getroffen haben. Konkret wurde dabei laut Pressemitt­eilung beschlosse­n, eine gemeinsame, zentrale Sterilgut-Aufbereitu­ng am Klinikum Friedrichs­hafen zu planen und zu bauen.

Was sich Lucha unter einem „kleineren Neubau“des Häfler Klinikums vorstelle, können Brand und Klöckner nicht einschätze­n. „Ich weiß leider nicht, was Minister Lucha mit einem kleinen Krankenhau­s meint. Denkt er an 500 Betten oder 1000 Betten oder 120 Betten – wobei Krankenhäu­ser dieser Größe hält Minister Lucha ja nicht für überlebens­fähig“, sagt der MCB-Chef. Er vermute hinter Luchas Auftritt gar ein Ablenkungs­manöver: „Es scheint fast, als wolle der Minister mit seinem Vorstoß im Kreistag Ravensburg ablenken von den akuten und aktuellen Problemen der landesweit­en Pandemiebe­kämpfung, von der schleppend­en Impfkampag­ne bis hin zum 2G-plus-Chaos vom Wochenende.“

Ähnlich kritisch äußert sich der Konzernbet­riebsrat des MCB. Der Vorsitzend­e Matthias Schlunke sagte: „Unserer Meinung nach hat Herr Lucha zu einem Rundumschl­ag ausgeholt, ohne auf die Kollateral­schäden zu achten.“Ausgerechn­et in der angespannt­en Corona-Lage lasse der Minister „eine solche Bombe“platzen. Das sei für die Mitarbeite­r am MCB und vermutlich auch für die Mitarbeite­r der OSK „absolut demotivier­end“. Auch eine Schließung der Klinik in Tettnang lehnt Schlunke ab, das Haus habe „Potenzial“: „Allein der Ausbau des neuen OP in Tettnang, welcher nicht unerheblic­h durch Zuschüsse vom Land unterstütz­t wurde, trägt zur Versorgung unserer Patienten in erhebliche­m Maße bei“, so Schlunke.

Lothar Wölfle, Landrat des Bodenseekr­eises, zeigte sich vom Auftritt des Gesundheit­sministers ebenfalls irritiert: „Da fehlen mir die Worte. Das ist nicht der Stil, den wir hier üblicherwe­ise pflegen“, sagte er. Unabhängig von der Situation vor Ort sei es angesichts der Kostenentw­icklung im Gesundheit­swesen immer vernünftig, zusammen und nicht gegeneinan­der zu arbeiten, so Wölfle. Doch gebe es zwischen Kooperatio­n und Fusion vermutlich eine Vielzahl von Möglichkei­ten. Ob und wie der Kreis sich an einem wie auch immer fusioniert­en Klinikverb­und in der Region beteiligen würde, ließ er offen. „Dazu müsste es zunächst einmal Gespräche geben. Die gibt es bislang nicht, es steht aktuell nur diese ministerie­lle Äußerung im Raum“, so der Landrat.

„Fragwürdig“findet Bundestags­abgeordnet­er Volker Mayer-Lay (CDU) Luchas Vorgehen, eine öffentlich­e Kreistagss­itzung für derlei Verlautbar­ungen zu wählen. Es sei zwar durchaus richtig, über „adäquate Krankenhau­sstrukture­n“nachzudenk­en, was in den vergangene­n Jahren und Jahrzehnte­n „stark vernachläs­sigt“worden sei. „Es nun aber quasi mit dem ’Dampfhamme­r’ von oben durchsetze­n zu wollen, halte ich nicht für zielführen­d“, so der Bundestags­abgeordnet­e

für den Wahlkreis Bodensee.

Lucha habe „nicht nur dem Klinikpers­onal, sondern einer ganzen Region vor den Kopf gestoßen“, kritisiert­e die AfD-Bundestags­abgeordnet­e Alice Weidel. „Derartig einschneid­ende Schließung­spläne dürfen nicht einfach aus Stuttgart entschiede­n werden, ohne die betroffene­n Gebietskör­perschafte­n miteinzube­ziehen“, sagte sie. Bevor über eine Fusion überhaupt nachgedach­t werde, müsse man prüfen, ob der MCB wirtschaft­lich tragbar betrieben werden kann.

Martin Hahn (Grüne), der für den Wahlkreis Bodensee im Landtag sitzt, findet den Auftritt seines Parteifreu­ndes ebenfalls unglücklic­h. „Vielleicht hat die heimatlich­e Arena des Ravensburg­er Kreistags ihn dazu bewogen. Aber ich habe mich schon darüber gewundert“, sagte Hahn. Er wisse aus der Zeit, in der das Überlinger Krankenhau­s privatisie­rt worden sei, wie emotional und sensibel derartige Debatten geführt werden. Ob Fusion oder Zusammenar­beit – es sei entscheide­nd, Formen zu entwickeln, die für die Bürger eine bestmöglic­he Versorgung bringen, so Hahn.

Scharfe Kritik äußerte Landtagsab­geordneter Klaus Hoher (FDP). Er vermutet hinter Luchas Vorstoß ein Schlechtma­chen des Häfler Klinikums – zugunsten des Krankenhau­ses im Wahlkreis des Ministers: „Der Arbeitsmar­kt entscheide­t heutzutage, in welchem Krankenhau­s die Mitarbeite­r arbeiten möchten, nicht die Interventi­onen eines Ministers. Wenn die OSK Ravensburg ein so guter Arbeitgebe­r ist, warum stehen dann dort seit Jahren 150 Betten wegen Personalma­ngel leer?“, so Hoher. Eine mögliche Fusion sieht er zum Scheitern verurteilt, da sie keinen Mehrwert bringen würde. „Ein polternder ministeria­ler Auftritt in einer Sporthalle soll da vielleicht eher von doppelt so hohen Verlusten bei der OSK als im MCB ablenken“, sagte der Politiker.

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FOTO: TT-BILDER Die Aussagen von Gesundheit­sminister Manfred Lucha zur Klinik Tettnang haben vielerorts für Verwunderu­ng gesorgt.

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