Überall seinen Senf dazuzugeben, ist keine gute Idee
Das Gewächs spielt seit Jahrhunderten eine Rolle als Heil- und Würzmittel
(KNA) - Wahlkampfzeit, Redezeit. Bei manchem Vielsprecher fragt man sich schon: Muss der denn überall seinen Senf dazugeben? Eine eigentümliche Redensart – die aber durchaus ihren Sitz im Leben hat. Wer überall seinen Senf dazugibt, hat zu allem eine Meinung oder mischt sich gar ungefragt in Dinge ein, die ihn nichts angehen. Als die Redewendung im 17. Jahrhundert aufkam, hatte sie wirklich noch mit echtem Senf zu tun. Früher war Senf noch nicht streichfähig, sondern kam flüssig aus der Kanne; so konnte jeder „seinen Senf dazugeben“. Und zwar offenbar nicht nur zu Würstchen und Speck, sondern auch zu süßen Speisen wie Keksen oder sogar Kuchen.
Senf ist eine uralte Kulturpflanze aus dem Mittelmeergebiet, mit lappigen Blättern und hellgelben, wohlriechenden Blüten. In Schoten wachsen – heute vor allem in Kanada und Schweden – die kugelrunden, zwei Millimeter kleinen Samen: die Senfkörner. Je nach Rezeptur werden Senfmehl, Essig, Kochsalz und Gewürze zu einem dickflüssigen gelben Brei vermengt.
Schon die Bibel nennt den Senf beim Namen. Die Evangelien zielen auf den Unterschied zwischen diesem kleinsten aller Samenkörner und der späteren Senfpflanze ab, die größer wird als alle anderen Gewächse: „Einmal gesät, geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können“, heißt es etwa beim Evangelisten Markus.
Tatsächlich kann die einjährige, weit verzweigte Staude des Rautensenfs in Palästina bis zu drei Meter hoch werden. Die jüdischen Weisen empfahlen für den Vorabend des Sabbat den Genuss von Rautensenf, um die Liebe zu mehren und Eifersucht zu vertreiben. Senf – Aphrodisiakum und Narkotikum zugleich?
Auch in der griechischen und römischen Antike war „sinapis“als Würz- und Heilmittel verbreitet.
Schon Pythagoras (6. Jahrhundert v. Chr.) meinte zu erkennen, dass Senf nicht nur die Mahlzeit, sondern auch den Verstand schärfe. Anbauvorschriften sind von Theophrast und Palladius Rutilius überliefert; auch im berühmten Kochbuch des Apicius ist der „sinapis“erwähnt.
Die Germanen lernten die Bereitung und Anwendung von Senf von den Römern kennen. Das „capitulare de villis“, die Landgüterordnung Karls des Großen, empfahl Ende des 8. Jahrhunderts den Anbau von „sinapis“. Und bei Hildegard von Bingen ist zu lesen, dass in ihrer Zeit nicht nur die verarbeiteten Senfkörner, sondern auch die Blätter als Gemüse gegessen wurden.
Voll im Trend lag, wer die Liebe unter dem Fenster seiner Angebeteten nicht nur durch Minneworte, sondern auch mit Senfkörnern säte. Da diese so schnell keimten, war der Name der Umworbenen – mit ein bisschen Glück – schon nach wenigen Tagen in frischem Grün zu lesen.
Und hier stoßen wir – diesmal im christlichen Milieu – auch wieder auf die These vom Senf als Aphrodisiakum. Bei den Mönchen fürchtete man, so die Mär, dass Pfeffer und scharfe Gewürze die Sinne anregen. Nach dem Motto „Salat ist gut für Zölibat“suchten die Klöster ihr Heil daher eher in milden Speisen. Der Erfolg solcher Maßnahmen wird seit jeher diskutiert.
Wenig umstritten ist die Wirkung von Senf als Heilmittel. Schon im Mittelalter waren die medizinischen Einsatzmöglichkeiten von Senfsamen vielfältig. Das Senfpflaster etwa sollte Eiter und Hautunreinheiten entfernen; zur inneren Anwendung diente Senf bei Erkrankungen der Atemwege, von Milz und Harnwegen.
Das Gesundheitsbuch des Arztes Mattoli von 1563 empfiehlt ihn in höchsten Tönen: „Senff-sinapi in der speiss genossen ist gutt dem magen, zerteylt die groben speiss und verzeret die überflüssige Feuchtigkeit darinnen, fördert den Harn und die frawenzeit, reumpt die Brust, macht wohl ausräuspern.“
Und noch mehr senftherapeutische Bioratschläge: Gegen Rheuma helfe statt chemischer Keulen ein Teelöffel Senfkörner, über einige Wochen morgens unzerkaut eingenommen: „Die platzen in den Därmen und entgiften den ganzen Körper.“Oder bei Grippe das viktorianische Senfbad: Senfkörner in heißes Wasser geben, das die ätherischen Öle freisetzt; beim Zubettgehen, so heißt es, schwitzt man dann das Fieber aus.
Senf – für den Franzosen ist das Wort mit einem Ort verbunden: Dijon. Schon im 13. Jahrhundert erhielt die Stadt in Burgund das Monopol zur Senfherstellung – und ist bis heute die Senfhauptstadt schlechthin.
Der Dijoner Senf wird aus braunen und schwarzen Senfkörnern hergestellt, deren Schalen nach dem Zermahlen abgesiebt werden. Das verleiht ihm seine helle Farbe. Und noch ein feiner Unterschied zum dunklen deutschen Endprodukt: In Dijon wird das Senfmehl nicht mit Essig angerührt, sondern mit dem Saft unreifer Trauben, lateinisch „mustum ardens“, Most, genannt. Der französische Begriff „moutarde“hielt dann in Deutschland als Mostrich oder Mostert Einzug.
Über Jahrhunderte blieb Dijon unangefochten – ehe 1726 im rheinischen Düsseldorf die erste deutsche Senffabrik gegründet wurde. Ihre Spezialität war ein scharfer dunkler Senf, der als „Ächter Düsseldorfer Mosterd“international Karriere machte. Otto und Frieda Frenzel aus Lothringen schließlich führten die Dijoner und die Düsseldorfer Tradition zusammen. Nach dem Ersten Weltkrieg aus ihrer Heimat vertrieben, brachten sie als Außenseiter am Rhein den hellen Senf nach Dijoner Art auf den deutschen Markt: den „Löwensenf “, heute als industriell gefertigtes Kultprodukt in deutschen Supermarktregalen.
Das natürliche Vorkommen des Senfs ist natürlich nicht die Tube, wie der naturentwöhnte Städter denken könnte. Es steckt schon eine Menge Arbeit drin – vor allem, wenn man ihn handwerklich herstellt wie im kleinen Eifelstädtchen Monschau. In der dortigen Senfmühle laufen drei breite Lederriemen über die Winden und treiben die beiden Mühlsteine an. Unter ohrenbetäubendem Krach beginnen die Mühlräder zu eiern.
Durch die kalte Mahlung – industriell gefertigter Senf wird beim Mahlen erhitzt – bleiben alle ätherischen Öle und damit die natürliche Schärfe erhalten. Beim Reiben werden die Kohlehydrate frei und der frische, gelbe Senf läuft in Strömen. Manch einer soll schon für einen guten Senf auf das Würstchen verzichtet haben. Und mancher gibt eben überall seinen Senf dazu.