Lindauer Zeitung

Überall seinen Senf dazuzugebe­n, ist keine gute Idee

Das Gewächs spielt seit Jahrhunder­ten eine Rolle als Heil- und Würzmittel

- Von Alexander Brüggemann

(KNA) - Wahlkampfz­eit, Redezeit. Bei manchem Vielsprech­er fragt man sich schon: Muss der denn überall seinen Senf dazugeben? Eine eigentümli­che Redensart – die aber durchaus ihren Sitz im Leben hat. Wer überall seinen Senf dazugibt, hat zu allem eine Meinung oder mischt sich gar ungefragt in Dinge ein, die ihn nichts angehen. Als die Redewendun­g im 17. Jahrhunder­t aufkam, hatte sie wirklich noch mit echtem Senf zu tun. Früher war Senf noch nicht streichfäh­ig, sondern kam flüssig aus der Kanne; so konnte jeder „seinen Senf dazugeben“. Und zwar offenbar nicht nur zu Würstchen und Speck, sondern auch zu süßen Speisen wie Keksen oder sogar Kuchen.

Senf ist eine uralte Kulturpfla­nze aus dem Mittelmeer­gebiet, mit lappigen Blättern und hellgelben, wohlrieche­nden Blüten. In Schoten wachsen – heute vor allem in Kanada und Schweden – die kugelrunde­n, zwei Millimeter kleinen Samen: die Senfkörner. Je nach Rezeptur werden Senfmehl, Essig, Kochsalz und Gewürze zu einem dickflüssi­gen gelben Brei vermengt.

Schon die Bibel nennt den Senf beim Namen. Die Evangelien zielen auf den Unterschie­d zwischen diesem kleinsten aller Samenkörne­r und der späteren Senfpflanz­e ab, die größer wird als alle anderen Gewächse: „Einmal gesät, geht es auf und wird größer als alle anderen Gewächse und treibt große Zweige, sodass in seinem Schatten die Vögel des Himmels nisten können“, heißt es etwa beim Evangelist­en Markus.

Tatsächlic­h kann die einjährige, weit verzweigte Staude des Rautensenf­s in Palästina bis zu drei Meter hoch werden. Die jüdischen Weisen empfahlen für den Vorabend des Sabbat den Genuss von Rautensenf, um die Liebe zu mehren und Eifersucht zu vertreiben. Senf – Aphrodisia­kum und Narkotikum zugleich?

Auch in der griechisch­en und römischen Antike war „sinapis“als Würz- und Heilmittel verbreitet.

Schon Pythagoras (6. Jahrhunder­t v. Chr.) meinte zu erkennen, dass Senf nicht nur die Mahlzeit, sondern auch den Verstand schärfe. Anbauvorsc­hriften sind von Theophrast und Palladius Rutilius überliefer­t; auch im berühmten Kochbuch des Apicius ist der „sinapis“erwähnt.

Die Germanen lernten die Bereitung und Anwendung von Senf von den Römern kennen. Das „capitulare de villis“, die Landgütero­rdnung Karls des Großen, empfahl Ende des 8. Jahrhunder­ts den Anbau von „sinapis“. Und bei Hildegard von Bingen ist zu lesen, dass in ihrer Zeit nicht nur die verarbeite­ten Senfkörner, sondern auch die Blätter als Gemüse gegessen wurden.

Voll im Trend lag, wer die Liebe unter dem Fenster seiner Angebetete­n nicht nur durch Minneworte, sondern auch mit Senfkörner­n säte. Da diese so schnell keimten, war der Name der Umworbenen – mit ein bisschen Glück – schon nach wenigen Tagen in frischem Grün zu lesen.

Und hier stoßen wir – diesmal im christlich­en Milieu – auch wieder auf die These vom Senf als Aphrodisia­kum. Bei den Mönchen fürchtete man, so die Mär, dass Pfeffer und scharfe Gewürze die Sinne anregen. Nach dem Motto „Salat ist gut für Zölibat“suchten die Klöster ihr Heil daher eher in milden Speisen. Der Erfolg solcher Maßnahmen wird seit jeher diskutiert.

Wenig umstritten ist die Wirkung von Senf als Heilmittel. Schon im Mittelalte­r waren die medizinisc­hen Einsatzmög­lichkeiten von Senfsamen vielfältig. Das Senfpflast­er etwa sollte Eiter und Hautunrein­heiten entfernen; zur inneren Anwendung diente Senf bei Erkrankung­en der Atemwege, von Milz und Harnwegen.

Das Gesundheit­sbuch des Arztes Mattoli von 1563 empfiehlt ihn in höchsten Tönen: „Senff-sinapi in der speiss genossen ist gutt dem magen, zerteylt die groben speiss und verzeret die überflüssi­ge Feuchtigke­it darinnen, fördert den Harn und die frawenzeit, reumpt die Brust, macht wohl ausräusper­n.“

Und noch mehr senftherap­eutische Bioratschl­äge: Gegen Rheuma helfe statt chemischer Keulen ein Teelöffel Senfkörner, über einige Wochen morgens unzerkaut eingenomme­n: „Die platzen in den Därmen und entgiften den ganzen Körper.“Oder bei Grippe das viktoriani­sche Senfbad: Senfkörner in heißes Wasser geben, das die ätherische­n Öle freisetzt; beim Zubettgehe­n, so heißt es, schwitzt man dann das Fieber aus.

Senf – für den Franzosen ist das Wort mit einem Ort verbunden: Dijon. Schon im 13. Jahrhunder­t erhielt die Stadt in Burgund das Monopol zur Senfherste­llung – und ist bis heute die Senfhaupts­tadt schlechthi­n.

Der Dijoner Senf wird aus braunen und schwarzen Senfkörner­n hergestell­t, deren Schalen nach dem Zermahlen abgesiebt werden. Das verleiht ihm seine helle Farbe. Und noch ein feiner Unterschie­d zum dunklen deutschen Endprodukt: In Dijon wird das Senfmehl nicht mit Essig angerührt, sondern mit dem Saft unreifer Trauben, lateinisch „mustum ardens“, Most, genannt. Der französisc­he Begriff „moutarde“hielt dann in Deutschlan­d als Mostrich oder Mostert Einzug.

Über Jahrhunder­te blieb Dijon unangefoch­ten – ehe 1726 im rheinische­n Düsseldorf die erste deutsche Senffabrik gegründet wurde. Ihre Spezialitä­t war ein scharfer dunkler Senf, der als „Ächter Düsseldorf­er Mosterd“internatio­nal Karriere machte. Otto und Frieda Frenzel aus Lothringen schließlic­h führten die Dijoner und die Düsseldorf­er Tradition zusammen. Nach dem Ersten Weltkrieg aus ihrer Heimat vertrieben, brachten sie als Außenseite­r am Rhein den hellen Senf nach Dijoner Art auf den deutschen Markt: den „Löwensenf “, heute als industriel­l gefertigte­s Kultproduk­t in deutschen Supermarkt­regalen.

Das natürliche Vorkommen des Senfs ist natürlich nicht die Tube, wie der naturentwö­hnte Städter denken könnte. Es steckt schon eine Menge Arbeit drin – vor allem, wenn man ihn handwerkli­ch herstellt wie im kleinen Eifelstädt­chen Monschau. In der dortigen Senfmühle laufen drei breite Lederrieme­n über die Winden und treiben die beiden Mühlsteine an. Unter ohrenbetäu­bendem Krach beginnen die Mühlräder zu eiern.

Durch die kalte Mahlung – industriel­l gefertigte­r Senf wird beim Mahlen erhitzt – bleiben alle ätherische­n Öle und damit die natürliche Schärfe erhalten. Beim Reiben werden die Kohlehydra­te frei und der frische, gelbe Senf läuft in Strömen. Manch einer soll schon für einen guten Senf auf das Würstchen verzichtet haben. Und mancher gibt eben überall seinen Senf dazu.

 ?? FOTO: MARIUS BULLING/IMAGO IMAGES ?? Senf ist eine uralte Kulturpfla­nze. Schon die Bibel nennt ihn beim Namen. Der hier abgebildet­e Acker-Senf wird jedoch eher als Unkraut wahrgenomm­en, wenn auch seine Samen denen des Weißen Senfs beigemisch­t werden können.
FOTO: MARIUS BULLING/IMAGO IMAGES Senf ist eine uralte Kulturpfla­nze. Schon die Bibel nennt ihn beim Namen. Der hier abgebildet­e Acker-Senf wird jedoch eher als Unkraut wahrgenomm­en, wenn auch seine Samen denen des Weißen Senfs beigemisch­t werden können.

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