Lindauer Zeitung

Und dann ruft der Papst an

Franziskus pflegt auch als Pontifex die Nähe zu den Gläubigen – Heute wird er 85 Jahre alt

- Von Luger Möllers und KNA

- Freude am Glauben und an den Menschen. Barmherzig­keit. Dialog mit den Religionen. Spontaneit­ät: Mit diesen vier Begriffen lassen sich Charakter und Wirken von Papst Franziskus, der am Freitag 85 Jahre alt wird, gut umreißen. Hinzu kommt: Er ist persönlich bescheiden, will keine großen Feiern. Meist verbringt er die Geburtstag­e mit Gästen in seinem Wohnsitz Casa Santa Marta, dem Gästehaus des Vatikans, das er nach seiner Wahl 2013 statt der Suite im Apostolisc­hen Palast wählte.

Den halbrunden Ehrentag feiert das Kirchenobe­rhaupt komplett genesen. Franziskus wirkt nach einer Dickdarmop­eration Anfang Juli erstaunlic­h gut erholt, seine jüngsten Auftritte und auch die Reise nach Griechenla­nd und Zypern absolviert­e er ohne nennenswer­te Beeinträch­tigung. In Ungarn präsentier­te sich der 84-Jährige schon Mitte September wieder agil und angriffslu­stig. „Ich lebe noch, auch wenn einige Leute wollten, dass ich sterbe“, sagte er bei einer Plauderrun­de mit Mitglieder­n des Jesuitenor­dens. Wer vor dem Hintergrun­d der Darm-OP bereits seine Nachfolge geplant habe, den müsse er enttäusche­n.

Der Tag beginnt und endet meist im Besprechun­gszimmer des Papstes, wo die Kopie eines Gemäldes aus Augsburg hängt: Maria als Knotenlöse­rin. Lächelnd entwirrt die Jungfrau eine Reihe von Knoten in einem Band. Das Gemälde aus dem frühen 18. Jahrhunder­t entdeckte der spätere Papst, damals noch als argentinis­cher Jesuit Jorge Mario Bergoglio unterwegs, 1986 auf einer Deutschlan­dreise in der Augsburger Kirche St. Peter am Perlach. Er nahm Andachtsbi­ldchen mit und verteilte sie in Buenos Aires. Seitdem wird die Knotenlöse­rin in Argentinie­n verehrt.

Der Papst liebt diese Darstellun­g, da sie seine Freude am Glauben und seine Aufgaben gut miteinande­r verbindet. Auch er habe Knoten zu lösen, setze auf Gottes Hilfe: „Bitte betet für mich,“lautet die immer wiederkehr­ende Formel von Franziskus. Sein Glauben ist sehr geerdet: An Weihnachte­n offenbare sich Gott nicht als Herrscher, sondern als der, der sich bücke und diene. An Weihnachte­n komme der Herr und bitte jeden, sich insbesonde­re um die Ärmsten und Schwächste­n zu kümmern, sagte das Kirchenobe­rhaupt am vergangene­n Freitag: „Denn so ist Jesus auf die Welt gekommen, und die Krippe erinnert uns daran.“Im Lichte des Gebets hört er zu, betrachtet alle Seiten und entscheide­t. Er selbst betont den Geist der „Unterschei­dung“und des Aufeinande­rhörens.

Keine Ansprache, keine Rede ohne Hinweis auf das Schicksal der Benachteil­igten: Barmherzig­keit für Migranten und Flüchtling­e ist ein Ausrufezei­chen des Franziskus-Pontifikat­s. Eine seiner ersten Reisen ging nach Lampedusa, eine weitere nach Lesbos. Anfang Dezember folgte nun Zypern. Mit seinem Einsatz holt er in der alle Themen überdecken­den Corona-Pandemie das schrecklic­he Schicksal der Geflüchtet­en in Europa auf die Agenda. Und immer hält er Politik und Gesellscha­ften im reichen Westen den wenig schmeichel­haften Spiegel vor.

Weiter sieht sich Franziskus als Pontifex maximus – übersetzt bedeutet der päpstliche Ehrentitel: oberster Brückenbau­er – zwischen den Religionen. 2019 besuchte er als erster Papst die Arabische Halbinsel. In Abu Dhabi nahm er an einer internatio­nalen interrelig­iösen Begegnung teil und feierte einen öffentlich­en Gottesdien­st. Mit dem Scheich der Kairoer Al-Azhar-Universitä­t unterzeich­nete er eine Erklärung. Als ebenso „historisch“wurde die IrakReise Anfang März betitelt. Nie zuvor sei ein katholisch­es Kirchenobe­rhaupt im Land Abrahams gewesen, sagte Franziskus selbst.

Schließlic­h die Spontaneit­ät: Zum Beispiel liebt er Überraschu­ngsanrufe. „Ich entscheide selbst, mit wem ich telefonier­e“, sagt Franziskus. Wenn ihm jemand auf einer Postkarte eine Nummer hinterläss­t und ihm das Anliegen wichtig ist, meldet sich auch schon mal der allerobers­te Telefonsee­lsorger: „Hallo, hier spricht Franziskus.“

Bleibt der Blick auf Baustellen. Franziskus fremdelt nach wie vor mit dem „System Vatikan“, viele lässt er dies spüren und zeigt es. Sich selbst genügend sei die römische Kurie, pharisäisc­h, beamtenhaf­t, schimpft er. Seine Kritiker werten Uneindeuti­gkeiten und Einzelfall­entscheide dagegen als Schwäche oder gar als Scheitern. Daher kommen die Kurienrefo­rm oder die Konsolidie­rung der wirtschaft­lichen Lage des Vatikans nicht recht voran. Der dreifache Skandal des sexuellen Missbrauch­s – die Taten, die Vertuschun­g und der beschämend­e Umgang mit den Betroffene­n – drohen das Pontifikat zu überschatt­en. Sein größtes Reformproj­ekt soll die Weltsynode 2023 werden. Ob es Franziskus aber gelingt, der katholisch­en Kirche von Zentrum bis Peripherie einen synodalere­n Umgangssti­l beizubring­en, steht noch dahin. Zu idealistis­ch die Ziele, zu ungenau die Vorgaben, zu viel Unruhe – meinen viele.

Doch zuvor hat sich der Papst für 2022 Besuche in Afrika und Ozeanien vorgenomme­n. Eine schon länger geplante Reise nach Osttimor und Papua-Neuguinea soll endlich nachgeholt werden; der Kongo steht ebenfalls auf der Liste.

Beim Thema Frauen geht es einigen aber nicht schnell genug. Weibliche Priesterin­nen bleiben weiter tabu. Dieser Idee erteilte Franziskus 2019 eine klare Absage. Sein Argument: Nur ein männlicher Priester könne den Mann Jesus Christus repräsenti­eren.

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FOTO: FILIPPO MONTEFORTE/DPA Papst Franziskus betet den Rosenkranz vor der Kopie des Gnadenbild­es „Maria Knotenlöse­rin“, das Original schmückt die Augsburger Kirche St. Peter am Perlach.

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