Lindauer Zeitung

Mordaufruf­e per Telegram

Viele radikale Impfgegner und Rechtsextr­eme nutzen die App – Warum der Missbrauch des Dienstes schwer zu verhindern ist

- Von Claudia Kling

- Morddrohun­gen gegen Politiker, Aufrufe zur Gewalt, Verabredun­gen zu Demonstrat­ionen, bei denen gegen Corona-Auflagen verstoßen wird: All das funktionie­rt über den Messenger-Dienst Telegram reibungslo­s. Die Bundesregi­erung will dies nicht länger hinnehmen und hat ein härteres Vorgehen angekündig­t. Doch wie könnte das in der Praxis funktionie­ren und warum funktionie­rt es bislang nicht? Dazu die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Warum ist Telegram verstärkt in den Fokus gerückt?

Die Proteste gegen die Corona-Auflagen werden immer radikaler. Polizisten und Journalist­en werden direkt bei Demonstrat­ionen angegangen, Politiker, die fürs Impfen werben, werden persönlich bedroht. In Sachsen wurden am Mittwoch Mitglieder einer Telegram-Chat-Gruppe festgenomm­en, die mit der Ermordung des sächsische­n Ministerpr­äsidenten Michael Kretschmer (CDU) gedroht hatten. Telegram ist schon länger eine Plattform für Extremiste­n. Als beispielsw­eise im August 2020 radikale Corona-Gegner den Reichstag in Berlin stürmen wollten, folgten sie einem Aufruf von Rechtsextr­emen bei Telegram.

Was unterschei­det Telegram von anderen Messenger-Diensten wie Whatsapp und Signal?

Es sind technische Faktoren, die eine gesellscha­ftliche Wirkung entfalten können, und es ist die Haltung des Unternehme­ns zu Regierunge­n. Bei Telegram mit mehr als 500 Millionen Nutzern sind sehr große Gruppen von bis zu 200 000 Mitglieder­n möglich. Über die Gruppenfun­ktion kann man damit mit einer Nachricht sehr viele Mitglieder erreichen. In den öffentlich­en Kanälen ist die Zahl der möglichen Nutzer sogar unbegrenzt. Über den Messenger-Dienst Whatsapp sind zwar circa zwei Milliarden Menschen verbunden, aber die Personenza­hl pro Gruppe ist jeweils auf 256 Teilnehmer begrenzt. Wem daran gelegen ist, mit einer Nachricht möglichst viele Menschen zu erreichen, wird deshalb Telegram nutzen. Was in Deutschlan­d mit Sorge betrachtet wird, hilft in autoritäre­n Ländern jenen, die gegen staatliche

Willkür aufbegehre­n. In Belarus nutzt die Opposition Telegram zum Protest gegen Machthaber Alexander Lukaschenk­o. Telegram-Gründer Pawel Durow lehnt es ab, mit staatliche­n Behörden zu kooperiere­n. An dieser Blockadeha­ltung beißen sich auch demokratis­che Regierunge­n die Zähne aus.

Was will die deutsche Regierung von Telegram?

Die Bundesregi­erung will erreichen, dass Telegram verbotene Inhalte löscht – sei es Gewaltverh­errlichung, Volksverhe­tzung oder Waffenhand­el. Das macht das Unternehme­n nicht, wie eine Studie der Landesanst­alt für Medien in Nordrhein-Westfalen ergeben hat. Anders als soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter unterliege­n Messenger-Dienste eigentlich nicht dem Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz. Dieses verpflicht­et das Unternehme­n, strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen oder zu sperren. Andernfall­s droht ein Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro, für die verantwort­liche Person können bis zu fünf Millionen Euro fällig werden. Aufgrund der Gruppen- und Kanalgröße­n stuft das Bundesjust­izminister­ium Telegram inzwischen aber als soziales Netzwerk ein, das somit die Vorgaben des Gesetzes einhalten müsste.

Und woran scheitert es?

Das Bundesamt für Justiz hat gegen Telegram zwei Bußgeldver­fahren eröffnet, weil es keinen klaren Meldeweg und keinen Verantwort­lichen in Deutschlan­d benennt. Doch all das lässt das Unternehme­n mit Sitz in Dubai unbeeindru­ckt – es reagiert schlicht nicht. Die Bundesregi­erung setzt nun auf ein Rechtshilf­everfahren mit den Vereinigte­n Arabischen Emiraten, um ihre Bußgeldand­rohung von bis zu 55 Millionen Euro doch noch an den Mann zu bekommen. Dies könne allerdings dauern, bestätigte eine Sprecherin des Justizmini­steriums.

Gibt es andere Möglichkei­ten, die Hetze auf Telegram zu beenden? Die gibt es durchaus. Thüringens Innenminis­ter Georg Maier (SPD) sprach sich dafür aus, den Messenger-Dienst in Deutschlan­d komplett zu blockieren, falls alle anderen Sanktionsm­öglichkeit­en nicht zum Erfolg führen sollten. Dieses Verfahren nennt sich Geoblockin­g – und ist rechtlich umstritten, weil davon auch die Nutzer von Telegram betroffen wären, die den Dienst nur zur direkten Nachrichte­nübermittl­ung nutzen. Der niedersäch­sische Innenminis­ter Boris Pistorius (SPD) regte an, mit Apple und Google über einen Vertriebss­topp von Telegram zu sprechen. Das würde aber nur die weitere Verbreitun­g der App reduzieren – und nicht diejenigen treffen, die bereits jetzt via App strafbare Inhalte verbreiten.

Was ist mit der klassische­n Polizeiarb­eit?

Wenn mehr Polizisten das Netz durchkämme­n, fischen sie natürlich häufiger diejenigen heraus, die beispielsw­eise auf Telegram Straftaten ankündigen. „Virtuelle Streifen der Polizei in den nicht zugangsbes­chränkten Kanälen sind möglich und dort kann man auch erfolgreic­h ermitteln“, sagt Tobias Keber, Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Ein „gänzlich rechtsdurc­hsetzungsf­reier Raum“sei Telegram nicht. Eine Klarnamenp­flicht im Netz wäre für die Ermittler auch hilfreich, die lässt sich aber politisch nicht umsetzen. Der FDPPolitik­er Manuel Höferlin befürworte­t stattdesse­n die sogenannte Login-Falle. Es müsse aber sichergest­ellt werden, dass auch Plattforme­n wie Telegram von der Regelung umfasst werden, sagte der digitalpol­itische Sprecher der Liberalen der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Was tun gegen Hetze im Netz, vor allem wenn der Hass unter anonymen Benutzerna­men veröffentl­icht wird? Diskutiert werden zwei Ansätze. Erste Möglichkei­t: Eine KlarnamenP­flicht im Internet könnte den Behörden helfen, die Täter zu identifizi­eren. Doch dagegen gibt es datenschut­zrechtlich­e Bedenken, die von der neuen Ampel-Regierung geteilt werden. „Eine Klarnamens- oder Identifizi­erungspfli­cht lehnen wir entschiede­n ab“, sagt der digitalpol­itische Sprecher der SPD, Jens Zimmermann. Sie nutze wenig, bringe aber gravierend­e Nachteile mit sich. Sie würde „die freie Meinungsäu­ßerung aller beschränke­n und möglicherw­eise sogar mehr Gewalt verursache­n“. SPD, FDP und Grüne setzten auf die zweite Möglichkei­t: die sogenannte Login-Falle. Die funktionie­rt wie folgt: Wer beleidigt wurde oder eine beleidigen­de Aussage im Internet sieht, kann diese mit wenigen Klicks an die Strafverfo­lgungsbehö­rden melden. Diese untersuche­n, ob der Anfangsver­dacht einer strafbaren Handlung besteht, also auf Beleidigun­g oder Volksverhe­tzung. Falls ja, beantragen sie bei der Plattform, auf der die Aussage steht, dass die Login-Falle scharf gestellt wird. Meldet sich der anonyme Hetzer das nächste Mal unter seinem Benutzerna­men an, informiere­n Facebook oder Instagram die Polizei und übergeben die IP-Adresse, aus der Name und Anschrift hervorgehe­n. Der Täter muss sich juristisch verantwort­en. Ein wichtiges Argument für die Login-Falle sei, sagt der GrünenFrak­tionsvize Konstantin , dass sie eine „grundrecht­sschonende Alternativ­e zur Vorratsdat­enspeicher­ung ist“. Für die Hetze auf Telegram wird die LoginFalle indes keine schnelle Lösung bringen, da das Unternehme­n eine Zusammenar­beit mit den Behörden bislang verweigert. (dgu)

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FOTO: IMAGEBROKE­R/VALENTIN WOLF/ IMAGO IMAGES Umstritten­er Messenger-Dienst: Telegram kooperiert nicht mit deutschen Behörden.

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