Mordaufrufe per Telegram
Viele radikale Impfgegner und Rechtsextreme nutzen die App – Warum der Missbrauch des Dienstes schwer zu verhindern ist
- Morddrohungen gegen Politiker, Aufrufe zur Gewalt, Verabredungen zu Demonstrationen, bei denen gegen Corona-Auflagen verstoßen wird: All das funktioniert über den Messenger-Dienst Telegram reibungslos. Die Bundesregierung will dies nicht länger hinnehmen und hat ein härteres Vorgehen angekündigt. Doch wie könnte das in der Praxis funktionieren und warum funktioniert es bislang nicht? Dazu die wichtigsten Fragen und Antworten.
Warum ist Telegram verstärkt in den Fokus gerückt?
Die Proteste gegen die Corona-Auflagen werden immer radikaler. Polizisten und Journalisten werden direkt bei Demonstrationen angegangen, Politiker, die fürs Impfen werben, werden persönlich bedroht. In Sachsen wurden am Mittwoch Mitglieder einer Telegram-Chat-Gruppe festgenommen, die mit der Ermordung des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) gedroht hatten. Telegram ist schon länger eine Plattform für Extremisten. Als beispielsweise im August 2020 radikale Corona-Gegner den Reichstag in Berlin stürmen wollten, folgten sie einem Aufruf von Rechtsextremen bei Telegram.
Was unterscheidet Telegram von anderen Messenger-Diensten wie Whatsapp und Signal?
Es sind technische Faktoren, die eine gesellschaftliche Wirkung entfalten können, und es ist die Haltung des Unternehmens zu Regierungen. Bei Telegram mit mehr als 500 Millionen Nutzern sind sehr große Gruppen von bis zu 200 000 Mitgliedern möglich. Über die Gruppenfunktion kann man damit mit einer Nachricht sehr viele Mitglieder erreichen. In den öffentlichen Kanälen ist die Zahl der möglichen Nutzer sogar unbegrenzt. Über den Messenger-Dienst Whatsapp sind zwar circa zwei Milliarden Menschen verbunden, aber die Personenzahl pro Gruppe ist jeweils auf 256 Teilnehmer begrenzt. Wem daran gelegen ist, mit einer Nachricht möglichst viele Menschen zu erreichen, wird deshalb Telegram nutzen. Was in Deutschland mit Sorge betrachtet wird, hilft in autoritären Ländern jenen, die gegen staatliche
Willkür aufbegehren. In Belarus nutzt die Opposition Telegram zum Protest gegen Machthaber Alexander Lukaschenko. Telegram-Gründer Pawel Durow lehnt es ab, mit staatlichen Behörden zu kooperieren. An dieser Blockadehaltung beißen sich auch demokratische Regierungen die Zähne aus.
Was will die deutsche Regierung von Telegram?
Die Bundesregierung will erreichen, dass Telegram verbotene Inhalte löscht – sei es Gewaltverherrlichung, Volksverhetzung oder Waffenhandel. Das macht das Unternehmen nicht, wie eine Studie der Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen ergeben hat. Anders als soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter unterliegen Messenger-Dienste eigentlich nicht dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Dieses verpflichtet das Unternehmen, strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu löschen oder zu sperren. Andernfalls droht ein Bußgeld von bis zu 50 Millionen Euro, für die verantwortliche Person können bis zu fünf Millionen Euro fällig werden. Aufgrund der Gruppen- und Kanalgrößen stuft das Bundesjustizministerium Telegram inzwischen aber als soziales Netzwerk ein, das somit die Vorgaben des Gesetzes einhalten müsste.
Und woran scheitert es?
Das Bundesamt für Justiz hat gegen Telegram zwei Bußgeldverfahren eröffnet, weil es keinen klaren Meldeweg und keinen Verantwortlichen in Deutschland benennt. Doch all das lässt das Unternehmen mit Sitz in Dubai unbeeindruckt – es reagiert schlicht nicht. Die Bundesregierung setzt nun auf ein Rechtshilfeverfahren mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, um ihre Bußgeldandrohung von bis zu 55 Millionen Euro doch noch an den Mann zu bekommen. Dies könne allerdings dauern, bestätigte eine Sprecherin des Justizministeriums.
Gibt es andere Möglichkeiten, die Hetze auf Telegram zu beenden? Die gibt es durchaus. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) sprach sich dafür aus, den Messenger-Dienst in Deutschland komplett zu blockieren, falls alle anderen Sanktionsmöglichkeiten nicht zum Erfolg führen sollten. Dieses Verfahren nennt sich Geoblocking – und ist rechtlich umstritten, weil davon auch die Nutzer von Telegram betroffen wären, die den Dienst nur zur direkten Nachrichtenübermittlung nutzen. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) regte an, mit Apple und Google über einen Vertriebsstopp von Telegram zu sprechen. Das würde aber nur die weitere Verbreitung der App reduzieren – und nicht diejenigen treffen, die bereits jetzt via App strafbare Inhalte verbreiten.
Was ist mit der klassischen Polizeiarbeit?
Wenn mehr Polizisten das Netz durchkämmen, fischen sie natürlich häufiger diejenigen heraus, die beispielsweise auf Telegram Straftaten ankündigen. „Virtuelle Streifen der Polizei in den nicht zugangsbeschränkten Kanälen sind möglich und dort kann man auch erfolgreich ermitteln“, sagt Tobias Keber, Professor an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Ein „gänzlich rechtsdurchsetzungsfreier Raum“sei Telegram nicht. Eine Klarnamenpflicht im Netz wäre für die Ermittler auch hilfreich, die lässt sich aber politisch nicht umsetzen. Der FDPPolitiker Manuel Höferlin befürwortet stattdessen die sogenannte Login-Falle. Es müsse aber sichergestellt werden, dass auch Plattformen wie Telegram von der Regelung umfasst werden, sagte der digitalpolitische Sprecher der Liberalen der „Schwäbischen Zeitung“.
Was tun gegen Hetze im Netz, vor allem wenn der Hass unter anonymen Benutzernamen veröffentlicht wird? Diskutiert werden zwei Ansätze. Erste Möglichkeit: Eine KlarnamenPflicht im Internet könnte den Behörden helfen, die Täter zu identifizieren. Doch dagegen gibt es datenschutzrechtliche Bedenken, die von der neuen Ampel-Regierung geteilt werden. „Eine Klarnamens- oder Identifizierungspflicht lehnen wir entschieden ab“, sagt der digitalpolitische Sprecher der SPD, Jens Zimmermann. Sie nutze wenig, bringe aber gravierende Nachteile mit sich. Sie würde „die freie Meinungsäußerung aller beschränken und möglicherweise sogar mehr Gewalt verursachen“. SPD, FDP und Grüne setzten auf die zweite Möglichkeit: die sogenannte Login-Falle. Die funktioniert wie folgt: Wer beleidigt wurde oder eine beleidigende Aussage im Internet sieht, kann diese mit wenigen Klicks an die Strafverfolgungsbehörden melden. Diese untersuchen, ob der Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung besteht, also auf Beleidigung oder Volksverhetzung. Falls ja, beantragen sie bei der Plattform, auf der die Aussage steht, dass die Login-Falle scharf gestellt wird. Meldet sich der anonyme Hetzer das nächste Mal unter seinem Benutzernamen an, informieren Facebook oder Instagram die Polizei und übergeben die IP-Adresse, aus der Name und Anschrift hervorgehen. Der Täter muss sich juristisch verantworten. Ein wichtiges Argument für die Login-Falle sei, sagt der GrünenFraktionsvize Konstantin , dass sie eine „grundrechtsschonende Alternative zur Vorratsdatenspeicherung ist“. Für die Hetze auf Telegram wird die LoginFalle indes keine schnelle Lösung bringen, da das Unternehmen eine Zusammenarbeit mit den Behörden bislang verweigert. (dgu)