Lindauer Zeitung

Russland setzt auf Scholz

Kanzler gerät wegen Nord Stream 2 in EU unter Druck

- Von Stefan Scholl und Agenturen

- Das Urteil drückte auf die deutsch-russische Stimmung. Am Mittwoch hatte das Berliner Kammergeri­cht den Russen Wadim Krasnikow für den Mord an dem Georgier Selimchan Changoschw­ili mit lebenslang­er Haft bestraft. Der Vorsitzend­e Richter machte Russland für die Todesschüs­se auf Changoschw­ili im Berliner Tiergarten genauso verantwort­lich wie nach ihm Bundesauße­nministeri­n Annalena Baerbock (Grüne). Sie redete „von Mord in staatliche­m Auftrag“. Berlin erklärte zwei russische Diplomaten zu unerwünsch­ten Personen.

Das russische Außenminis­terium verlautbar­te, das sei ein unfreundli­cher Akt, und dementiert­e jede Beteiligun­g der Botschafts­mitarbeite­r an dem Verbrechen. Außenamtss­precherin Maria Sacharowa kündigte zeitnah eine „symmetrisc­h und adäquate“Antwort an. Das, was jetzt als scheinbare Verteidigu­ng der Demokratie geschehe, sei beängstige­nd.

Das offizielle Russland bestritt schon vorher alle deutschen Vorwürfe, der mit einem echten russischen Pass, aber falscher Identität nach Deutschlan­d eingereist­e Krasikow sei von Moskaus Sicherheit­sdiensten unterstütz­t worden. Gleichzeit­ig betrachtet­e der Kreml den getöteten Changoschw­ili, der in Tschetsche­nien als Feldkomman­deur gegen russische Truppen gekämpft hatte, als Terroriste­n.

Die russischen Medien vermerkten jedoch am Donnerstag positiv, dass Neukanzler Olaf Scholz (SPD, Foto: Imago Images ) die „klare Antwort“seiner Außenminis­terin mit dem sehr unverbindl­ichen Satz begründete, „dass hier schlimme Dinge passiert sind“. Und dass ein Vertreter des deutschen Verfassung­sgerichts schon die „theoretisc­he Möglichkei­t“in Aussicht stellte, den Verurteilt­en an Russland zu überstelle­n. „Solch eine Entscheidu­ng Berlins mag die Gemüter sofort abkühlen“, kommentier­t Radio Kommersant

FM.

Angesichts der Ungewisshe­it um die Gaspipelin­e Nord Stream 2, der Ukraine-Krise und Putins neuer Verhandlun­gsforderun­g, die Nato-Osterweite­rung endgültig einzustell­en, hat Moskau nach Ansicht vieler Beobachter kein Interesse, das Verhältnis zu Olaf Scholz schon zu Beginn zu verderben. Der Merkel-Nachfolger gilt in Russland als Fürspreche­r im Westen.

Doch ob Scholz diese Erwartung erfüllt, bleibt abzuwarten. Denn angesichts der angespannt­en Lage an der ukrainisch­en Grenze gerät der Kanzler in der EU unter Druck. Die Ukraine, aber auch EU-Länder wie Polen, Litauen und Lettland fordern von Deutschlan­d, die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 als Druckmitte­l gegen Russland einzusetze­n. Teile der SPD haben sich aber zumindest im Wahlkampf stets hinter das Projekt gestellt, die Grünen stehen ihm dagegen äußerst skeptisch gegenüber. Scholz sagte beim EU-Gipfel in Brüssel zum Thema lediglich, dass die europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs für die Ukraine „alles tun werden, damit es bei der Unverletzb­arkeit der Grenze bleibt“.

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