Russland setzt auf Scholz
Kanzler gerät wegen Nord Stream 2 in EU unter Druck
- Das Urteil drückte auf die deutsch-russische Stimmung. Am Mittwoch hatte das Berliner Kammergericht den Russen Wadim Krasnikow für den Mord an dem Georgier Selimchan Changoschwili mit lebenslanger Haft bestraft. Der Vorsitzende Richter machte Russland für die Todesschüsse auf Changoschwili im Berliner Tiergarten genauso verantwortlich wie nach ihm Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Sie redete „von Mord in staatlichem Auftrag“. Berlin erklärte zwei russische Diplomaten zu unerwünschten Personen.
Das russische Außenministerium verlautbarte, das sei ein unfreundlicher Akt, und dementierte jede Beteiligung der Botschaftsmitarbeiter an dem Verbrechen. Außenamtssprecherin Maria Sacharowa kündigte zeitnah eine „symmetrisch und adäquate“Antwort an. Das, was jetzt als scheinbare Verteidigung der Demokratie geschehe, sei beängstigend.
Das offizielle Russland bestritt schon vorher alle deutschen Vorwürfe, der mit einem echten russischen Pass, aber falscher Identität nach Deutschland eingereiste Krasikow sei von Moskaus Sicherheitsdiensten unterstützt worden. Gleichzeitig betrachtete der Kreml den getöteten Changoschwili, der in Tschetschenien als Feldkommandeur gegen russische Truppen gekämpft hatte, als Terroristen.
Die russischen Medien vermerkten jedoch am Donnerstag positiv, dass Neukanzler Olaf Scholz (SPD, Foto: Imago Images ) die „klare Antwort“seiner Außenministerin mit dem sehr unverbindlichen Satz begründete, „dass hier schlimme Dinge passiert sind“. Und dass ein Vertreter des deutschen Verfassungsgerichts schon die „theoretische Möglichkeit“in Aussicht stellte, den Verurteilten an Russland zu überstellen. „Solch eine Entscheidung Berlins mag die Gemüter sofort abkühlen“, kommentiert Radio Kommersant
FM.
Angesichts der Ungewissheit um die Gaspipeline Nord Stream 2, der Ukraine-Krise und Putins neuer Verhandlungsforderung, die Nato-Osterweiterung endgültig einzustellen, hat Moskau nach Ansicht vieler Beobachter kein Interesse, das Verhältnis zu Olaf Scholz schon zu Beginn zu verderben. Der Merkel-Nachfolger gilt in Russland als Fürsprecher im Westen.
Doch ob Scholz diese Erwartung erfüllt, bleibt abzuwarten. Denn angesichts der angespannten Lage an der ukrainischen Grenze gerät der Kanzler in der EU unter Druck. Die Ukraine, aber auch EU-Länder wie Polen, Litauen und Lettland fordern von Deutschland, die Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 als Druckmittel gegen Russland einzusetzen. Teile der SPD haben sich aber zumindest im Wahlkampf stets hinter das Projekt gestellt, die Grünen stehen ihm dagegen äußerst skeptisch gegenüber. Scholz sagte beim EU-Gipfel in Brüssel zum Thema lediglich, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs für die Ukraine „alles tun werden, damit es bei der Unverletzbarkeit der Grenze bleibt“.