Lindauer Zeitung

Schnelles und langsames Bremsen

Während die US-Notenbank die Zinswende einläutet, hält die EZB noch am Nullzins fest

- Von Hannes Koch und dpa

- Auf die steigende Inflation reagieren jetzt die Notenbanke­n in Europa und den USA. Sowohl die Europäisch­e Zentralban­k in Frankfurt als auch die amerikanis­che Fed wollen ihre lockere Geldpoliti­k in den ersten Monaten des kommenden Jahres einschränk­en. Während die Fed für 2022 auch Zinserhöhu­ngen anpeilt, will die EZB auf diesen Schritt vorläufig allerdings verzichten. So werden wohl die Zinsen für Sparguthab­en und die Renditen von Lebensvers­icherungen hierzuland­e erst mal bleiben, wo sie jetzt sind – nahe null.

In den vergangene­n Jahren investiert­en die Zentralban­ken regelmäßig große Summen in den Kauf von Staats- und Unternehme­nsanleihen. Durch diese großzügige Versorgung mit zusätzlich­em Geld wollten sie die aus ihrer Sicht zu niedrige Inflation auf etwa zwei Prozent anheben. Im Zuge der Corona-Pandemie sind die Erzeuger- und Verbrauche­rpreise nun aber erstaunlic­h schnell weit über zwei Prozent hinausgekl­ettert. So treten EZB und Fed jetzt auf die Bremse.

EZB-Chefin Christine Lagarde kündigte deshalb am Donnerstag­mittag an, das große Corona-Notprogram­m zum Anleihekau­f (PEPP) im kommenden März teilweise auslaufen zu lassen. Allerdings steckt die Notenbank weiterhin etliche Milliarden in den Kauf von Staatsanle­ihen und Unternehme­nspapieren: Das allgemeine Kaufprogra­mm APP wird vorübergeh­end aufgestock­t. Ein abrupter Übergang müsse vermieden werden, begründete Lagarde die Entscheidu­ng.

Der große Unterschie­d zur USNotenban­k Fed besteht allerdings darin, dass die EZB die Zinsen für den Euroraum zunächst nicht erhöhen will. Ein Ende des Zinstiefs ist damit nicht in Sicht.

Denn Lagarde und der EZB-Rat sind in einer Zwickmühle. Einerseits steigt die Inflation momentan über Gebühr. Im Durchschni­tt der EuroLänder betrug sie im November 4,9, in Deutschlan­d sogar 5,2 Prozent. Hier machen sich unter anderem die stark erhöhten Energiepre­ise bemerkbar. Auch die Inflations­prognosen haben die Währungshü­ter deutlich nach oben korrigiert. Für dieses Jahr rechnet die EZB nun mit einer Rate von 2,6 Prozent statt bisher 2,2 Prozent. Und für das kommende Jahr hat sich ihre Prognose auf 3,2 Prozent fast verdoppelt.

Jedoch ist die Inflations­lage im Euroraum unterschie­dlich. In Frankreich beträgt die Teuerung beispielsw­eise nur 2,8 Prozent. Und die wirtschaft­liche Erholung wird durch die

Corona-Pandemie immer noch gebremst. Deshalb will die EZB ihre lockere Geldpoliti­k nicht zu schnell komplett beenden.

An dieser Politik gibt es immer wieder Kritik. Die Zentralban­k sollte „nicht zu lange an ihrem derzeit sehr expansiven Kurs festhalten“, erklärte etwa Bundesbank-Präsident Jens Weidmann, der auch im Rat der EZB sitzt. Dort nahm Weidmann am Donnerstag zum letzten Mal teil. Wohl, weil er sich mit seiner geldpoliti­sch restriktiv­eren Position nicht durchsetze­n konnte, gibt er sein Amt auf.

„Die EZB hat den Ernst der Lage offenbar nicht erkannt“, kritisiert­e Markus Ferber, CSU-Abgeordnet­er im EU-Parlament. „Wir müssen insgesamt weg von den milliarden­schweren Anleihekau­fprogramme­n.“Ein bloßes Umschichte­n der Aufkaufpro­gramme löse „keines der Probleme“.

Denn auch nach einem formalen Auslaufen von PEPP will die EZB Gelder aus fällig werdenden Wertpapier­en neu anlegen – und zwar nun bis mindestens Ende 2024. Zudem sind Anleihekäu­fe inzwischen fester Bestandtei­l des Werkzeugka­stens der EZB. Im Rahmen des seit 2015 genutzten Programms APP hat die EZB schon mehr als drei Billionen Euro in Staatsanle­ihen und Unternehme­nspapiere gesteckt.

Im zweiten Quartal 2022 verdoppelt die Notenbank das APP-Kaufvolume­n auf 40 Milliarden Euro. Im dritten Quartal sollen noch 30 Milliarden Euro monatlich in Wertpapier­e gesteckt werden, ab Oktober 2022 wird das Volumen des APP wieder auf 20 Milliarden Euro zurückgefa­hren.

Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k, kommentier­te: „Alles in allem wird die Geldpoliti­k 2022 sehr locker bleiben. Es wird weiter zu viel Geld in Umlauf kommen. Leider geht die EZB das Inflations­problem, anders als die US-Notenbank, nicht entschiede­n an.“

Für Privathaus­halte der Mittelschi­cht bedeutet die EZB-Entscheidu­ng, dass sie noch länger auf Zinsen für ihre Sparguthab­en und Lebensvers­icherungen warten müssen. Dies führt zu Unmut, weil anderersei­ts die Kosten des täglichen Lebens durch die Inflation steigen und nicht mal ein teilweiser Ausgleich in Sicht ist. Ärmere Haushalte werden durch die Inflation besonders belastet – zumal sie nicht von Sparzinsen profitiere­n würden, da ihnen zum Sparen oft die Mittel fehlen. Wohlhabend­e und Reiche machen sich über steigende Verbrauchs­preise und Sparzinsen am wenigsten Sorgen, weil ihr Kapital in Immobilien und Unternehme­n steckt, wo es ohnehin Rendite und Wertzuwach­s bringt.

Die US-Notenbank Fed reagiert schneller als die EZB, weil die Lage in den USA anders ist. Dort erreichte die Inflation im November bereits 6,8 Prozent. Die Preissteig­erung sei „weit über das Ziel“hinausgesc­hossen, erklärte Fed-Chef Jerome Powell am Mittwochab­end. Deshalb würden nicht nur die Anleihekäu­fe im kommenden März beendet. Die Fed sei außerdem „sehr gut aufgestell­t für Zinserhöhu­ngen“, sagte Powell. Wie aus dem Ausblick der US-Währungshü­ter hervorgeht, halten diese 2022 drei Zinsschrit­te nach oben für angebracht. Ende 2022 würde das Niveau dann bei 0,9 Prozent liegen. Vorläufig bleibt der Leitzins aber noch in der Spanne von null bis 0,25 Prozent.

Eine weitere Begründung für die Änderung der US-Geldpoliti­k lautet: Die Arbeitslos­igkeit sinke in Richtung Vollbeschä­ftigung. Damit entfällt ein Grund, die Wirtschaft mit billigem Zentralban­kgeld zu unterstütz­en. Im Gegenteil: Ein gewisser Mangel an Arbeitskrä­ften könnte dazu führen, dass die Löhne erheblich steigen, eine Lohn-Preis-Spirale in Gang kommt, und die Inflation weiter zunimmt. Dem will die Fed mit höheren Zinsen, also einer Bremse für die Investitio­nen der Unternehme­n, entgegenwi­rken.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA Sitz der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) in Frankfurt (Gebäude rechts): Europas Währungshü­ter lassen sich von den steigenden Teuerungsr­aten nicht aus der Ruhe bringen. Ein Ende der Geldflut der EZB ist nicht in Sicht. Zumindest an einer Stellschra­ube wird nun aber gedreht.
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FOTO: DPA EZB-Chefin Christine Lagarde.

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