Bitte Platz nehmen – auf der Lügenbank
Der Norden Teneriffas präsentiert sich grün und ohne Massentourismus
Nur ältere Canarios erinnern sich noch daran, wie früher Weizenkörner aus dem Getreide herausgelöst wurden. Doch in der alten Dreschtenne von El Palmar, einem kleinen Ort im Teno Gebirge auf Teneriffa, wird die Erinnerung an das traditionelle Dreschen (Trilla Tradicional) wachgehalten. Wie früher werden nach der Ernte Stroh ausgebreitet und Pferde oder Ochsen eingespannt. Sie laufen im Kreis und ziehen ovale Holzbretter mit vielen kleinen Lavasteinen an der Unterseite über das Getreide. Dabei werden die Körner aus den Ähren gedrückt.
Eines dieser Holzbretter dient heute als Eingangstür zum Höhlenrestaurant La Cueva. Die weiß gekalkte Höhle gehört zur Casa Maria, einer Ferienanlage im Bauerndörfchen Cuevecitas de Candelaria. „Viele unserer Gäste fragen, was es mit dieser Tür auf sich hat“, sagt Maria Gabriele Warnecke, die die Anlage führt. Sie gibt den Gästen auch Tipps, was sie alles auf Teneriffa unternehmen können.
Nur ein paar Autominuten ist es bis nach Candelaria. Dort gibt es eine hübsche Altstadt, eine lange Uferpromenade sowie zahlreiche gute Restaurants. Überragt wird der Ort von einer Basilika, in der eine Statue der Virgen de Candelaria, der Heiligen Jungfrau von Candelaria und Schutzheiligen der Kanaren, verehrt wird. Jedes Jahr im August kommen Tausende Pilger, um die kleine, reich in Gold- und Silberbrokat gekleidete Figur zu verehren.
Ein anderer Tipp von Maria bringt uns nach La Laguna. Die Universitätsstadt am Südende des Anaga-Gebirges zählt zwar zum Weltkulturerbe der Unesco, bleibt aber vom Massentourismus weitgehend verschont. Dem spanischen Kolonialstil des späten Mittelalters entsprechend wurden die Straßen schachbrettartig angelegt. Diese Grundform hat sich bis heute erhalten, und fast die gesamte Altstadt gehört den Fußgängern. Die Plaza del Adelantado bildet den Mittelpunkt der Stadt und ist von steinernen Zeugen aus dem 16. Jahrhundert umstanden – der einschiffigen Kapelle San Miguel mit einem wuchtigen Holzportal und dem Kloster Santa Catalina mit einer geschlossenen, hölzernen Dachterrasse. So konnten die Nonnen das Geschehen auf dem Platz beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Mit seinen Schatten spendenden indischen Lorbeerbäumen ist der Platz auch heute ein beliebter Treffpunkt, an dem Neuigkeiten ausgetauscht werden. Die Bänke des Platzes werden deshalb augenzwinkernd Lügenbänke genannt. Ein kurzer Spaziergang bringt uns zur Kathedrale Los Remidos mit imposanten Drachenbäumen vor der Hauptfassade. Die Calle Obispo Rey Redondo, kurz Calle Carrera, führt an schönen Altstadthäusern weiter zur ältesten Kirche der Stadt, der Iglesia de la Concepción. Der sechsstöckige Glockenturm, Wahrzeichen von La Laguna, hat zahlreiche Balkone und Fenster.
Zeit für eine Pause – das Café Palmita gleich gegenüber der Kirche hat die wohl besten Kuchen und Torten. Wer etwas Herzhafteres bevorzugt, wird in der Casa de Oscar in der Calle Herradores fündig. Für kleines Geld gibt es köstliche Tortilla-Variationen und guten lokalen Wein. Übrigens – hier wie bei allen anderen Lokalen sind die Terrassenmöbel aus Holz und die Sonnenschirme beige und ohne Werbung. Auch Leuchtreklamen gibt es nirgendwo.
Am nächsten Morgen erwartet uns Cao Sanchez Derrano am Aussichtspunkt Cruz del Carmen. Unsere Kamera lassen wir in der Tasche, ziehen wärmende Pullover und Regenjacke an. Dichter Nebel wabert, dazu gibt es feinen Sprühregen. „Der Nebel ist feucht und beschert dem Norden von Teneriffa ein beinahe undurchdringliches Pflanzenkleid wie sonst nirgendwo auf der Insel“, erklärt Wanderführer Cao von der Organisation Anaga Experience. Sechs Stunden lang führt er uns durch den verwunschenen Regenwald, zeigt uns immergrünen Lorbeerwald und erklärt kenntnisreich die vielfältige Pflanzenwelt. Hin und wieder sehen wir kleine Terrassen, mühsam an steil abfallenden Berghängen angelegt und bepflanzt mit
Kartoffeln oder Mais. „Das Leben in den Anaga-Bergen ist hart. Es gibt kaum Arbeit, und es ist unwegsam, abgeschieden, im Winter einfach auch zu feucht und zu kühl. Die Jungen wandern deshalb ab“, sagt Cao. Nur von der schönen Natur könne niemand leben, erfahren wir beim gemeinsamen Essen in einer Guachinche in Las Mercedes. Cao empfiehlt uns das frittierte Kaninchen und das über der Holzkohle knusprig gegrillte Hühnchen. Dazu gibt es jeweils Papas arrugadas, Runzelkartoffeln mit Salzkruste, und die typischen Mojo-Saucen. Außer uns sitzen an diesem Abend nur noch ein paar ältere Männer auf der Terrasse. „Viele junge Menschen ziehen in die Stadt nach Santa Cruz oder in den Süden, wo sie in den Touristenzentren Playa de las Americas und Costa Adeje bessere Arbeitsmöglichkeiten haben“, erklärt Cao. Dort sind buchstäblich aus dem Nichts reine Hotelstädte ohne gewachsene Ortskerne aus dem Boden gestampft worden.
Weitere Informationen unter www.webtenerife.de
Die Recherche wurde unterstützt von der Tourismusagentur der Insel „tenerife! weckt Emotionen“.