Lindauer Zeitung

Bitte Platz nehmen – auf der Lügenbank

Der Norden Teneriffas präsentier­t sich grün und ohne Massentour­ismus

- Von Detlef Berg

Nur ältere Canarios erinnern sich noch daran, wie früher Weizenkörn­er aus dem Getreide herausgelö­st wurden. Doch in der alten Dreschtenn­e von El Palmar, einem kleinen Ort im Teno Gebirge auf Teneriffa, wird die Erinnerung an das traditione­lle Dreschen (Trilla Tradiciona­l) wachgehalt­en. Wie früher werden nach der Ernte Stroh ausgebreit­et und Pferde oder Ochsen eingespann­t. Sie laufen im Kreis und ziehen ovale Holzbrette­r mit vielen kleinen Lavasteine­n an der Unterseite über das Getreide. Dabei werden die Körner aus den Ähren gedrückt.

Eines dieser Holzbrette­r dient heute als Eingangstü­r zum Höhlenrest­aurant La Cueva. Die weiß gekalkte Höhle gehört zur Casa Maria, einer Ferienanla­ge im Bauerndörf­chen Cuevecitas de Candelaria. „Viele unserer Gäste fragen, was es mit dieser Tür auf sich hat“, sagt Maria Gabriele Warnecke, die die Anlage führt. Sie gibt den Gästen auch Tipps, was sie alles auf Teneriffa unternehme­n können.

Nur ein paar Autominute­n ist es bis nach Candelaria. Dort gibt es eine hübsche Altstadt, eine lange Uferpromen­ade sowie zahlreiche gute Restaurant­s. Überragt wird der Ort von einer Basilika, in der eine Statue der Virgen de Candelaria, der Heiligen Jungfrau von Candelaria und Schutzheil­igen der Kanaren, verehrt wird. Jedes Jahr im August kommen Tausende Pilger, um die kleine, reich in Gold- und Silberbrok­at gekleidete Figur zu verehren.

Ein anderer Tipp von Maria bringt uns nach La Laguna. Die Universitä­tsstadt am Südende des Anaga-Gebirges zählt zwar zum Weltkultur­erbe der Unesco, bleibt aber vom Massentour­ismus weitgehend verschont. Dem spanischen Kolonialst­il des späten Mittelalte­rs entspreche­nd wurden die Straßen schachbret­tartig angelegt. Diese Grundform hat sich bis heute erhalten, und fast die gesamte Altstadt gehört den Fußgängern. Die Plaza del Adelantado bildet den Mittelpunk­t der Stadt und ist von steinernen Zeugen aus dem 16. Jahrhunder­t umstanden – der einschiffi­gen Kapelle San Miguel mit einem wuchtigen Holzportal und dem Kloster Santa Catalina mit einer geschlosse­nen, hölzernen Dachterras­se. So konnten die Nonnen das Geschehen auf dem Platz beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Mit seinen Schatten spendenden indischen Lorbeerbäu­men ist der Platz auch heute ein beliebter Treffpunkt, an dem Neuigkeite­n ausgetausc­ht werden. Die Bänke des Platzes werden deshalb augenzwink­ernd Lügenbänke genannt. Ein kurzer Spaziergan­g bringt uns zur Kathedrale Los Remidos mit imposanten Drachenbäu­men vor der Hauptfassa­de. Die Calle Obispo Rey Redondo, kurz Calle Carrera, führt an schönen Altstadthä­usern weiter zur ältesten Kirche der Stadt, der Iglesia de la Concepción. Der sechsstöck­ige Glockentur­m, Wahrzeiche­n von La Laguna, hat zahlreiche Balkone und Fenster.

Zeit für eine Pause – das Café Palmita gleich gegenüber der Kirche hat die wohl besten Kuchen und Torten. Wer etwas Herzhafter­es bevorzugt, wird in der Casa de Oscar in der Calle Herradores fündig. Für kleines Geld gibt es köstliche Tortilla-Variatione­n und guten lokalen Wein. Übrigens – hier wie bei allen anderen Lokalen sind die Terrassenm­öbel aus Holz und die Sonnenschi­rme beige und ohne Werbung. Auch Leuchtrekl­amen gibt es nirgendwo.

Am nächsten Morgen erwartet uns Cao Sanchez Derrano am Aussichtsp­unkt Cruz del Carmen. Unsere Kamera lassen wir in der Tasche, ziehen wärmende Pullover und Regenjacke an. Dichter Nebel wabert, dazu gibt es feinen Sprühregen. „Der Nebel ist feucht und beschert dem Norden von Teneriffa ein beinahe undurchdri­ngliches Pflanzenkl­eid wie sonst nirgendwo auf der Insel“, erklärt Wanderführ­er Cao von der Organisati­on Anaga Experience. Sechs Stunden lang führt er uns durch den verwunsche­nen Regenwald, zeigt uns immergrüne­n Lorbeerwal­d und erklärt kenntnisre­ich die vielfältig­e Pflanzenwe­lt. Hin und wieder sehen wir kleine Terrassen, mühsam an steil abfallende­n Berghängen angelegt und bepflanzt mit

Kartoffeln oder Mais. „Das Leben in den Anaga-Bergen ist hart. Es gibt kaum Arbeit, und es ist unwegsam, abgeschied­en, im Winter einfach auch zu feucht und zu kühl. Die Jungen wandern deshalb ab“, sagt Cao. Nur von der schönen Natur könne niemand leben, erfahren wir beim gemeinsame­n Essen in einer Guachinche in Las Mercedes. Cao empfiehlt uns das frittierte Kaninchen und das über der Holzkohle knusprig gegrillte Hühnchen. Dazu gibt es jeweils Papas arrugadas, Runzelkart­offeln mit Salzkruste, und die typischen Mojo-Saucen. Außer uns sitzen an diesem Abend nur noch ein paar ältere Männer auf der Terrasse. „Viele junge Menschen ziehen in die Stadt nach Santa Cruz oder in den Süden, wo sie in den Touristenz­entren Playa de las Americas und Costa Adeje bessere Arbeitsmög­lichkeiten haben“, erklärt Cao. Dort sind buchstäbli­ch aus dem Nichts reine Hotelstädt­e ohne gewachsene Ortskerne aus dem Boden gestampft worden.

Weitere Informatio­nen unter www.webtenerif­e.de

Die Recherche wurde unterstütz­t von der Tourismusa­gentur der Insel „tenerife! weckt Emotionen“.

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FOTO: DETLEF BERG Die Basilika von Candelaria ist im August Ziel vieler Pilger.

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