Eine Ahnung von Guantanamo
Die US-Fotografin Debi Cornwall zeigt ihre Bilder aus dem Gefangenenlager im Stadthaus Ulm
Von Dagmar Hub
- Ein lilafarbenes Bärchen liegt da. Das Kuscheltier trägt ein rosa Sweatshirt. Auf dem steht: „It don’t GTMO better than this.“Der amerikanische Slang-Satz bedeutet in etwa, dass es nicht besser wird oder sogar nicht besser werden kann. Das wäre belanglos, befände sich der Fanartikel-Shop, in dem das Bärchen neben Kaffeetassen mit Stacheldrahtdesign angeboten wird, nicht im Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba. Mit Debi Cornwalls Fotoausstellung „Welcome to Camp America: Inside Guantanamo Bay“gibt das Stadthaus Ulm Einblicke in den Zynismus von Guantanamo, in einen Ausnahmezustand menschlichen Seins.
Die Pandemie hat die schon einmal angekündigte Ausstellung der amerikanischen Fotografin und Bürgerrechtsanwältin Debi Cornwall bis jetzt verschoben, doch nun ist sie – mit umfangreichem Begleitprogramm – im Stadthaus zu sehen. Neun Monate hatte die Menschenrechtlerin Cornwall gebraucht, von der Antragstellung und einer Personenüberprüfung, bis die US-Militärbehörden ihr erlaubten, in GTMO (so der Ausdruck der dort stationierten Soldaten) zu fotografieren. In den Jahren 2014 und 2015. Natürlich nicht alles, die Auflagen waren streng. Keine Menschen zum Beispiel, und keinen der berüchtigten Orte. Und alle Bilder ihrer quasi touristischen Tour mussten durch die Zensur.
Doch die menschenunwürdige Behandlung von Insassen in Guantanamo zeigt sich auch ohne dass Menschen selbst fotografiert werden. So zum Beispiel im Bild jenes schmuddligen, abgewetzten Sessels in einem Raum, nicht breiter als der Sessel selbst, in dem Gefangene für besonders kooperatives Verhalten belohnt werden: Sie dürfen – angekettet und unter Beobachtung – Filme sehen.
Kuratorin Daniela Yvonne Baumann hat die Bilder so arrangiert, dass beispielsweise die Liegestühle der dort diensttuenden Militärs am Stand direkt mit einem Foto des „Erholungshof“genannten Käfigs korrespondieren. In diesem waren für die Gefangenen 15 Minuten Bewegung täglich vorgesehen, von Maschendraht umgeben. Das Unkraut hat den Käfig inzwischen überwuchert.
Debi Cornwall berichtete Daniela Yvonne Baumann im Gespräch, dass es bei ihren drei geführten Touren in Guantanamo immer wieder um Annehmlichkeiten gegangen sei. Annehmlichkeiten, die das Militär dort auf Kuba hat, wie ein eigenes Fast-Food-Restaurant oder eine Art Fun-Park für die Kinder. Und um die Annehmlichkeiten, die Gefangene dort angeblich haben. „Comfort Items“sollten ein Beleg für die gute Behandlung der Gefangenen sein. Doch die Annahme, dass der Besitz von einem Paar Plastikschlappen, einer Hose und einem T-Shirt wirklich schon zum Komfort gehören, spiegelt einen schwer aushaltbaren Zynismus und eine menschenverachtende Grundhaltung.
Ein Raum der Ausstellung heißt „Beyond Gitmo“und zeigt 14 ehemalige, entlassene GuantanamoHäftlinge in den Ländern, wo sie seit ihrer Freilassung leben. Die Bilder zeigen die Männer von hinten. Eine sechsminütige Audio-Installation, gesprochen von Schauspielern, lässt Auszüge aus Verhörprotokollen zu Poesie werden. Der französische Investigativpoet Frank Smith und Debi Cornwall haben diese Gedichte zusammengestellt.
Im Gefangenenlager Guantanamo sind heute noch 39 Männer inhaftiert, zehn von ihnen werden freigelassen, wenn sich ein Land findet, das sie aufnimmt. 17 gelten als „ewige Gefangene“. Debi Cornwall hat recherchiert, dass 90 Prozent aller je in Guantanamo Inhaftieren über Tipps, Söldner und Kopfgeldjäger in das Lager kamen. Am 20. Januar wird Debi Cornwall im Stadthaus-Saal im Gespräch mit unter anderem Urs Fiechtner vom Ulmer Behandlungszentrum für Folteropfer zu sehen sein.
Am 20. Januar, 19.30 Uhr, wird Debi Cornwall bei einer Podiumsdiskussion unter anderem mit Urs Fiechtner vom Ulmer Behandlungszentrum für Folteropfer sprechen. Für diese Veranstaltung im Stadthaus-Saal Ulm ist eine Anmeldung erforderlich unter www.stadthaus.ulm. Alle Infos zur Ausstellung, die bis 13. März 2022 zu sehen ist, ebenfalls unter dieser Adresse.