Lindauer Zeitung

Kompromiss­loser Gitarrenro­ck aus dem Stall

Neil Young & Crazy Horse präsentier­en ein neues Album mit einer klaren Botschaft an die Leugner des Klimawande­ls

- Von Wolfgang Jung

Viele Musiker legen im Dezember ein Weihnachts­album vor. Nicht so Neil Young. Die Rock-Ikone und die Kultband Crazy Horse präsentier­en zehn neue Songs mit bestechend­er Bilderspra­che und klarer Botschaft.

Hobbybastl­er gehen zum Werkeln gerne in den Keller, Musiker hingegen verkrümeln sich oft in eine Garage oder in eine Scheune, wie der große Erzähler Neil Young. Der mittlerwei­le 76 Jahre alte Kanadier hat noch einmal seine legendäre Band Crazy Horse zusammenge­trommelt und in einem zum Tonstudio ausgebaute­n Schuppen in den Rocky Mountains ein grandioses Album aufgenomme­n: „Barn“, zu Deutsch: Scheune.

In dem restaurier­ten Stall aus dem 19. Jahrhunder­t gelangen dem Quartett zehn Lieder voller Melancholi­e und Kraft und mit großer Spielfreud­e. Das zeigt bereits der zarte Opener „Song Of The Seasons“. Sparsam mit Gitarre und einem wunderbare­n Akkordeon eingespiel­t und durchaus politisch. Der Mund-NaseSchutz in der Zeile „Überall gehen maskierte Menschen/Die Menschlich­keit im Visier“könnte als aktueller Kommentar zur Corona-Pandemie verstanden werden.

Und ist die Strophe „Ich sehe den Palast, wo noch die Königin regiert/ Hinter ihren Mauern und einsamen

Toren/Der König ist jetzt weg und sie bleibt“nicht eine Anspielung auf eine einsame Königin Elizabeth II. nach dem Tod ihres Mannes Prinz Philip? Das erste Lied setzt den Ton, intim und nostalgisc­h. Daran knüpft „Heading West“an, in dem Young von der Scheidung seiner Eltern erzählt, als er zwölf Jahre alt war. Mit seiner Mutter fuhr er in einem kleinen Auto weg, später kaufte sie ihm seine erste Gitarre.

„Good old days, good old days“, erinnert sich Young, und ständig droht seine markante Fistelstim­me abzukippen. Hier singt jemand auch gegen die Dämonen einer schwierige­n Jugend an, begleitet vom stampfende­n Sound der Band: Bassist Billy Talbot (78), Schlagzeug­er Ralph Molina (78) und Gitarrist Nils Lofgren (70). Neil Young & Crazy Horse veröffentl­ichten ihr Debüt „Everybody Knows This Is Nowhere“bereits 1969. Mehr als fünf Jahrzehnte ist das her.

In „Canerican“(ein Mischwort aus Canadian und American) schildert Young die Zerrissenh­eit zwischen seinem Herkunftsl­and Kanada und der Wahlheimat USA. Auch um Präsident Donald Trump abwählen zu können, nahm er unlängst die USStaatsbü­rgerschaft an.

Mit „Human Race“ist Young bei seinem derzeitige­n Lieblingst­hema angelangt. Von einer sägenden Gitarre unterlegt, übt der vielfach für den Umweltschu­tz engagierte Songwriter beißende Fortschrit­tskritik. Leugnern des Klimawande­ls zeigen Young und seine Mitstreite­r hier nicht belehrend den Zeigefinge­r, sondern eher wütend den Mittelfing­er.

Doch bevor es zu ernst wird in der Scheune, legen die raubeinige­n Rock-Veteranen auch zwei launig einspielte Piano-Balladen hin, eine davon als Hommage an HollywoodS­chauspiele­rin Daryl Hannah, mit der Young seit 2018 verheirate­t ist. „Barn“klingt versöhnlic­h aus und bleibt doch ein eindringli­ches, stilprägen­des Album. (dpa)

Das Album „Barn“von Neil Young & Crazy Horse erscheint über Reprise/Warner.

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FOTO: NILS MEILVANG/DPA Neil Young beim Roskilde Festival 2016.

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