In Unterwäsche in der Zelle
Geschwister verbringen 36 Stunden fast unbekleidet
- Dass in Corona-Zeiten auch mal der Haussegen schiefhängen kann, ist klar. In Immenstadt ist ein Familientreffen allerdings derart eskaliert, dass es nicht nur für vier Verwandte im Arrest endete; die Immenstädter Polizei bekam jetzt im Nachgang noch einen richterlichen Rüffel für ihr Vorgehen.
Der Vorfall ereignete sich an Ostern 2020 während des ersten Lockdowns. Damals wurden zwei Schwestern, ihr Bruder, ihre Mutter und deren Lebensgefährte in Immenstadt in Quarantäne geschickt, weil sich die Mutter und eine der Töchter mit dem Corona-Virus infiziert hatten. Das enge Zusammenleben tat der Stimmung offenbar nicht gut. Schon an Karfreitag kam es in der Gruppe zu einer Auseinandersetzung, bei der eine der Schwestern an der Hand verletzt wurde und ärztlich behandelt werden musste. Am Karsamstag kurz vor Mitternacht alarmierte dann der Lebensgefährte der Mutter die Polizei: Er werde von den vier anderen attackiert und brauche dringend Hilfe.
Streifenbeamte rückten an. Um den Mann vor weiteren Angriffen zu schützen, brachten sie die Mutter und eine Schwester in den Arrest nach Kempten. Die andere Schwester und ihr Bruder wurden in der Polizeiinspektion Immenstadt in Sicherheitsgewahrsam genommen. Dort mussten sich beide zur Untersuchung ausziehen. Ihre Oberbekleidung wurde – wohl, weil man eine Infektionsgefahr fürchtete – in Plastikbeutel verpackt. Anschließend wurden Bruder und Schwester nur in Unterwäsche bekleidet in die Arrestzelle gesperrt. Dort verbrachten sie knapp 36 Stunden. Am Ostermontag wurden sie dem Ermittlungsrichter vorgeführt.
Der ließ die Frau sofort frei, ihr Bruder wurde am Folgetag auf freien Fuß gesetzt. Damit war die Geschichte
Eine Fortsetzungsfeststellungsklage (FFK) hat das Ziel, einen bereits erledigten Verwaltungsakt für rechtswidrig erklären zu lassen. Vor allen im Polizei- und Ordnungsrecht
aber nicht beendet. Weil die Geschwister mit der Behandlung im Immenstädter Arrest alles andere als zufrieden waren, zogen sie vor Gericht. Im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage (siehe Infokasten) sollten Richter klären, ob das Vorgehen der Beamten korrekt war.
Das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Augsburg endete jetzt mit einem Rüffel für die Polizei. „Die 8. Kammer hat festgestellt, dass es in diesem Einzelfall rechtswidrig war, die Kläger eineinhalb Tage nur in Unterwäsche bekleidet einzusperren“, bestätigt Sprecher Dr. Richard Wiedemann. Die Wegnahme der Kleidung sei in diesem Fall „objektiv nicht nötig gewesen“und habe gegen das Persönlichkeitsrecht verstoßen.
Anwalt Bernhard Hannemann, der die Geschwister in dem Verfahren vertrat, wertet das Urteil als vollen Erfolg. „Auch in Ausnahmefällen wie der Corona-Pandemie gibt es Grundrechte“, sagt der Augsburger Jurist. „Die Polizisten hätten erkennen müssen, dass ihr Vorgehen gegen die Menschenwürde meiner Mandaten verstößt. Es ist gut, dass das Gericht dies klar gemacht hat.“
In einigen weiteren Punkten, die sie moniert hatten, waren die Geschwister dagegen nicht erfolgreich. So hatten sie unter anderem erklärt, sie hätten in der Zelle nicht genügend Decken bekommen, obwohl die Polizei – wohl auch aus Corona-Gründen – ständig kräftig gelüftet habe. Dem wollte die Kammer unter Vorsitz von Richter Alex Glaser aber nicht folgen. „Als sie weitere Decken bekamen, verwendete die Klägerin ihre als Kopfkissen und der Kläger zerriss seine und nutzte sie als Lendenschurz“, so Sprecher Wiedemann.
Folgen für die Beamten, die damals Dienst hatten, wird das Urteil nicht haben. Anwalt Hannemann: „Meine Mandanten werden wohl auf Schadensersatz- oder Schmerzensgeldforderungen verzichten.“
spielt die FFK eine Rolle. Betroffene einer kurzzeitigen polizeilichen Maßnahme können so im Nachhinein überprüfen lassen, ob diese rechtlich korrekt war. (bo)