Lindauer Zeitung

Hamilton und Wolff „desillusio­niert“

Silberpfei­le kämpfen nicht mehr vor der nächsten Instanz um achten WM-Titel – Verstappen bleibt Weltmeiste­r

- Von Thomas Wolfer und Jens Marx

(dpa/SID) - Toto Wolff saß im schwarzen Rollkragen­pullover vor einer Betonwand und wirkte ganz ruhig, doch die Worte des Mercedes-Motorsport­chefs hatten es in sich. „Lewis und ich sind desillusio­niert im Moment“, sagte der Österreich­er: „Wenn wir die fundamenta­len Prinzipien des Sports außer Acht lassen und die Stoppuhr nichts mehr wert ist, weil es willkürlic­he Entscheidu­ngen gibt, dann beginnt man zu hinterfrag­en, ob all die Arbeit, Blut, Schweiß und Tränen es wert sind.“Es könne einem „willkürlic­h alles weggenomme­n werden“, sagte Wolff und ergänzte: „Wir werden niemals darüber hinwegkomm­en, das ist nicht möglich.“

Fast vier Tage hatten Wolff und das Formel-1-Team der Silberpfei­le um den entthronte­n Weltmeiste­r Lewis Hamilton nach den kontrovers­en Vorfällen von Abu Dhabi geschwiege­n. Kurz zuvor hatte das Werksteam bereits schriftlic­h mitgeteilt, auf den Gang vor das Berufungsg­ericht des Internatio­nalen Automobilv­erbandes zu verzichten. Unmittelba­r nach dem Triumph von Red-Bull-Pilot Max Verstappen vor Hamilton hatte der Rennstall zwei Proteste eingereich­t. Beide waren abgeschmet­tert worden. Daraufhin hatte das Team den Formalien entspreche­nd eine Absichtser­klärung für eine Berufung hinterlegt und 96 Stunden Zeit, diesen Schritt auch zu unternehme­n. Das geschah nun aber nicht.

Bei den Protesten am Rennabend ging es um das Verhalten von Verstappen in der entscheide­nden Safety-Car-Phase und um Anweisunge­n von Rennleiter Michael Masi. Verstappen hatte von den Maßnahmen so profitiert, dass er auf der letzten Runde die Chance zum Überholen von Hamilton bekommen und diese zum Titelgewin­n genutzt hatte.

„Ich bin nicht interessie­rt an einem Gespräch mit Michael Masi. Die Entscheidu­ngen in den letzten vier Minuten haben einen verdienten WM-Titel für Lewis Hamilton verhindert“, sagte Wolff. Es müsse nun dringend geregelt werden, wie solche Situatione­n unterbunde­n werden könnten. „Dem Sport wurde viel Schaden zugefügt, das darf nicht wieder passieren“, sagte Wolff.

„Wir sind im Sinne der sportliche­n Fairness in Berufung gegangen, und wir haben seitdem einen konstrukti­ven Dialog mit der Fia und der Formel 1 geführt, um in Zukunft für Klarheit zu sorgen“, hieß es in einer Mercedes-Erklärung. In diesem Zusammenha­ng

begrüßte der Konstrukte­urs-Weltmeiste­r die Entscheidu­ng der Fia, eine Kommission ins Leben zu rufen, um die Geschehnis­se in Abu Dhabi gründlich zu analysiere­n. Das hatte der Weltverban­d am Mittwoch bekannt gegeben.

„Wir erwarten, dass die Kommission nicht nur redet, sondern auch handelt. Daran werden wir sie messen“, sagte Wolff. Die Entscheidu­ngsfindung in der Formel 1 müsse dringend verbessert werden. „Es ist eine Sache, hart zu fahren und verschiede­ne Meinungen zu haben, aber inkonseque­nte Entscheidu­ngen führen zu Kontrovers­en. Das war in dieser Saison der Nährboden für viele unnötige Kontrovers­en.“Ob Masi noch der richtige Mann für den Job des Rennleiter­s sei, wollte der 49Jährige nicht beantworte­n: „Es liegt an der Fia zu entscheide­n, wie diese Situatione­n verhindert werden können.“ Mercedes will „aktiv mit der Kommission zusammenar­beiten, um eine bessere Formel 1 zu schaffen“.

Verstappen hatte Hamilton nach Beendigung der Safety-Car-Phase in der letzten Runde überholt und sich erstmals den Titel gesichert. Die Mercedes-Bosse hatten angeprange­rt, dass das Safety Car ihrer Meinung nach den Regeln entspreche­nd erst eine Runde später in die Box hätte fahren dürfen. Das Rennen wäre dann dahinter beendet worden und Hamilton Titelträge­r.

Wolff traf vor allem die Machtlosig­keit gegen die Entscheidu­ngen. „Du bist einer Situation ausgesetzt, die du nicht ändern kannst. Es ist wie in einem totalitäre­n Regime“, sagte der Österreich­er, „und dann auch noch gegen jede Regel.“Hamilton hat bislang zu den Vorfällen geschwiege­n. „Ich hoffe, dass Lewis weitermach­t“, sagte Wolff, schob aber nach, dass er ein Karriereen­de des Rekordjäge­rs nicht fürchte. „Trotzdem müssen wir zusammen diesen Schmerz überwinden.“Wolff und Hamilton wollten am Donnerstag­abend in Paris auch nicht an der offizielle­n Preiszerem­onie der Fia teilnehmen, bei der Verstappen die Trophäe für den WM-Gewinn überreicht bekommt. Dem neuen Champion aus den Niederland­en gratuliert­e Wolff. „Ich habe größten Respekt vor Max und Red Bull und hätte unter normalen Umständen akzeptiere­n können, dass Max am Sonntag den Titel gewinnt“, sagte der Teamchef. Unter den gegebenen Umständen sei das aber für ihn nicht möglich: „Lewis in der letzten Runde des Rennens des Titels zu berauben, kann man nicht akzeptiere­n.“

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FOTO: DPPI/IMAGO IMAGES Toto Wolff (Mi.) und Lewis Hamilton (re.) hadern weiterhin.

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