Hamilton und Wolff „desillusioniert“
Silberpfeile kämpfen nicht mehr vor der nächsten Instanz um achten WM-Titel – Verstappen bleibt Weltmeister
(dpa/SID) - Toto Wolff saß im schwarzen Rollkragenpullover vor einer Betonwand und wirkte ganz ruhig, doch die Worte des Mercedes-Motorsportchefs hatten es in sich. „Lewis und ich sind desillusioniert im Moment“, sagte der Österreicher: „Wenn wir die fundamentalen Prinzipien des Sports außer Acht lassen und die Stoppuhr nichts mehr wert ist, weil es willkürliche Entscheidungen gibt, dann beginnt man zu hinterfragen, ob all die Arbeit, Blut, Schweiß und Tränen es wert sind.“Es könne einem „willkürlich alles weggenommen werden“, sagte Wolff und ergänzte: „Wir werden niemals darüber hinwegkommen, das ist nicht möglich.“
Fast vier Tage hatten Wolff und das Formel-1-Team der Silberpfeile um den entthronten Weltmeister Lewis Hamilton nach den kontroversen Vorfällen von Abu Dhabi geschwiegen. Kurz zuvor hatte das Werksteam bereits schriftlich mitgeteilt, auf den Gang vor das Berufungsgericht des Internationalen Automobilverbandes zu verzichten. Unmittelbar nach dem Triumph von Red-Bull-Pilot Max Verstappen vor Hamilton hatte der Rennstall zwei Proteste eingereicht. Beide waren abgeschmettert worden. Daraufhin hatte das Team den Formalien entsprechend eine Absichtserklärung für eine Berufung hinterlegt und 96 Stunden Zeit, diesen Schritt auch zu unternehmen. Das geschah nun aber nicht.
Bei den Protesten am Rennabend ging es um das Verhalten von Verstappen in der entscheidenden Safety-Car-Phase und um Anweisungen von Rennleiter Michael Masi. Verstappen hatte von den Maßnahmen so profitiert, dass er auf der letzten Runde die Chance zum Überholen von Hamilton bekommen und diese zum Titelgewinn genutzt hatte.
„Ich bin nicht interessiert an einem Gespräch mit Michael Masi. Die Entscheidungen in den letzten vier Minuten haben einen verdienten WM-Titel für Lewis Hamilton verhindert“, sagte Wolff. Es müsse nun dringend geregelt werden, wie solche Situationen unterbunden werden könnten. „Dem Sport wurde viel Schaden zugefügt, das darf nicht wieder passieren“, sagte Wolff.
„Wir sind im Sinne der sportlichen Fairness in Berufung gegangen, und wir haben seitdem einen konstruktiven Dialog mit der Fia und der Formel 1 geführt, um in Zukunft für Klarheit zu sorgen“, hieß es in einer Mercedes-Erklärung. In diesem Zusammenhang
begrüßte der Konstrukteurs-Weltmeister die Entscheidung der Fia, eine Kommission ins Leben zu rufen, um die Geschehnisse in Abu Dhabi gründlich zu analysieren. Das hatte der Weltverband am Mittwoch bekannt gegeben.
„Wir erwarten, dass die Kommission nicht nur redet, sondern auch handelt. Daran werden wir sie messen“, sagte Wolff. Die Entscheidungsfindung in der Formel 1 müsse dringend verbessert werden. „Es ist eine Sache, hart zu fahren und verschiedene Meinungen zu haben, aber inkonsequente Entscheidungen führen zu Kontroversen. Das war in dieser Saison der Nährboden für viele unnötige Kontroversen.“Ob Masi noch der richtige Mann für den Job des Rennleiters sei, wollte der 49Jährige nicht beantworten: „Es liegt an der Fia zu entscheiden, wie diese Situationen verhindert werden können.“ Mercedes will „aktiv mit der Kommission zusammenarbeiten, um eine bessere Formel 1 zu schaffen“.
Verstappen hatte Hamilton nach Beendigung der Safety-Car-Phase in der letzten Runde überholt und sich erstmals den Titel gesichert. Die Mercedes-Bosse hatten angeprangert, dass das Safety Car ihrer Meinung nach den Regeln entsprechend erst eine Runde später in die Box hätte fahren dürfen. Das Rennen wäre dann dahinter beendet worden und Hamilton Titelträger.
Wolff traf vor allem die Machtlosigkeit gegen die Entscheidungen. „Du bist einer Situation ausgesetzt, die du nicht ändern kannst. Es ist wie in einem totalitären Regime“, sagte der Österreicher, „und dann auch noch gegen jede Regel.“Hamilton hat bislang zu den Vorfällen geschwiegen. „Ich hoffe, dass Lewis weitermacht“, sagte Wolff, schob aber nach, dass er ein Karriereende des Rekordjägers nicht fürchte. „Trotzdem müssen wir zusammen diesen Schmerz überwinden.“Wolff und Hamilton wollten am Donnerstagabend in Paris auch nicht an der offiziellen Preiszeremonie der Fia teilnehmen, bei der Verstappen die Trophäe für den WM-Gewinn überreicht bekommt. Dem neuen Champion aus den Niederlanden gratulierte Wolff. „Ich habe größten Respekt vor Max und Red Bull und hätte unter normalen Umständen akzeptieren können, dass Max am Sonntag den Titel gewinnt“, sagte der Teamchef. Unter den gegebenen Umständen sei das aber für ihn nicht möglich: „Lewis in der letzten Runde des Rennens des Titels zu berauben, kann man nicht akzeptieren.“