Im Schlaf getötet
Mutter aus Oberstadion wegen Mordes an ihren arglosen Kindern verurteilt
- Sie hat aus Verzweiflung ihre kleinen Kinder getötet und wollte anschließend selbst aus dem Leben scheiden. Der Suizid scheiterte, daher musste sich eine 36jährige Mutter aus Oberstadion im Alb-Donau-Kreis vor dem Ulmer Landgericht für ihre Taten verantworten. Das Urteil fiel am Freitag: 13 Jahre Gefängnis wegen Mordes an dem drei Jahre und zehn Monate alten Sohn und an der sechs Jahre und neun Monate alten Tochter.
Der Vorsitzende Richter Wolfgang Tresenreiter bezifferte in seiner Urteilsbegründung das Alter der Kinder wohl auch deshalb so exakt, um die Tragik des Geschehens zu unterstreichen. „Solch eine Tat erschreckt uns alle“, sagte er. Ein Mensch, der zuvorderst seinen Kindern Schutz biete, setze die Rolle ins Gegenteil um. „Das stellt unser Weltbild auf den Kopf.“Mit großer Sorgfalt war das Gericht an acht Prozesstagen der Frage auf den Grund gegangen, wie so etwas geschehen konnte. Dabei gelte zu beachten, so der Richter: „Auch wenn es eine Wahnsinnstat war, muss sie nicht zwingend im Wahnsinn passiert sein.“
Der psychiatrische Gutachter hatte der geständigen Angeklagten ein schweres depressiv-suizidales Syndrom attestiert, das ihre Steuerungsfähigkeit ebenso eingeschränkt habe wie die Einsicht, welches Unrecht sie mit dem geplanten erweiterten Suizid begehen würde. Einen Racheakt gegen den eigenen Mann schloss der Gutachter nahezu aus.
Nicht jedoch das Gericht, und deshalb ging Tresenreiter in seiner Begründung sehr ausführlich auf die gescheiterte, zehnjährige Ehe ein. Die beiden hätten sehr früh erkannt, dass sie nicht so recht zueinander passen, aber nie den Mut zur Aufarbeitung von Problemen oder zur Trennung gefunden. Wie Auszüge aus WhatsApp-Chats zeigten, wurde der Ton der pedantisch-perfektionistischen Frau im Laufe der Ehejahre gegenüber ihrem Mann immer harscher. Sie warf ihm vor, die Heizung nicht heruntergedreht zu haben, sodass die Tochter bei 20 Grad Raumtemperatur in nur für 18,5 Grad ausgelegter Kleidung schwitzen musste. Sie gab ihm die Schuld, dass sich ihr Bruder bei einem Besuch, auf den sich die Kinder so gefreut hatten, nicht wirklich mit ihnen beschäftigt habe. Er zog nicht wie vereinbart alle Rollläden herunter, lernte mit der Tochter nicht richtig Mathe und machte „unwichtige Treffen mit irgendwelchen Finanzheinis“nicht außerhalb der Betreuungszeit für seine Kinder aus. Alles, was ihr
Mann machte, war in ihren Augen falsch, urteilte der Richter. „Sie konnte ihn nicht mehr ausstehen.“Sogar bei der einzigen Aussage vor Gericht habe sie den Namen ihres Mannes nicht etwa nur genannt, sondern förmlich ausgespuckt.
Die Situation verschärfte sich, als der Ehemann ab Februar 2020 wegen eines Unfalls arbeitsunfähig wurde und den Haushalt sowie die Betreuung der Kinder übernahm. Die Frau musste daher widerwillig eine Vollzeitstelle als Leiterin eines Kindergartens annehmen. Den Rollentausch habe sie als drohende Entfremdung von ihren geliebten Kindern aufgefasst.
Überfordert mit dem Spagat zwischen beruflicher und familiärer Belastung und gefangen in der „ganz privaten Hölle“, so Tresenreiter, habe sich die Angeklagte von banalen Ereignissen in die Katastrophe treiben lassen. Darunter einem Streit mit der Mutter, die ihr klarmachte, dass sie für die Wahl ihres Ehemannes die Verantwortung selber trage. Sowie am Tatabend, als sie die pure Anwesenheit des Ehemannes, der auf dem Sofa und vor dem Fernseher saß, nicht aushalten konnte. „Er sitzt nur da. Das war wahrscheinlich der
Punkt, an dem sie erkannte: Er sitzt heute da, morgen, übermorgen – ich muss hier raus!“
Weil eine Trennung für die Frau nicht infrage kam („Sie hätte damit einräumen müssen, gescheitert zu sein“), habe sie den Tod als einzigen Ausweg empfunden – für sich und auch für ihre Kinder. Von einer „symbiotischen Beziehung“zu ihren Kindern hatte der Psychiater gesprochen. „Das ist nichts Positives“, machte der Richter klar. „Das ist, als ob man sich das Wesen des anderen einverleibt.“Der Prozess habe gezeigt, dass die Kinder derart im Fokus der Angeklagten gestanden hätten, dass sie sich gesagt habe: „Wohin ich auch gehe, gehen die Kinder mit.“
Noch an jenem Sonntagabend habe sie abgewartet, bis ihr Ehemann zu Bett ging, den schlafenden Kindern nacheinander mit Helium gefüllte Tüten über den Kopf gestülpt und sich dabei auf sie gesetzt, um die Erstickung mittels Druck auf die Lunge zu forcieren. Dass sie das Gas am Samstag gekauft hatte, nachdem sie am Freitag zum ersten Mal nach Methoden zum erweiterten Suizid geforscht hatte, wertete der Richter als Beleg, dass die Angeklagte gelogen hatte. Die hatte behauptet, das
Helium für den Kindergarten gekauft zu haben. Der Versuch, sich nach der Tat selbst zu töten, scheiterte.
Rechtlich sei das Geschehen als zweifacher heimtückischer Mord zu bewerten, weil die Arg- und Wehrlosigkeit der Kinder ausgenutzt worden sei. Zu berücksichtigen sei, dass sich die Angeklagte in einer depressiven Episode „mit stark tunnelartig verengtem Blick befunden habe“, also ihre Steuerungsfähigkeit zum Tatzeitpunkt erheblich vermindert gewesen sei. Eine Freiheitsstrafe von 13 Jahren hielt das Gericht daher für angemessen.
Staatsanwalt Werner Doster bezeichnete im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“das Urteil als angemessen: „Wettmachen kann man das Verbrechen damit ohnehin nicht. Die Angeklagte wird ein Leben lang mit ihrer Schuld zurechtkommen müssen.“
Auch Verteidiger Thorsten Storp sprach von einem nachvollziehbaren Urteil, das er wohl nicht anfechten werde. „Wichtig und richtig ist, dass keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wurde, weil es meiner Mandantin eine Perspektive gibt.“Dass sie stark darunter leide, was sie getan habe, sei jedoch offensichtlich.