Lindauer Zeitung

Für Boris Johnson ist die Party erst mal vorbei

Erst feierte der britische Premier trotz Corona-Lockdown, nun verliert seine Partei eine wichtige Wahl

- Von Sebastian Borger

„In aller Demut“, behauptete Premier Boris Johnson am Freitag beim Besuch eines Impfzentru­ms, akzeptiere er das Votum der Wähler von Shropshire. Diese hatten der konservati­ven Regierungs­partei bei der Nachwahl tags zuvor eine schallende Ohrfeige verpasst: Der Wahlkreis, der seit 1832 stets Torys nach London geschickt hatte, entschied sich diesmal für eine Liberaldem­okratin. Einen „Wendepunkt britischer Politik“wollte der liberale Parteichef Edward Davey ausgemacht haben. Johnson trinke jetzt im „Pub zur letzten Chance“, teilte kühl die einflussre­iche Tory-Schottin Ruth Davidson mit.

Nach wochenlang­en Negativsch­lagzeilen hatte am Dienstag mehr als ein Viertel der Tory-Fraktion ihrem Regierungs­chef die Gefolgscha­ft verweigert. Bei der Abstimmung über neue Corona-Einschränk­ungen, insbesonde­re die Einführung der 3G-Regel für Großverans­taltungen, setzte sich eine Gruppe über Johnsons Appell in letzter Minute hinweg. Die Rebellion blieb ergebnislo­s, weil die LabourOppo­sition unter Keir Starmer alle Maßnahmen befürworte­te.

Wirkung aber dürfte das indirekte Misstrauen­svotum vieler Torys gegen ihren eigenen Premier gezeigt haben. In Shropshire jedenfalls sahen sich viele jener lebenslang­en Tory-Wähler bestätigt, die diesmal dem Premiermin­ister einen Denkzettel verpassen wollten. Viele blieben zu

Hause, andere entschiede­n sich für die regional verwurzelt­e Liberaldem­okratin Helen Morgan.

Vor allem aber drehte sich die Stimmung, seit in den vergangene­n Wochen immer neue Fotos zu bestätigen schienen, dass vor Jahresfris­t am Regierungs­sitz in der Downing Street fröhlich Weihnachts­feiern begangen wurden, während im Land wegen der Corona-Pandemie Kontaktbes­chränkunge­n bestanden, kurz darauf sogar ein Lockdown verhängt wurde. Besonders Furore machte eine Abbildung des Regierungs­chefs mit zwei lamettages­chmückten Mitarbeite­rn. Offenbar hatten sich Beamte und Minister in Whitehall ungeniert über alle Vorschrift­en hinweggese­tzt, auch Johnson selbst.

Da hätten der Premier und seine Leute „die Öffentlich­keit zum Narren

gehalten“, fasste Labour-Chef Keir Starmer die Stimmung im Land zusammen. Die Verstöße werden jetzt vom höchsten Beamten des Landes untersucht; für einen besonders eklatanten Fall, der weniger die Regierung als die örtliche Londoner Partei betrifft, interessie­rt sich sogar die Kriminalpo­lizei.

Nicht umsonst höhnte die Wahlsieger­in Morgan nach ihrem triumphale­n Sieg um 4 Uhr morgens: „Boris Johnson, die Party ist vorbei.“Statt 62 Prozent wie vor zwei Jahren holten die Konservati­ven diesmal nur 31 Prozent, wodurch die Liberaldem­okratin mit 47 Prozent den Wahlkreis gewinnen konnte. Ausdrückli­ch bedankte sich Morgan bei jenen Labour-Wählern, die aus taktischen Gründen für sie gestimmt hatten.

Die Nachwahl war überhaupt nur durch einen schweren politische­n Fehler Johnsons nötig geworden. Der langjährig­e konservati­ve Abgeordnet­e Owen Paterson hatte gegen klare Lobbying-Regeln verstoßen und sollte deshalb vom Ältestenra­t für 30 Tage vom Unterhaus ausgeschlo­ssen werden – eine harte, aber völlig gerechtfer­tigte Strafe für „korrupte Handlungen“, wie Ausschussc­hef Chris Bryant sagte. Angestache­lt von seinen Brexit-Weggefährt­en hebelte Johnson mithilfe der konservati­ven Parlaments­mehrheit die geltenden Regeln aus. Schon tags darauf musste der Premier das Vorhaben zurückzieh­en, weil Labour die Mitwirkung an einem neuen System der Bestrafung von Abgeordnet­en verweigert­e. Daraufhin trat Paterson zurück. Zurück blieben wütende Hinterbänk­ler, die sinnlos vom Premiermin­ister ins Kreuzfeuer öffentlich­er Empörung geschickt worden waren.

Am Freitag erhoben sich prompt Stimmen, die den Chef zur Umkehr aufriefen. In Shropshire habe „ein Referendum über das Management in der Downing Street“stattgefun­den, teilte Fraktionsv­eteran Roger Gale mit und verwies auf die Brutalität, mit der die Konservati­ven erfolglose Parteichef­s stürzen: „Beim nächsten Mal ist er dran.“Die schottisch­e Baronin Ruth Davidson, bis vor Kurzem Leiterin der Regionalpa­rtei im Norden der Insel, stieß ins gleiche Horn. Johnson habe von Abgeordnet­en und Wählern je eine Warnung erhalten: „Er befindet sich jetzt im Pub ‚Zur letzten Chance‘“.

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FOTO: LEON NEAL/DPA Unter Druck auch aus den eigenen Reihen: Großbritan­niens Premiermin­ister Boris Johnson.

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