Lindauer Zeitung

EU streitet über Regeln für Atomkraft

Mehrere Staaten wollen Technologi­e als nachhaltig einstufen, um neue Kraftwerke günstig zu finanziere­n

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(dpa) - Der Streit um die Einstufung von Atomkraft als umweltfreu­ndliche Technologi­e entzweit die EU-Länder. Stundenlan­ge Diskussion­en beim EU-Gipfel in Brüssel endeten in der Nacht zu Freitag ohne gemeinsame Schlussfol­gerungen zum Thema Energie, wie Ratschef Charles Michel bekannt gab. Nach Angaben von Diplomaten bestanden Polen und Tschechien auf die Erwähnung geplanter Regeln, die vermutlich Investitio­nen in Kernkraft und Gas als umweltfreu­ndlich einstufen werden. Für Deutschlan­d, Luxemburg und Österreich sei das nicht infrage gekommen, sagte der österreich­ische Bundeskanz­ler Karl Nehammer. Er beschrieb die Diskussion als „emotional“.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hingegen relativier­te die Diskussion und sagte, die Frage der Einstufung der Atomkraft werde „überbewert­et“. Es gehe um Einschätzu­ngen zu Unternehme­n, die eher für Anleger wichtig seien. Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) hatte zuletzt bei einem Besuch in Paris ihre Ablehnung zur Einstufung von Atomkraft als „grüner“Energie betont.

Hintergrun­d der Diskussion­en ist die sogenannte Taxonomie, die die EU nach und nach komplettie­ren will. Sie soll einordnen, welche Bereiche der Wirtschaft als umweltfreu­ndlich gelten und so Bürger und

Anlegern klare Informatio­nen über nachhaltig­e Finanzprod­ukte geben. Die Diskussion ist besonders intensiv, da die EU-Länder ihren eigenen Industrien Vorteile verschaffe­n wollen – etwa durch bessere Konditione­n für Kredite.

Der polnische Premiermin­ister Mateusz Morawiecki sagte, die Kommission müsse eine freundlich­e Regelung für die Finanzieru­ng von Investitio­nen in Gas- und Atomenergi­e verabschie­den. Nehammer machte hingegen klar, „dass Atomenergi­e aus Sicht Österreich­s keine Zukunft hat, auch keine Zukunft hat als alternativ­e Energieque­lle“.

Der österreich­ische Kanzler zeigte zwar Verständni­s dafür, dass Polen etwa wegen seiner großen Kohleindus­trie sich eher auf Atomkraft in der Energiewen­de stützen wolle. „Gleichzeit­ig betrachten wir Atomenergi­e als so gefährlich, dass selbst bei der besten Technologi­e es einfach passieren kann, dass Menschen Fehler machen und es zu einer Katastroph­e kommt“, sagte Nehammer mit Verweis auf Tschernoby­l und Fukushima.

Die EU-Kommission will eigentlich bis Ende des Jahres einen Rechtsakt vorstellen, der die Frage abschließe­nd klären könnte. Es gilt als wahrschein­lich, dass bestimmte Gas- und Atomkraftw­erke zumindest vorübergeh­end in der Taxonomie gelistet werden.

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