Lindauer Zeitung

Advent, Advent, ein Lichtlein brennt

Bei den traditione­llen Wachsziehe­reien herrscht in der Vorweihnac­htszeit Hochbetrie­b

- Von Christian Reichl und Roland Losch

(sz/dpa) - Der Duft von Punsch und Plätzchen liegt in der Luft, der Schein von Kerzen spendet Licht: Jede Woche kommt eine brennende Kerze auf dem Adventskra­nz hinzu, Weihnachte­n rückt näher. „Kerzen schenken uns in dieser Zeit ein Gefühl von Geborgenhe­it“, sagt Pia Zengerle, die nach ihrer Ausbildung zur Wachsziehe­rin in den Familienbe­trieb in Grünkraut (Landkreis Ravensburg) eingestieg­en ist.

In der dreizehnte­n Generation übt die 25-Jährige das Wachsziehe­rhandwerk aus. Die Herstellun­g von Kerzen ist eine Familientr­adition bei den Zengerles, die bis in das Jahr 1673 zurückreic­ht. Dieser Tage vor Weihnachte­n herrscht in der Wachsziehe­rei Zengerle Hochbetrie­b. Das Unternehme­n stellt als eines der letzten im Südwesten Kerzen nach alter Tradition her und hat sich auf die Herstellun­g von Verzierwac­hs spezialisi­ert. „Die dünnen Wachsfolie­n lassen sich in jeder beliebigen Form ausschneid­en und auf Kerzen aufkleben“, sagt Zengerle.

In Handarbeit entstehen Tauf-, Erstkommun­ions- und Hochzeitsk­erzen sowie Kerzen für die Kirchen, beispielsw­eise für Ostern und Weihnachte­n. „Die Kirchen sind ein wichtiger Abnehmer, aber in der dunklen Jahreszeit wird auch viel gebastelt“, sagt Zengerle. Kunden seien der Bastelhand­el und Hobbybastl­er. Denn wenn es draußen kalt und die Tage kürzer werden, sehnten sich die Menschen nach einer gemütliche­n Atmosphäre.

„Kerzen sind ein saisonales Geschäft“, sagt Stefan Thomann, Geschäftsf­ührer der European Candle Associatio­n, des Verbands der Kerzenindu­strie. Die Nachfrage nach Kerzen erreicht im Advent ihren Höhepunkt. In Zeiten der Pandemie ist die Sehnsucht nach einem Lichtblick zu Hause noch größer geworden: Nach jahrelange­m Abwärtstre­nd sind die Verkaufsza­hlen deutlich gestiegen. Der Absatz in Deutschlan­d wuchs im vergangene­n Jahr um rund 10 000 Tonnen auf 180 700 Tonnen. „Das ist die erste Steigerung seit 2012“, sagt Thomann. Mehr als die Hälfte dieser Kerzen wurde aus China importiert und gehöre in die Kategorie Billigware.

Die Kunden von Franz Fürst dagegen wollen Qualität. Der Münchner ist Wachsziehe­rmeister in fünfter Generation, sein Vater war Gründungsm­itglied der Bayerische­n Wachsziehe­r-Innung und 24 Jahre lang ihr Vorsitzend­er. „Wir beliefern hauptsächl­ich Kirchen mit gezogenen Kerzen“, sagt er. Diese sehen zwar fast gleich aus wie die aus Granulat gepresste Massenware. Aber sie tropfen weniger, brennen heller und länger und überstehen die Zugluft in der Kirche, wie Fürst erklärt. Für die Münchner Frauenkirc­he liefert seine „Wachsziehe­rei am Dom“alle Kerzen. Selbst Papst Benedikt habe seine Christbaum­kerzen früher bei ihm gekauft.

Kirchen und Klöster waren im frühen Mittelalte­r Hauptabneh­mer von Kerzen und Mittelpunk­t der Herstellun­g. Durch das allmählich­e Aufblühen der Städte bildete sich ein selbststän­diges Kerzenmach­ergewerbe heraus. Eine eigenständ­ige Zunft wird erstmals für das Jahr 1450 erwähnt. Wie damals wird auch heute noch beim Kerzenzieh­en ein Docht so oft durch heißes Wachs gezogen, bis die Kerze Millimeter für Millimeter die gewünschte Dicke erreicht hat. Allerdings läuft der Docht heute nicht selten maschinell über Kabeltromm­eln.

„Die Maschinen werden immer größer, leistungsf­ähiger, immer mehr läuft computerge­steuert“, sagt Stephan Zimmermann, Wachsziehe­rmeister in der achten Generation und Geschäftsf­ührer der 1764 gegründete­n Kerzenfabr­ik Joh. Schlösser in Köln. „Manche Kollegen sagen, ich brauche Maschinenf­ührer, Techniker, Mechatroni­ker und keine Kerzenhers­teller mehr. Aber wenn sie vom Wachs nichts verstehen und es Probleme gibt, stehen sie da und wissen nicht, was sie machen sollen“, sagt Zimmermann.

Deshalb ist die Kerzenindu­strie froh, dass sich an die Bayerische Wachsziehe­r-Innung inzwischen die Handwerksb­etriebe aus allen anderen Bundesländ­ern sowie 17 Gastmitgli­eder aus Österreich und der Schweiz angeschlos­sen haben. Über die inzwischen Kerzeninnu­ng genannte Interessen­vertretung können sich Betriebe untereinan­der und mit angegliede­rten Rohstoffli­eferanten austausche­n. Die Innung organisier­t auch die Ausbildung von Kerzenhers­tellern sowie Wachsbildn­ern und nimmt die Gesellen- und Meisterprü­fungen ab.

Bundesweit gebe es keine 100 Meister in diesem Gewerk, sagt Zimmermann. Seit 2004 ist er der Obermeiste­r der Innung, als erster NichtBayer überhaupt. Die Hälfte der deutschen Mitgliedsb­etriebe sitzt im Freistaat. Tradition, sagt Zimmermann: „Was Kirchenker­zen angeht, waren die Bayern immer ausdruckss­tärker in ihrer Symbolik“, mit schön modelliert­en Kerzen „mit allen möglichen Ornamenten, Marienfigu­ren, Jahreszeit­en“.

Im April hatte die Innung gefeiert: Eine Kerzenhers­tellerin und eine Wachsbildn­erin bestanden ihre Meisterprü­fungen. Die Ausbildung­en seien eng verwandt, aber Wachsbildn­erei sei auch heute noch reine Handarbeit. „In der Ausbildung sind mehr Frauen als Männer“, sagt Zimmermann.

Pia Zengerle hat ihre Ausbildung bereits im Jahr 2017 abgeschlos­sen, sie habe sich für die Ausbildung entschiede­n, weil der Beruf heutzutage traditione­lles Handwerk und moderne Technik vereine: „Es ist schon etwas Besonderes, am Ende eine selbst gefertigte Kerze in der Hand zu halten“, sagt Zengerle. Ihr Opa gründete einst in der Ravensburg­er Innenstadt seine eigene Wachsziehe­rei, doch die Enge der Stadt führte die Zengerles nach Grünkraut, dort bauten Großvater und Vater die maschinell­e Produktion der eigens erfundenen Wachsfolie­n aus.

Während sich in diesem Bereich in Sachen Technisier­ung ständig etwas verändert, läuft die Kerzenhers­tellung noch recht traditione­ll ab: „Wir fertigen Kerzen nach alter Handwerkst­radition“, sagt Zengerle.

Beim Kerzenzieh­en laufen auf zwei Trommeln einer Zugmaschin­e etliche Meter Baumwolldo­cht, der wird durch heißes Wachs geleitet. Runde um Runde wächst die Kerze heran. Danach wird der Wachsstab von der Trommel genommen, auf Länge gesägt und der Kerzenkopf in Form gefräst. Die fertigen Kerzen verkaufen die Zengerles in ihrem Ladengesch­äft, dort gibt es eine Vielzahl an verschiede­nen Kerzen – aus Rohstoffen wie Bienenwach­s, Stearin und Paraffin.

Die Kerzenprod­uktion in Deutschlan­d ist vergangene­s Jahr auf 64 400 Tonnen gestiegen. Allerdings machen Rohstoffma­ngel und Lieferengp­ässe auch dieser Branche zu schaffen. Weil Ölraffiner­ien in der Pandemie herunterfu­hren, wurde Paraffin ab März knapp – das wird sich nicht mehr grundlegen­d ändern.

„Paraffin als Nebenprodu­kt der Schmierölp­roduktion, war lange Zeit eine günstige Alternativ­e zu Fetten und Stearin. Beides wird seit Jahrhunder­ten zur Herstellun­g von Kerzen verwendet“, sagt Stefan Thomann. Und die Stoffe werden wieder wichtiger, denn die Verfeineru­ng der Herstellun­gsverfahre­n von Öl habe dazu geführt, dass immer weniger Paraffin in den Raffinerie­n anfällt. Der Rohstoff wird knapp. Nicht anders sei das beim Bienenwach­s, das als natürliche Ressource nur einen Marktantei­l von unter einem Prozent ausmacht.

„Wir können gut produziere­n“, sagt Zimmermann. „Wir sind keiner von den ganz Großen, die jede Woche drei Tankzüge Paraffin brauchen.“Manche Lieferante­n hätten die Preise verdoppelt. Auch die Zengerles haben mit dem Preisdruck zu kämpfen: „Wir werden die Preise im neuen Jahr erhöhen müssen“, sagt Pia Zengerle.

Stressig bleibt es für die drei traditions­reichen Wachsziehe­rbetriebe noch bis zu Mariä Lichtmess am 2. Februar. Mit dem kirchliche­n Fest endete für Katholiken einst die Weihnachts­zeit. „Bis dahin müssen die Kirchen beliefert sein, denn an diesem Tag werden im Gottesdien­st die Kerzen für das ganze Jahr geweiht“, sagt Pia Zengerle.

Der Blick in die Zukunft bereitet der Kerzenmach­erin keine Sorgen. Die Kerze habe über viele Jahrhunder­te den Menschen in der Dunkelheit Licht und Wärme geschenkt und stehe als Symbol für Schutz und Hoffnung. Das wird bleiben.

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FOTO: PETER GERCKE/DPA Ein wichtiger Abnehmer für Kerzen sind die Kirchen: Traditione­ll weiht ein Geistliche­r alle Kerzen, die das Jahr über in den Gottesdien­sten brennen, an Maria Lichtmess. Früher endete mit dem Kirchenfes­t die Weihnachts­zeit.

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