Advent, Advent, ein Lichtlein brennt
Bei den traditionellen Wachsziehereien herrscht in der Vorweihnachtszeit Hochbetrieb
(sz/dpa) - Der Duft von Punsch und Plätzchen liegt in der Luft, der Schein von Kerzen spendet Licht: Jede Woche kommt eine brennende Kerze auf dem Adventskranz hinzu, Weihnachten rückt näher. „Kerzen schenken uns in dieser Zeit ein Gefühl von Geborgenheit“, sagt Pia Zengerle, die nach ihrer Ausbildung zur Wachszieherin in den Familienbetrieb in Grünkraut (Landkreis Ravensburg) eingestiegen ist.
In der dreizehnten Generation übt die 25-Jährige das Wachszieherhandwerk aus. Die Herstellung von Kerzen ist eine Familientradition bei den Zengerles, die bis in das Jahr 1673 zurückreicht. Dieser Tage vor Weihnachten herrscht in der Wachszieherei Zengerle Hochbetrieb. Das Unternehmen stellt als eines der letzten im Südwesten Kerzen nach alter Tradition her und hat sich auf die Herstellung von Verzierwachs spezialisiert. „Die dünnen Wachsfolien lassen sich in jeder beliebigen Form ausschneiden und auf Kerzen aufkleben“, sagt Zengerle.
In Handarbeit entstehen Tauf-, Erstkommunions- und Hochzeitskerzen sowie Kerzen für die Kirchen, beispielsweise für Ostern und Weihnachten. „Die Kirchen sind ein wichtiger Abnehmer, aber in der dunklen Jahreszeit wird auch viel gebastelt“, sagt Zengerle. Kunden seien der Bastelhandel und Hobbybastler. Denn wenn es draußen kalt und die Tage kürzer werden, sehnten sich die Menschen nach einer gemütlichen Atmosphäre.
„Kerzen sind ein saisonales Geschäft“, sagt Stefan Thomann, Geschäftsführer der European Candle Association, des Verbands der Kerzenindustrie. Die Nachfrage nach Kerzen erreicht im Advent ihren Höhepunkt. In Zeiten der Pandemie ist die Sehnsucht nach einem Lichtblick zu Hause noch größer geworden: Nach jahrelangem Abwärtstrend sind die Verkaufszahlen deutlich gestiegen. Der Absatz in Deutschland wuchs im vergangenen Jahr um rund 10 000 Tonnen auf 180 700 Tonnen. „Das ist die erste Steigerung seit 2012“, sagt Thomann. Mehr als die Hälfte dieser Kerzen wurde aus China importiert und gehöre in die Kategorie Billigware.
Die Kunden von Franz Fürst dagegen wollen Qualität. Der Münchner ist Wachsziehermeister in fünfter Generation, sein Vater war Gründungsmitglied der Bayerischen Wachszieher-Innung und 24 Jahre lang ihr Vorsitzender. „Wir beliefern hauptsächlich Kirchen mit gezogenen Kerzen“, sagt er. Diese sehen zwar fast gleich aus wie die aus Granulat gepresste Massenware. Aber sie tropfen weniger, brennen heller und länger und überstehen die Zugluft in der Kirche, wie Fürst erklärt. Für die Münchner Frauenkirche liefert seine „Wachszieherei am Dom“alle Kerzen. Selbst Papst Benedikt habe seine Christbaumkerzen früher bei ihm gekauft.
Kirchen und Klöster waren im frühen Mittelalter Hauptabnehmer von Kerzen und Mittelpunkt der Herstellung. Durch das allmähliche Aufblühen der Städte bildete sich ein selbstständiges Kerzenmachergewerbe heraus. Eine eigenständige Zunft wird erstmals für das Jahr 1450 erwähnt. Wie damals wird auch heute noch beim Kerzenziehen ein Docht so oft durch heißes Wachs gezogen, bis die Kerze Millimeter für Millimeter die gewünschte Dicke erreicht hat. Allerdings läuft der Docht heute nicht selten maschinell über Kabeltrommeln.
„Die Maschinen werden immer größer, leistungsfähiger, immer mehr läuft computergesteuert“, sagt Stephan Zimmermann, Wachsziehermeister in der achten Generation und Geschäftsführer der 1764 gegründeten Kerzenfabrik Joh. Schlösser in Köln. „Manche Kollegen sagen, ich brauche Maschinenführer, Techniker, Mechatroniker und keine Kerzenhersteller mehr. Aber wenn sie vom Wachs nichts verstehen und es Probleme gibt, stehen sie da und wissen nicht, was sie machen sollen“, sagt Zimmermann.
Deshalb ist die Kerzenindustrie froh, dass sich an die Bayerische Wachszieher-Innung inzwischen die Handwerksbetriebe aus allen anderen Bundesländern sowie 17 Gastmitglieder aus Österreich und der Schweiz angeschlossen haben. Über die inzwischen Kerzeninnung genannte Interessenvertretung können sich Betriebe untereinander und mit angegliederten Rohstofflieferanten austauschen. Die Innung organisiert auch die Ausbildung von Kerzenherstellern sowie Wachsbildnern und nimmt die Gesellen- und Meisterprüfungen ab.
Bundesweit gebe es keine 100 Meister in diesem Gewerk, sagt Zimmermann. Seit 2004 ist er der Obermeister der Innung, als erster NichtBayer überhaupt. Die Hälfte der deutschen Mitgliedsbetriebe sitzt im Freistaat. Tradition, sagt Zimmermann: „Was Kirchenkerzen angeht, waren die Bayern immer ausdrucksstärker in ihrer Symbolik“, mit schön modellierten Kerzen „mit allen möglichen Ornamenten, Marienfiguren, Jahreszeiten“.
Im April hatte die Innung gefeiert: Eine Kerzenherstellerin und eine Wachsbildnerin bestanden ihre Meisterprüfungen. Die Ausbildungen seien eng verwandt, aber Wachsbildnerei sei auch heute noch reine Handarbeit. „In der Ausbildung sind mehr Frauen als Männer“, sagt Zimmermann.
Pia Zengerle hat ihre Ausbildung bereits im Jahr 2017 abgeschlossen, sie habe sich für die Ausbildung entschieden, weil der Beruf heutzutage traditionelles Handwerk und moderne Technik vereine: „Es ist schon etwas Besonderes, am Ende eine selbst gefertigte Kerze in der Hand zu halten“, sagt Zengerle. Ihr Opa gründete einst in der Ravensburger Innenstadt seine eigene Wachszieherei, doch die Enge der Stadt führte die Zengerles nach Grünkraut, dort bauten Großvater und Vater die maschinelle Produktion der eigens erfundenen Wachsfolien aus.
Während sich in diesem Bereich in Sachen Technisierung ständig etwas verändert, läuft die Kerzenherstellung noch recht traditionell ab: „Wir fertigen Kerzen nach alter Handwerkstradition“, sagt Zengerle.
Beim Kerzenziehen laufen auf zwei Trommeln einer Zugmaschine etliche Meter Baumwolldocht, der wird durch heißes Wachs geleitet. Runde um Runde wächst die Kerze heran. Danach wird der Wachsstab von der Trommel genommen, auf Länge gesägt und der Kerzenkopf in Form gefräst. Die fertigen Kerzen verkaufen die Zengerles in ihrem Ladengeschäft, dort gibt es eine Vielzahl an verschiedenen Kerzen – aus Rohstoffen wie Bienenwachs, Stearin und Paraffin.
Die Kerzenproduktion in Deutschland ist vergangenes Jahr auf 64 400 Tonnen gestiegen. Allerdings machen Rohstoffmangel und Lieferengpässe auch dieser Branche zu schaffen. Weil Ölraffinerien in der Pandemie herunterfuhren, wurde Paraffin ab März knapp – das wird sich nicht mehr grundlegend ändern.
„Paraffin als Nebenprodukt der Schmierölproduktion, war lange Zeit eine günstige Alternative zu Fetten und Stearin. Beides wird seit Jahrhunderten zur Herstellung von Kerzen verwendet“, sagt Stefan Thomann. Und die Stoffe werden wieder wichtiger, denn die Verfeinerung der Herstellungsverfahren von Öl habe dazu geführt, dass immer weniger Paraffin in den Raffinerien anfällt. Der Rohstoff wird knapp. Nicht anders sei das beim Bienenwachs, das als natürliche Ressource nur einen Marktanteil von unter einem Prozent ausmacht.
„Wir können gut produzieren“, sagt Zimmermann. „Wir sind keiner von den ganz Großen, die jede Woche drei Tankzüge Paraffin brauchen.“Manche Lieferanten hätten die Preise verdoppelt. Auch die Zengerles haben mit dem Preisdruck zu kämpfen: „Wir werden die Preise im neuen Jahr erhöhen müssen“, sagt Pia Zengerle.
Stressig bleibt es für die drei traditionsreichen Wachszieherbetriebe noch bis zu Mariä Lichtmess am 2. Februar. Mit dem kirchlichen Fest endete für Katholiken einst die Weihnachtszeit. „Bis dahin müssen die Kirchen beliefert sein, denn an diesem Tag werden im Gottesdienst die Kerzen für das ganze Jahr geweiht“, sagt Pia Zengerle.
Der Blick in die Zukunft bereitet der Kerzenmacherin keine Sorgen. Die Kerze habe über viele Jahrhunderte den Menschen in der Dunkelheit Licht und Wärme geschenkt und stehe als Symbol für Schutz und Hoffnung. Das wird bleiben.