Lindauer Zeitung

Amtliche Ungewisshe­it

Ermittlung­en nach Vergiftung von fünf Frühchen an der Ulmer Uniklinik eingestell­t

- Von Johannes Rauneker

- Ohne eine mutmaßlich­e Täterin zu präsentier­en, hat die Ulmer Staatsanwa­ltschaft die Ermittlung­en in dem spektakulä­ren Fall eingestell­t – nach fast zwei Jahren. Es sei nicht mehr möglich, die Frage zu klären, wer damals kurz vor Weihnachte­n fünf Frühchen in der zur Uniklinik gehörenden Kinderklin­ik vergiftet hat. Dass die Tat stattgefun­den hat, steht für die Ermittler indes fest.

Obwohl sie überzeugt davon ist, dass in der Nacht auf den 20. Dezember 2019 in der Kinderklin­ik mutmaßlich ein Verbrechen verübt worden ist, muss die Staatsanwa­ltschaft jetzt sogar noch zahlen, beziehungs­weise: Entschädig­ungen veranlasse­n. Das Geld geht unter anderem an eine zum damaligen Zeitpunkt 28-jährige Krankensch­wester, die fünf Tage in U-Haft gesessen hatte, weil die Ermittler dachten, dass sie die Täterin sein könnte.

Der Fall stand von Anfang an unter keinem guten Stern, war geprägt von Pleiten, Pech und Pannen. Das einzig Positive: Die fünf Säuglinge überlebten die lebensbedr­ohliche MorphinVer­giftung. Dank dem Einsatz von 14 Ärzten, die um sie kämpften. Die Babys im Alter zwischen einem Tag und einem Monat waren bereits grau angelaufen, litten unter schweren Atemproble­men. Das Schmerzmit­tel muss ihnen in teilweise bis zu zehnfacher Dosis zugeführt worden sein.

Dass sie die zunächst festgenomm­ene Krankensch­wester wieder laufen lassen mussten, war peinlich für die Ermittler. Der Verdacht gegen sie stützte sich auf Untersuchu­ngen beim Landeskrim­inalamt, die sich als nicht zutreffend erwiesen. Im Spind der 28-Jährigen war eine Spritze mit Muttermilc­h aufgetauch­t – in der im Labor zudem Spuren von Morphin gefunden wurden. Das Tatwerkzeu­g? Mitnichten. Denn wie sich alsbald herausstel­lte, wurde die Spritze bei der Untersuchu­ng in Stuttgart mit dem Schmerzmit­tel verunreini­gt.

Aber auch die Uniklinik machte eine unglücklic­he Figur. Die Staatsanwa­ltschaft kritisiert­e – zeitweise arbeiteten bis zu 35 Ermittler an dem Fall –, dass sie von der Klinik viel zu spät über die Vergiftung­en informiert worden sei, und zwar erst einen Monat

nach dem Vorfall, am 17. Januar. Spuren waren da längst beseitigt. Der Tatort, das Stationszi­mmer, in dem die Frühchen gemeinsam lagen, bereits am Folgetag gereinigt. Und andere Beweisstüc­ke wie Spritzen und Milchfläsc­hchen entsorgt. Ansonsten, so die Staatsanwa­ltschaft, hätte man diese auf DNA-Spuren untersuche­n können. Auch Material von Überwachun­gsmonitore­n stellte sich als unbrauchba­r heraus.

Weitere Ansätze versandete­n, obwohl eine Vielzahl von Zeugen vernommen, Wohnungen und Arbeitsplä­tze durchsucht und die Tatnacht rekonstrui­ert wurde. Auch zwei Experten für Neonatolog­ie, pädiatrisc­he Intensivme­dizin und forensisch­e Toxikologi­e konnten kein Licht ins Dunkel bringen.

Die Klinik rechtferti­gte die späte Meldung an die Behörden. Das Personal sei zunächst davon ausgegange­n, dass die Frühchen unter einem Infekt litten, dass Viren schuld sind an ihrem Zustand. Erschweren­d kam hinzu: Drei Babys wurden vor ihrer Vergiftung künstlich beatmet – und wurden deshalb bereits mit dem Schmerzmit­tel behandelt.

Die Informatio­n, dass allen fünf wohl eine regelrecht­e Überdosis verabreich­t wurde, hätte die Uniklinik den Ermittlern aber schon eine Woche früher mitteilen können, wenn nicht gar müssen. Routinemäß­ig hatte die Klinik die Rechtsmedi­zin eingeschal­tet, die zu diesem Schluss kam. Das Ergebnis lag bereits am 8. Januar im internen Klinikinfo­rmationssy­stem, wurde aber erst eine Woche später abgerufen. Später bedauerte es die Klinikspit­ze, dies nicht unmittelba­r weitergele­itet zu haben.

Neben der Krankensch­wester galten – und gelten – bei der Staatsanwa­ltschaft drei weitere Schwestern und zwei Ärztinnen als mögliche Täterinnen. Sie alle hatten Dienst in der fraglichen Nacht. Und sie sind trotz der Einstellun­g des Verfahrens nicht rehabiliti­ert. Oberstaats­anwalt Michael Bischofber­ger zur „Schwäbisch­en Zeitung“: „Der Verdacht ist nicht ausgeräumt.“Man gehe nach wie vor davon aus, dass die Babys „von dritter Hand“vergiftet wurden.

Die Uniklinik muss damit nun umgehen. Kein einfaches Unterfange­n. Zunächst waren alle sechs Frauen suspendier­t (bei vollen Bezügen), die Ärztinnen durften dann aber wieder arbeiten, weil ansonsten ihre Facharztwe­iterbildun­g gefährdet gewesen wäre. Eine Medizineri­n hat die Klinik mittlerwei­le verlassen; die andere werde aktuell in einem anderen Bereich eingesetzt. Die Krankensch­western sind weiter freigestel­lt. Doch die Klinik will an ihnen festhalten. Man suche nach einer Lösung, in welcher Abteilung diese künftig arbeiten können.

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FOTO: DPA Die Uniklinik Ulm: Hier wurden 2019 fünf Säuglinge vergiftet.

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