„Wir Sportler sollten im Fokus stehen“
Athletensprecherin Karla Borger über Fehler in der Sportpolitik und Olympia in Peking
- Alles neu macht der Dezember. Deutschland hat nicht nur eine Bundesregierung und einen neuen DOSB-Präsidenten, sondern auch eine neue Athletensprecherin: Karla Borger ist neue Präsidentin des Vereins Athleten Deutschland. Die 32-jährige Beachvolleyballerin bildet seit drei Jahren mit der Friedrichshafenerin Julia Sude das derzeit beste deutsche Frauen-Duo im Sand, nun ist sie nicht mehr nur fürs Baggern und Schmettern zuständig, sondern steht an der Spitze im Kampf für Athletenrechte. Wie sie diese Aufgabe angehen möchte, was sie sich von Regierung und DOSB erhofft und wie sie zu einem Boykott der Winterspiele in Peking steht, hat sie im Gespräch mit Martin Deck erzählt.
Frau Borger, was liegt Ihnen auf dem Volleyball-Court mehr: der Angriff oder die Verteidigung?
Der Aufschlag (lacht). Aber im Spiel dann doch eher die Verteidigung, weil man ohne Verteidigung erst gar nicht in den Angriff kommt.
Lässt sich das auch auf Ihre Amtsführung als neue Präsidentin des Vereins Athleten Deutschland übertragen: Zuerst die Rechte der Sportler verteidigen und dann auch immer wieder Angriffe auf die großen Verbände starten?
Man nimmt natürlich Erfahrungen aus dem Sport in so eine Aufgabe mit, sei es die Kommunikation auf dem Spielfeld, die Teamfähigkeit oder auch Dinge wie die Organisation. Wir als Beachvolleyballerinnen führen ja quasi ein eigenes Unternehmen. Dieses Wissen wird mir sicher auch als Athletensprecherin helfen. Was die Amtsführung betrifft: Ich bin schon jemand, der auch gerne mal ins Risiko geht – auch wenn das hier vielleicht das falsche Wort ist. Aber ich will der Verantwortung, die man mir übertragen hat, auf jeden Fall gerecht werden und Akzente setzen.
Was hat Sie bewegt, sich an der Spitze der deutschen Athletinnen und Athleten zu engagieren?
Ich war bereits Gründungsmitglied des Vereins und habe mich schon zuvor immer wieder in verschiedene Aufgaben eingebracht. Als klar war, dass sich das Präsidium neu aufstellen wird, hat Athleten Deutschland auch bei mir angefragt, ob ich bereit wäre, ein Amt zu übernehmen. Für mich war relativ schnell klar, dass ich mehr Verantwortung übernehmen möchte. Dass ich mich dann aber auch für das Präsidentenamt bewerbe, war relativ spontan. Es geht mir dabei aber keineswegs um die Position. Wir haben ein tolles Team in der Geschäftsführung und im Präsidium und wollen die Interessen der Sportlerinnen und Sportler so gut es geht vertreten – auch wenn man natürlich nie alle Anliegen unter einen Hut bekommen kann.
Sie haben in der Vergangenheit bereits bewiesen, dass Sie Ihre Meinung vehement vertreten können. Gemeinsam mit Ihrer Partnerin, der Friedrichshafenerin Julia Sude, haben Sie Anfang des Jahres ein Beachvolleyballturnier in Katar boykottiert, weil der Veranstalter den Spielerinnen lange Outfits vorschreiben wollte. Das sorgte weltweit für Aufsehen, weshalb die Organisatoren letztlich einknickten und eine freie Kleiderwahl zuließen. Haben Sie da gemerkt, dass man auch als Sportlerin Veränderungen bewirken kann?
Das Echo auf unsere Absage war deutlich lauter, als ich gedacht hätte. Auch damit, dass sich dadurch wirklich etwas ändert, hätten wir nicht gerechnet. Klar gibt das einem ein stückweit die Gewissheit und das Vertrauen, dass man auch als Sportler und Sportlerin einiges bewegen kann. Das ist auch richtig so, weil im Endeffekt geht es um uns Athleten. Wenn wir keinen Sport ausüben, gibt es auch keine Verbände. Deshalb sollten wir definitiv im Fokus stehen, das ist aber leider noch nicht der Fall.
Dass sich daran etwas ändert, das können Sie sich nun stärker einim bringen. Dabei ist das aktuell keine einfache Zeit, es gibt aktuell viele politische Themen, die den Sport bewegen. Fangen wir mit einem nationalen an. Wie sehen Sie den Profisport im neuen Koalitionsvertrag repräsentiert?
Erstmal ist genial, dass wir als Athleten Deutschland im Koalitionsvertrag auftauchen und vorgesehen ist, dass wir künftig vom Bund finanziert werden, bedeutet uns natürlich viel und bestätigt die Arbeit, die unsere Vorgänger geleistet haben. Wir werden gehört und haben das Gefühl, dass wir Sachen verändern können. Auch die geplante Einrichtung einer unabhängigen Stelle, die über die Verteilung der Fördergelder entscheidet, begrüßen wir sehr – auch wenn noch völlig offen ist, wann diese kommen wird und wie sie überhaupt aussieht. Die Frage ist, was von dem Ganzen, was darin aufgeschrieben, dann tatsächlich auch umgesetzt wird. Aber ich habe auf jeden Fall die Hoffnung, dass eng mit der neuen Regierung zusammenarbeiten können. Der Grundstein ist schonmal gelegt.
Es gibt nicht nur eine neue Regierung, sondern auch neuen DOSBPräsidenten. Was wünschen Sie sich von Thomas Weikert?
Es ist schön zu sehen, dass bei der Wahl klar herauskam, dass sich alle Stimmberechtigten einen klaren Neuanfang beim DOSB wünschen. Es sind viele interessante und kompetenten Personen im neuen Präsidium. Von Thomas Weigert erhoffe ich mir, dass er es schafft, die Missstände im Verband aufzuräumen. Das ist sicher eine Herkulesaufgabe dafür räume ich ihm gerne auch etwas Zeit ein. Ich halte ihn für sehr integer und traue ihm durchaus zu, etwas zu verändern – aber er muss seinen Worten nun auch Taten folgen lassen. Wenn wir sehen, dass es Nachholbedarf gibt, werden wir das klar einfordern.
Neben den nationalen Themen, stehen aktuell auch internationale Fokus. Alle Welt spricht über China und der Fall Peng Shuai. Die Tennisspielerin war mehrere Wochen verschwunden, nachdem sie dem stellvertretenden Premierminister Zhang Gaoli sexuelle Nötigung vorgeworfen hatte. Machen Sie sich Sorgen um ihre Sicherheit? Für mich gibt es im Moment zumindest keinen Beweis, dass es ihr und ihrer Familie gut geht. Auch die Videogespräche von IOC-Präsident Thomas Bach mit ihr sind für mich kein ausreichender Beleg.
Als Reaktion auf fehlende Aufklärung hat der Welttennisverband WTA angekündigt, alle Turniere in China vorerst auszusetzen. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Das ist ein deutliches Zeichen der WTA, dass es ihr um das Wohl der Athletinnen geht und dass es nicht einfach hingenommen wird, dass die doch erheblichen Vorwürfe einer Spielerin missachtet werden. Das unterstütze ich natürlich.
Welches Signal sendet dann das IOC an die Athletinnen und Athleten, wenn es sich eben nicht wie die WTA demonstrativ vor sie stellt, sondern weiterhin seinen Ansatz der „stillen Diplomatie“verfolgt? Das IOC kommt seiner menschenrechtlichen Verantwortung nicht nach. Das ist kein gutes Zeichen.
Der Fall strahlt erheblich auf die Winterspiele in Peking aus, die in nicht einmal zwei Monaten beginnen. Die USA hat nun einen diplomatischen Boykott angekündigt, andere Länder sind bereits gefolgt. Würden Sie sich auch von der Bundesregierung so ein Statement wünschen?
Natürlich muss sich auch die Bundesregierung damit beschäftigen dazu äußern. Aber sie ist gerade einmal eine Woche im Amt und man sollte ihr schon auch ein wenig Zeit einräumen, um eine vernünftige Entscheidung treffen zu können. Inwieweit ein diplomatischer Boykott machbar und sinnvoll ist, übersteigt meine
Kompetenz. Da spielen ganz viele politische und wirtschaftliche Faktoren eine Rolle, die ich nicht beurteilen kann.
Ihre Kompetenz sind die Sportlerinteressen. Wie sieht es mit einem Boykott der Athletinnen und Athleten aus?
Den lehnen wir ganz klar ab. Das Ganze darf nicht auf dem Rücken der Sportler ausgetragen werden. Sie haben nicht die Entscheidung getroffen, dass die Winterspiele in Peking stattfinden und haben sich vier lange Jahre mit großen Entbehrungen auf diesen Höhepunkt vorbereitet. Dabei geht es auch um Existenzen, da nicht klar ist, wie sich ein sportlicher Boykott auf Förder- und Sponsorengelder auswirken könnte. Aber klar ist, dass sich die allermeisten Athleten der Situation bewusst sind, und eine klare Meinung haben: Menschenrechte sind nicht verhandelbar.
Neben den Menschenrechtsverletzungen wird auch Corona wieder eine große Rolle bei den Winterspielen spielen. Ihr Vorgänger Max Hartung hatte schon vor den Sommerspielen in Tokio bemängelt, dass die Athleten bei der Planung von Maßnahmen nicht mitgenommen werden. Was erwarten Sie bei den Spielen in Peking?
Die Rodler und Bobfahrer waren ja bereits bei Testwettkämpfen in China und die Rückmeldungen sind sehr durchwachsen. Gerade die Rodlerinnen um Natalie Geisenberger haben sich über den Umgang vor Ort beschwert. Sie wurden ohne klare Begründung nach ihrem Flug in Quarantäne geschickt, hatten keinen Ansprechpartner und konnten nur per E-Mail und mit Sprachbarrieren mit den Behörden kommunizieren. Wenn man so etwas miterlebt, kann ich gut nachvollziehen, dass sie jetzt sogar überlegt, ob sie für Olympia noch einmal dorthin reisen möchte. Das ist sehr schade, weil der Zauber von Olympia damit immer mehr verloren geht.
Corona trifft auch in Deutschland wieder mal den Sport – sowohl die Amateure als auch die Profis. Welche Forderung haben Sie hier an die Regierung?
Der Sport ist längst zerrüttet. Durch die ganzen Stopps und Verschiebungen und den Verzicht auf Auf- und Abstieg entstehen Ungerechtigkeiten und der Wettkampfgedanke, der den Sport eigentlich ausmacht, geht flöten. Als Leistungssportler haben wir ja sogar noch Privilegien, aber trotzdem sind wir alle, ob Profis oder Amateure, langsam wirklich durch. Deshalb würde ich mir sehr wünschen, dass es irgendwie gelingt, dass Bewegung weiter stattfinden kann und ein erneuter Lockdown verhindert wird. Das wird uns ansonsten in ein paar Jahren um die Ohren fliegen.