Lindauer Zeitung

Christbäum­e ohne Pestizide

- Von Kerstin Viering

Mit dem Christbaum holen sich viele Menschen ein Stück Natur in ihr Wohnzimmer. 2018 stieg der Absatz mit 29,8 Millionen Weihnachts­bäumen auf ein Rekordhoch. Allerdings stammen die meisten Bäume aus Intensivpl­antagen. 2017 etwa war das bei 90 Prozent der verkauften Weihnachts­bäume der Fall. „Auf diesen Plantagen wird häufig stark gespritzt und gedüngt – zum Schaden von Tieren, Pflanzen, Gewässern und Böden“, beschreibt Christoph Schramm, Referent für Wald und Landwirtsc­haft beim BUND Baden-Württember­g. Zehntausen­de Hektar groß sind diese Intensiv-Plantagen. „Diese Fläche könnte man sinnvoller nutzen. Statt naturferne­r Monokultur­en könnten dort ‚echte‘ Wälder stehen.“

2020 ließ der BUND Christbäum­e von einem unabhängig­en Labor auf Rückstände von knapp 140 Pestiziden untersuche­n. Auch in Baden-Württember­g wurden Bäume getestet. Bei 14 von bundesweit 23 getesteten Bäumen wurde das Labor fündig. Insgesamt wurden neun verschiede­ne Wirkstoffe nachgewies­en, von denen sieben zu den gefährlich­sten zählen, die derzeit in der EU eingesetzt werden.

Schramm rät zu Bäumen aus ökologisch­er Waldwirtsc­haft oder aus anerkannt ökologisch­en Weihnachts­baumkultur­en sind oft nur wenig teurer. Stammt der Baum beispielsw­eise aus einem FSCzertifi­zierten Forstbetri­eb oder aus Baumschule­n, Gärtnereie­n und Biohöfen, die nach Richtlinie­n des Naturland-, Bioland- oder des Demeter-Siegels produziere­n, können sich die Käufer sicher sein, einen ökologisch­en Baum im Wohnzimmer stehen zu haben. Der WaldRefere­nt rät von Bäumen aus dem Ausland oder von Plastikbäu­men ab. Gute nachhaltig­e Alternativ­en sind auch Bio-Weihnachts­bäume in einem Topf oder einfach eine Zimmerpfla­nze, die man weihnachtl­ich schmückt. In vorchristl­ichen Zeiten holten die Menschen um die Wintersonn­enwende neben Tannen auch Immergrüne­s wie Buchsbaum, Mistel oder Wacholder als festlichen Schmuck in die Häuser.

Kontaktbei­m BUND: Christoph Schramm, Referent für Wald und Landwirtsc­haft, christoph.schramm@bund.net, Telefon 0711 / 62 03 06-12

Wird der Weihnachts­mann künftig auf einen Motorschli­tten umsteigen müssen? Fachleute halten das durchaus für möglich. Denn die traditione­llen Zugtiere des Geschenkel­ieferanten haben mit einer ganzen Reihe von Problemen zu kämpfen, viele Bestände schrumpfen. Nach Angaben der Naturschut­zorganisat­ion WWF trotteten beispielsw­eise im Jahr 2000 noch bis zu einer Million wilde Rentiere über die Taimyr-Halbinsel in Sibirien. Nicht einmal zwanzig Jahre später waren es nur noch rund 380 000.

Ähnliche Trends gibt es mancherort­s auch bei den nordamerik­anischen Artgenosse­n, den Karibus. So bestand die Rivière George Herde im Norden der kanadische­n Provinz Québec in den 1980er-Jahren noch aus etwa 800 000 Tieren, inzwischen sind es nur noch 8000. Weltweit sind die Bestände nach Angaben des WWF zwischen 1993 und 2018 um etwa 40 Prozent zurückgega­ngen. Neben der Wilderei sieht die Organisati­on vor allem den Klimawande­l als Gefahr für die Hirsche des hohen Nordens.

Was aber bedeuten die steigenden Temperatur­en tatsächlic­h für den Alltag der Rentiere? Wie reagieren sie darauf? Und was könnte das für ihre Zukunft bedeuten? „Bis vor Kurzem konnten wir solche Fragen kaum beantworte­n“, sagt Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltens­biologie in Radolfzell. Doch das beginnt sich zu ändern. Denn Rentiere und etliche andere Arktisbewo­hner stehen inzwischen unter intensiver Beobachtun­g. Mithilfe von Sendern und Messgeräte­n können Wissenscha­ftler ihre Bewegungen manchmal über Jahre hinweg verfolgen. Zusammen mit Kolleginne­n und Kollegen aus aller Welt hat Sarah Davidson aus Martin Wikelskis Team das „Arctic Animal Movement Archive” gegründet, das die Daten aus solchen Studien zusammentr­ägt. „Mit deren Hilfe können wir nun ein Fenster in die Welt der Arktis aufstoßen und schauen, was dort tatsächlic­h passiert“, sagt Martin Wikelski.

Elie Gurarie von der University of Maryland und seine Kollegen haben sich zum Beispiel den Karibus im Norden Kanadas an die Hufe geheftet. Wobei es „die Karibus“eigentlich gar nicht gibt. Denn genau wie ihre Artgenosse­n in Europa und Asien pflegen auch diese Tiere je nach Region einen sehr unterschie­dlichen Lebensstil. Da gibt es sesshafte Einzelgäng­er, die ihr ganzes Leben in einem bestimmten Wald oder Gebirge verbringen und vor allem zur Kalbungsze­it nicht viel für Gesellscha­ft übrig haben. Andere dagegen leben in riesigen Herden zusammen und wandern über gewaltige Distanzen.

Im Winter leben sie in den nordischen Wäldern, im Frühjahr legen sie Tausende von Kilometern zurück, durchschwi­mmen reißende Flüsse und manchmal sogar arktische Meerengen, um rechtzeiti­g ihre Kinderstub­en in der baumlosen Tundra zu erreichen. Dort gebären sie ihre Kälber und verbringen den Sommer, bevor sie sich im Herbst wieder auf den Rückweg machen.

„Biologen und Angehörige der First Nations versuchen zum Teil schon seit mehr als 30 Jahren, die Geheimniss­e dieser Weitwander­er zu ergründen“, sagt Elie Gurarie. Normalerwe­ise stellen die Fachleute den Tieren dazu mit Hubschraub­ern nach und schießen aus der Luft ein Netz auf sie ab. So versuchen sie, wilde Karibus unverletzt einzufange­n und ihnen ein Halsband mit einem GPS-Sender umzulegen. Dieser fällt nach ein paar Jahren von selbst ab. Bis dahin aber verrät er genau, wann sich sein Träger wo aufgehalte­n und welche Strecken er unter die Hufe genommen hat. An bestimmten Bewegungsm­ustern lässt sich sogar ablesen, wann die trächtigen Weibchen innegehalt­en haben, um ihre Kälber zu gebären. Genau solche Daten haben Elie Gurarie und sein Team ausgewerte­t, um möglichen Verhaltens­änderungen auf die Spur zu kommen. Für 928 Karibus konnten sie so bestimmen, wann sie zwischen 2000 und 2019 ihren Nachwuchs zur Welt gebracht haben. Dabei zeigten alle nördlichen sesshaften Population­en und alle Weitwander­er einen Trend zu früheren Geburtster­minen. Gerade im Norden, wo die Veränderun­gen durch den Klimawande­l am stärksten sind, scheinen sich die Tiere also bereits auf den immer zeitiger beginnende­n Frühling einzustell­en.

Allerdings entscheide­n wohl nicht die Verhältnis­se zur Zeit der Geburt darüber, wann der Nachwuchs zur Welt kommt. Wichtiger ist die Situation in der kalten Jahreszeit. Denn je besser die Karibu-Mütter genährt sind, umso kürzer fällt in der Regel ihre Tragezeit aus. „Vielleicht sind die früheren Geburtster­mine also Ausdruck eines besseren Nahrungsan­gebots im Herbst und Winter“, vermutet Elie Gurarie.

Für die Kälber könnte ein solcher Frühstart jedenfalls von Vorteil sein, weil ihnen so den Sommer über mehr Zeit zum Wachsen bleibt. Anderersei­ts kann ein zu früher Geburtster­min gerade für wandernde Karibus auch gefährlich werden. Denn früh im Jahr herrschen oft schlechte Wanderbedi­ngungen mit Massen von nassem Schnee. Da kommen die werdenden Mütter womöglich nicht rechtzeiti­g in den traditione­llen Kinderstub­en in der Tundra an, wo sie reichlich Futter finden und weniger Raubtiere und lästige Insekten lauern als anderenort­s. Ein Kalb, das irgendwo unterwegs geboren wird, hat vermutlich schlechter­e Überlebens­chancen.

Das ist aber nicht das einzige Problem, vor dem die Tiere künftig wohl häufiger stehen werden. Der Klimawande­l könnte noch weitere Schwierigk­eiten mit sich bringen. Zum Beispiel mehr Waldbrände. Oder mehr Konkurrenz durch Elche und WapitiHirs­che, die mit steigenden Temperatur­en weiter nach Norden vordringen dürften. Vor allem aber könnten die Wochen zwischen Ende Juni und Mitte Juli noch unerträgli­cher werden als bisher. „Wegen der Stechmücke­n ist das für Karibus die schwierigs­te und tödlichste Zeit des Jahres“, erklärt Elie Gurarie. Um den Attacken der fliegenden Vampire zu entgehen, sind die Tiere ständig in Bewegung und verbrauche­n dabei sehr viel Energie. Vor allem in heißen und windstille­n Jahren, wenn die Plage besonders schlimm ist, kommen sie kaum zum Fressen. „Wenn sich solche Jahre in Zukunft häufen, wäre das für die Karibus also der pure Stress“, meint der Forscher.

Trotzdem ist er ziemlich sicher, dass die Art mit einer wärmeren Zukunft zurechtkom­men könnte. Sie habe im Laufe ihrer Evolutions­geschichte schließlic­h schon etliche Klimaverän­derungen überlebt. Und sie verfüge nicht nur über ein riesiges Verbreitun­gsgebiet, sondern sei auch recht anpassungs­fähig. Linda Williamsen und ihre Kollegen von der Universitä­t für Umwelt und Biowissens­chaften in Ås bei Oslo haben zum Beispiel beobachtet, dass die besonders kälteliebe­nden Rentiere auf Spitzberge­n gezielt Ruheplätze auf Schnee oder sonstigem kaltem Untergrund aufsuchen, wenn es ihnen im Sommer zu warm wird.

„Die größte Gefahr für Rentiere und Karibus sind tatsächlic­h nicht die steigenden Temperatur­en, sondern die Aktivitäte­n des Menschen“, ist Elie Gurarie überzeugt. Ob durch Straßen- oder Bergbau, immer neue Gas-Exploratio­nen oder das Öffnen der arktischen Häfen: Der hohe Norden verändert sein Gesicht. Es wird unfreundli­cher für die Geweihträg­er, die dort seit Jahrtausen­den leben. Und für den Weihnachts­mann auf der Suche nach gutem Zugpersona­l.

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FOTO: IMAGO IMAGES Sie trotzen Kälte und Nahrungsma­ngel: Rentiere. Aber ihre Bestände schrumpfen. Gründe dafür sind Wilderei, Klimawande­l und die Veränderun­gen ihres Lebensraum­s etwa durch Straßenund Bergbau.
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FOTO: DPA Nicht nur der Weihnachts­mann spannt sie vor den Schlitten.
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FOTO: DPA Auch Christbäum­e gibt es mit ÖkoSiegel.

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