Das Jägerhaus als Kochwerkstatt der Zukunft
Die Düsternis in der GastroBranche kommt nicht von ungefähr: Jahrzehntelang haben nicht wenige Gastgeber geglaubt, es sei schon in Ordnung, wenn Köche und Kellner 70-Stunden-Wochen schieben ohne dafür mehr Geld oder Freizeitausgleich zu bekommen. Darüber hinaus galt es irgendwie als schick, wenn man die Bucklerei zwischen Herd und Tresen überstand, ohne Alkoholiker oder Frührentner oder beides zu werden. Und schon seit einiger Zeit reiben sich die Raubeinigen und Uneinsichtigen unter den Gastronomen die Augen und fragen sich allen Ernstes, warum sie keine Leute mehr kriegen. Es müssen also neue Küchenchefs und Gastgeber her, die dem Althergebrachten eine neue Idee entgegensetzen. Eine, die das Personal achtet – und dem Gast zutraut, dass dieser versteht, dass es nicht sein kann, ein Schnitzel mit Sättigungsbeilage für zehn Euro auf den Teller zu ramschen. Einer, der das offensichtlich kapiert hat, ist Dominik Manz. Ein 31Jähriger, der auf dem zweiten Bildungsweg an den Herd gekommen ist. Und zwar über das Sterne-Restaurant Lago in Ulm, um dann in seiner Heimatregion, genauer gesagt in Maselheim, eine alte Wirtschaft zu übernehmen, die leer stand.
Und so kommt es, dass im Jägerhaus seit vergangenem Jahr ein frischer Wind weht. Das Konzept sieht vor, nicht mehr als zwei Vorspeisen, drei Hauptgänge und zwei Desserts zu bieten. Alle sechs Wochen gibt’s dafür eine neue Karte. Das alte Gasthaus, dominiert von niedrigen Decken und groben Holzbalken, hat den typischen Charakter behalten. Neue Lampen, Polster und moderne Stühle zeigen aber, dass da eine neue Zeit angebrochen ist. Auch die junge Frau im Service
– Cousine des Chefs
– steht für unkomplizierte Fürsorge gegenüber dem Gast, mit Dialekt und damit die Herkunft nicht leugnend.
Und wie schmeckt’s? Die doppelte Kraftbrühe von der Ente samt Maultasche mit entsprechender Geflügel-Fülle dröhnt vor lauter Intensität am Gaumen. Die Röstung von Fleisch und Knochen spiegelt sich in dem Sud und zeigt sehr solides Können. Shitake-Pilze geben der Vorspeise eine zusätzliche, erdige Geschmacksnote. Die alternative Vorspeise – eine aufgetürmte Gemüsepracht aus Sellerie, Roter Bete und Petersilienwurzel – ist schon optisch ein Genuss. Die Intensivierung der Aromen durch Konzentration und Kombination gelingt sehr gut. So sorgt Manz dafür, dass der Gaumen einen überraschenden Zugang zum Gemüse bekommt – und sich sogar Leute, die zum Beispiel Rote Bete nicht besonders schätzen, sich plötzlich in die Wurzel verlieben.
Der unkonventionelle Mut des Chefs macht sich meistens bezahlt. Beim Hirschragout in der Brothülle allerdings nicht. Der Teig saugt zu viel vom Saft auf, sodass das Wildfleisch trocken und farblos wirkt. Witzig und auf ganzer Linie gelungen ist dafür die Spitzkohlroulade auf Risotto. Kohlrabi, Grünkohl und Lauch verdichten das Gericht zu einer herbstlichen Delikatesse – ganz ohne Fleisch. So natürlich auch die Desserts: die Apfelinterpretationen, die geschichteten Birnen als Tiramisu. Gekrönt von einer Eisnocke, die es in sich hat: Thymian total in ungewöhnlicher Rolle. Damit zeigt Manz, dass Gastronomie im zweiten Pandemie-Jahr alles andere als tot ist. Und selbst auf dem Dorf eine Zukunft hat.
Jägerhaus Sulmingen
Bahnhofstr. 1
88437 Maselheim
Tel. 07356-6620263 www.jh-sulmingen.de
Geöffnet Donnerstag bis Sonntag ab 17 Uhr. Hauptgerichte 19-23 Euro.
Weitere „Aufgegabelt“-Folgen: www.schwäbische.de/aufgegabelt