Lindauer Zeitung

Das Jägerhaus als Kochwerkst­att der Zukunft

- Von Erich Nyffenegge­r

Die Düsternis in der GastroBran­che kommt nicht von ungefähr: Jahrzehnte­lang haben nicht wenige Gastgeber geglaubt, es sei schon in Ordnung, wenn Köche und Kellner 70-Stunden-Wochen schieben ohne dafür mehr Geld oder Freizeitau­sgleich zu bekommen. Darüber hinaus galt es irgendwie als schick, wenn man die Bucklerei zwischen Herd und Tresen überstand, ohne Alkoholike­r oder Frührentne­r oder beides zu werden. Und schon seit einiger Zeit reiben sich die Raubeinige­n und Uneinsicht­igen unter den Gastronome­n die Augen und fragen sich allen Ernstes, warum sie keine Leute mehr kriegen. Es müssen also neue Küchenchef­s und Gastgeber her, die dem Althergebr­achten eine neue Idee entgegense­tzen. Eine, die das Personal achtet – und dem Gast zutraut, dass dieser versteht, dass es nicht sein kann, ein Schnitzel mit Sättigungs­beilage für zehn Euro auf den Teller zu ramschen. Einer, der das offensicht­lich kapiert hat, ist Dominik Manz. Ein 31Jähriger, der auf dem zweiten Bildungswe­g an den Herd gekommen ist. Und zwar über das Sterne-Restaurant Lago in Ulm, um dann in seiner Heimatregi­on, genauer gesagt in Maselheim, eine alte Wirtschaft zu übernehmen, die leer stand.

Und so kommt es, dass im Jägerhaus seit vergangene­m Jahr ein frischer Wind weht. Das Konzept sieht vor, nicht mehr als zwei Vorspeisen, drei Hauptgänge und zwei Desserts zu bieten. Alle sechs Wochen gibt’s dafür eine neue Karte. Das alte Gasthaus, dominiert von niedrigen Decken und groben Holzbalken, hat den typischen Charakter behalten. Neue Lampen, Polster und moderne Stühle zeigen aber, dass da eine neue Zeit angebroche­n ist. Auch die junge Frau im Service

– Cousine des Chefs

– steht für unkomplizi­erte Fürsorge gegenüber dem Gast, mit Dialekt und damit die Herkunft nicht leugnend.

Und wie schmeckt’s? Die doppelte Kraftbrühe von der Ente samt Maultasche mit entspreche­nder Geflügel-Fülle dröhnt vor lauter Intensität am Gaumen. Die Röstung von Fleisch und Knochen spiegelt sich in dem Sud und zeigt sehr solides Können. Shitake-Pilze geben der Vorspeise eine zusätzlich­e, erdige Geschmacks­note. Die alternativ­e Vorspeise – eine aufgetürmt­e Gemüseprac­ht aus Sellerie, Roter Bete und Petersilie­nwurzel – ist schon optisch ein Genuss. Die Intensivie­rung der Aromen durch Konzentrat­ion und Kombinatio­n gelingt sehr gut. So sorgt Manz dafür, dass der Gaumen einen überrasche­nden Zugang zum Gemüse bekommt – und sich sogar Leute, die zum Beispiel Rote Bete nicht besonders schätzen, sich plötzlich in die Wurzel verlieben.

Der unkonventi­onelle Mut des Chefs macht sich meistens bezahlt. Beim Hirschrago­ut in der Brothülle allerdings nicht. Der Teig saugt zu viel vom Saft auf, sodass das Wildfleisc­h trocken und farblos wirkt. Witzig und auf ganzer Linie gelungen ist dafür die Spitzkohlr­oulade auf Risotto. Kohlrabi, Grünkohl und Lauch verdichten das Gericht zu einer herbstlich­en Delikatess­e – ganz ohne Fleisch. So natürlich auch die Desserts: die Apfelinter­pretatione­n, die geschichte­ten Birnen als Tiramisu. Gekrönt von einer Eisnocke, die es in sich hat: Thymian total in ungewöhnli­cher Rolle. Damit zeigt Manz, dass Gastronomi­e im zweiten Pandemie-Jahr alles andere als tot ist. Und selbst auf dem Dorf eine Zukunft hat.

Jägerhaus Sulmingen

Bahnhofstr. 1

88437 Maselheim

Tel. 07356-6620263 www.jh-sulmingen.de

Geöffnet Donnerstag bis Sonntag ab 17 Uhr. Hauptgeric­hte 19-23 Euro.

Weitere „Aufgegabel­t“-Folgen: www.schwäbisch­e.de/aufgegabel­t

 ?? FOTO: NYF ?? Kunstvolle Vorspeise: Diese Gemüseprac­ht aus Sellerie, Rote Bete und Petersilie­nwurzel ist schon optisch ein Genuss.
FOTO: NYF Kunstvolle Vorspeise: Diese Gemüseprac­ht aus Sellerie, Rote Bete und Petersilie­nwurzel ist schon optisch ein Genuss.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany