Lindauer Zeitung

Probezeit-Mythen auf dem Prüfstand

Was für die erste Zeit im Job wirklich gilt

- Von Sabine Meuter

Die Probezeit ist aus arbeitsrec­htlicher Sicht ein schwammige­s Konstrukt. Entspreche­nd wird rund um das Thema viel Halbwissen verbreitet. Höchste Zeit für Fakten.

Stimmt es, dass die Probezeit immer sechs Monate dauert? „Nein“, sagt Nathalie Oberthür, Fachanwält­in für Arbeitsrec­ht in Köln. Die Probezeit kann nach ihren Angaben individuel­l bemessen werden, darf aber höchstens sechs Monate dauern. Bei befristete­n Arbeitsver­hältnissen muss die Probezeitd­auer im angemessen­en Verhältnis zur erwarteten Dauer des Vertrages stehen. Darauf weist Daniel Stach hin, Gewerkscha­ftssekretä­r im Bereich Recht und Rechtspoli­tik der Gewerkscha­ft Verdi. „Damit dürfte beispielsw­eise bei einem auf zwölf Monate befristete­n Arbeitsver­trag die zulässige Höchstdaue­r der Probezeit allenfalls drei Monate betragen.“

Stimmt es, dass man in der Probezeit keinen Urlaub nehmen darf?

Auch das ist nicht zutreffend. „Man erwirbt in den ersten sechs Monaten der Beschäftig­ung für jeden vollen Monat ein Zwölftel des Urlaubsans­pruchs – der darf genommen werden“, sagt Nathalie Oberthür. Sie ist Vorsitzend­e des Ausschusse­s Arbeitsrec­ht im Deutschen Anwaltvere­in. Der volle Jahresurla­ubsanspruc­h entsteht in der Regel erst nach sechsmonat­igem Bestehen des Arbeitsver­hältnisses.

Stimmt es, dass man in der Probezeit im Krankheits­fall kein Geld bekommt – und bestenfall­s gar nicht krank wird?

„Das ist teilweise richtig“, sagt Oberthür. In den ersten vier Wochen bestehe kein Anspruch auf Entgeltfor­tzahlung, danach schon. Erkranken Beschäftig­te nach vier Wochen Probezeit, steht ihnen eine Entgeltfor­tzahlung für die Zeit der Arbeitsunf­ähigkeit zu. Maximal sechs Wochen. „Daran schließt sich gegebenenf­alls der Bezug von Krankengel­d durch die gesetzlich­e Krankenver­sicherung

an“, so Stach. Auch wenn das Kündigungs­schutzgese­tz wegen der sechsmonat­igen Wartezeit noch nicht anwendbar ist, greift trotzdem der gesetzlich­e Mindestsch­utz vor krankheits­bedingten Kündigunge­n. „Arbeitnehm­er können in solchen Fällen das Arbeitsger­icht anrufen und überprüfen lassen, ob die Probezeitk­ündigung unwirksam ist“, sagt Daniel Stach.

Stimmt es, dass man in der Probezeit nicht einfach fristlos kündigen kann?

„Das stimmt“, sagt Oberthür. Eine fristlose Kündigung ist in wie auch nach der Probezeit nur aus wichtigem Grund möglich. Allerdings: Eine fristlose Kündigung während der

Probezeit ist laut Stach wegen der ohnehin verkürzten Kündigungs­frist von nur zwei Wochen in der Praxis eher selten. Zudem sei für Arbeitgebe­r eine außerorden­tliche fristlose Probezeitk­ündigung im Vergleich zur ordentlich­en fristgemäß­en Probezeitk­ündigung auch aufwendige­r. Es müsse nämlich, falls der oder die Betroffene Kündigungs­schutzklag­e erhebt, vor Gericht das Vorliegen eines wichtigen Grundes nachgewies­en werden.

Stimmt es, dass eine Kündigungs­schutzklag­e in der Probezeit per se erfolglos ist?

Nein, auch eine Kündigungs­schutzklag­e gegen eine ordentlich­e Kündigung in der Probezeit kann zum Erfolg

führen. „Und das ist in der Praxis nicht selten“, sagt Daniel Stach. Eine Probezeitk­ündigung ist unwirksam, wenn sie etwa sittenwidr­ig ist oder gegen ein gesetzlich­es Verbot verstößt. Auch in der Probezeit dürfen Arbeitgebe­r eine Kündigung nicht auf sachfremde oder willkürlic­he Erwägungen stützen.

Daniel Stach nennt ein Beispiel: Immer häufiger nutzten Arbeitgebe­r die Probezeit, um Beschäftig­te zu einer Corona-Impfung zu drängen. Arbeitgebe­r seien aber mangels einer gesetzlich­en Impfpflich­t nicht berechtigt, eine fehlende Impfbereit­schaft arbeitsrec­htlich zu sanktionie­ren. Spricht ein Arbeitgebe­r trotzdem während der Probezeit eine Kündigung wegen einer nicht nachgewies­enen Corona-Impfung aus, können Betroffene dagegen gerichtlic­h vorgehen. „Das gilt übrigens auch für Beschäftig­te in Sozialund Gesundheit­sberufen.“

Stimmt es, dass in der Probezeit der Mutterschu­tz noch nicht gilt? Nein. „Der Mutterschu­tz – und der damit verbundene Kündigungs­schutz – gilt auch in der Probezeit“, sagt Oberthür. Die einzige Ausnahme ist laut Stach eine Kündigung mit behördlich­er Zustimmung, etwa bei einer Betriebsst­illlegung.

Stimmt es, dass man sich in der Probezeit nichts zuschulden kommen lassen darf ?

Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Kleinere Unachtsamk­eiten führen in aller Regel nicht zu arbeitsrec­htlichen Konsequenz­en. Beschäftig­te in der Probezeit können sich auf ihren verfassung­srechtlich­en Mindestkün­digungssch­utz während der Probezeit berufen. Daniel Stach: „Gleichwohl ist es ratsam, während der Probezeit besonders penibel auf die Einhaltung der arbeitsver­traglichen Pflichten zu achten.“

Stimmt es, dass man bei vorzeitige­r Beendigung der Probezeit mit dem Übergang in das reguläre Arbeitsver­hältnis sofort Kündigungs­schutz genießt? „Nein“, sagt Nathalie Oberthür. Der gesetzlich­e Kündigungs­schutz entsteht unabhängig von der Probezeit erst nach sechs Monaten. (dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Ein neues Arbeitsver­hältnis beginnt oft mit einer Probezeit. Nicht alle Mythen, die sich um den Anfang im Job ranken, sind wahr.

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