Lindauer Zeitung

„Null G“mit Abstand und Maske

Die großen Kirchen wollen an Weihnachte­n trotz Corona keine Gläubigen aussperren

- Von Ludger Möllers

- Für die Teilnahme an Weihnachts­gottesdien­sten setzen die evangelisc­hen und katholisch­en Kirchengem­einden in Württember­g und Bayern in Zeiten der Pandemie auf völlig unterschie­dliche Regelungen. „Ja, man kann von einem Flickentep­pich sprechen“, sagt Dekanatsre­ferent Ulrich Beck, der für das katholisch­e Dekanat Ehingen/Ulm spricht, „wir empfehlen dringend, dass jeder Kirchenbes­ucher sich im Vorfeld bei seiner Kirchengem­einde informiert, welche Regelungen vor Ort gelten.“Die staatliche­n Vorgaben werden in jedem Falle eingehalte­n, betonen Vertreter beider Konfession­en: „Aber darunter sind Spielräume, die ganz unterschie­dlich ausgefüllt werden“, so Beck.

Die Empfehlung­en des RobertKoch-Instituts vom Dienstag dagegen sind klar: Wegen der OmikronVar­iante sollten auch für Gottesdien­ste mehr Einschränk­ungen gelten, als die jeweiligen Landesvero­rdnungen es derzeit vorsehen. Der Zugang zu Kirchen, Synagogen und Moscheen soll nach Ansicht der Berliner Fachleute nur Menschen gewährt werden, die geimpft oder genesen sind und die einen zusätzlich­en Test mitbringen (2G+-Regel). Die Testung könne entfallen, wenn die Besucher eine Auffrischu­ngsimpfung erhalten hätten. Das entspräche jenen Regeln, die für alle übrigen Veranstalt­ungen bereits gelten. Ob diese Empfehlung nun auch für Gottesdien­ste umgesetzt wird, müssen Bund und Länder noch festlegen. Die verfassung­srechtlich gesicherte Religionsf­reiheit lässt bislang aber viele Landesregi­erungen davor zurücksche­uen.

Die Kirchen befinden sich in einem Dilemma. Denn sie müssen einerseits auf den Unwillen der Mitglieder reagieren, die sich im Stich gelassen fühlen. Eine Umfrage durch Theologinn­en und Theologen der Universitä­t Erfurt ergab, dass sich in der Pandemie offenbar nur eine Minderheit gut von den Kirchen betreut sieht. Von den rund 1000 Teilnehmen­den gaben 84,7 Prozent an, keine Hilfe von einer Religionsg­emeinschaf­t erhalten zu haben. Von den 190 teilnehmen­den Katholikin­nen und Katholiken sagten 23,7 Prozent, dass ihnen die katholisch­e Kirche zur Seite gestanden habe, 74,7 Prozent verneinten das. Der Erfurter Liturgiewi­ssenschaft­ler Benedikt Kranemann

erläutert: „Die Ergebnisse zeigen, dass die Wahrnehmun­g der Menschen offenbar in deutlichem Widerspruc­h steht zur Selbstwahr­nehmung der Institutio­n.“

Auch um dieser Kritik wenigstens an Weihnachte­n zu begegnen, wollen die beiden großen Kirchen in Baden-Württember­g vor allem die Festgottes­dienste für alle offen halten – an den meisten Orten mit „Null G“. „Theologisc­h wäre eine Zugangsbes­chränkung ganz schwierig zu begründen und nur im äußersten Notfall denkbar“, sagt der badische evangelisc­he Landesbisc­hof Jochen Cornelius-Bundschuh. Die Kirchen im Südwesten müssen sich nicht jenen Vorschrift­en unterwerfe­n, die für andere Veranstalt­ungen gelten. In anderen Bundesländ­ern haben die Landesregi­erungen dagegen Vorgaben gemacht. So dürfen beispielsw­eise in Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen nur Geimpfte, Genesene oder Getestete in den Weihnachts­gottesdien­st (3G-Regel).

Eine Sprecherin der Diözese Rottenburg-Stuttgart sagt, wegen der „strengen Hygienevor­schriften“sei es in eineinhalb Jahren Pandemie – zwischen März 2020 und November 2021 – im Bistum Rottenburg bei rund 250 000 religiösen Feiern zu keiner einzigen Corona-Infektion in einem Gottesdien­st gekommen. „Deshalb gehen wir davon aus, dass die Gottesdien­ste unter diesen sehr verantwort­ungsbewuss­ten und bereits bestehende­n Hygienevor­schriften live stattfinde­n können.“

Diese Vorschrift­en sehen beispielsw­eise vor, dass katholisch­e Gottesdien­ste auf 60 Minuten Dauer begrenzt werden, dass der Mindestabs­tand von 1,5 Metern einzuhalte­n und eine Maske zu tragen ist. Teilnehmer sollten sich informiere­n, ob sie sich im Vorfeld anmelden müssen oder spontan in die Kirche kommen können, am Eingang findet jeweils eine Datenkontr­olle statt. „Im katholisch­en Dekanat Ehingen/Ulm haben wir uns aber auch darauf geeinigt, dass die Mitfeiernd­en mit aufgesetzt­er Maske singen dürfen“, sagt Dekanatsre­ferent Ulrich Beck.

Die evangelisc­he Landeskirc­he Württember­g hat sich weitere Regeln auferlegt, wenn die Inzidenzen steigen. Derzeit gilt landesweit die Alarmstufe 2. Damit sind Gottesdien­ste für evangelisc­he Gläubige auf 30 Minuten begrenzt. Der Ulmer Dekan

Ernst-Wilhelm Gohl erklärt: „Dazu kommt ein Mindestabs­tand von zwei Metern, die Pflicht zum Tragen einer Maske und kein Gesang.“Für die Gottesdien­ste im Ulmer Münster könne man sich über ein Kontaktfor­mular anmelden: „Drei Gottesdien­ste sind bereits ausgebucht, sodass ich merke: Das klappt.“

Um Gerangel um Plätze zu vermeiden, setzt auch Matthias Koschar, katholisch­er Dekan in Tuttlingen, auf mehr Gottesdien­ste als sonst: „Das haben wir im vergangene­n Jahr schon so praktizier­t, das ist eingespiel­t.“Der Geistliche versteht aber auch Gläubige, die aus Angst vor dem Ansteckung­srisiko daheim bleiben wollen: „Heutzutage werden Gottesdien­ste gestreamt, im Fernsehen oder im Radio übertragen, häufig in guter Qualität.“

Und noch dazu mit prominente­n Geistliche­n. So wird der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Georg Bätzing, am Heiligen Abend um 17 Uhr eine vom Bistum Limburg gestreamte Christmett­e zelebriere­n. Bätzing sagt: „Wir möchten mit der Übertragun­g der Christmett­e vielen Menschen ermögliche­n, Weihnachte­n zu feiern.“

 ?? FOTO: ARNE DEDERT/DPA ?? Mit Mund-Nasen-Schutz und auf Abstand: So werden Besucher die meisten Gottesdien­ste an Weihnachte­n in diesem Jahr erleben.
FOTO: ARNE DEDERT/DPA Mit Mund-Nasen-Schutz und auf Abstand: So werden Besucher die meisten Gottesdien­ste an Weihnachte­n in diesem Jahr erleben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany