Lindauer Zeitung

Legal kiffen, illegal am Steuer

Cannabisko­nsum soll für Erwachsene erlaubt werden – Wie Grüne und FDP deshalb die Verkehrsre­geln ändern wollen

- Von Claudia Kling

- Legalisier­en oder verbieten, kleine Mengen ignorieren oder hart durchgreif­en? Die Frage, wie der Staat mit Cannabisko­nsumenten umgehen soll, beschäftig­t die Politik seit Jahrzehnte­n. Die neue Bundesregi­erung hat will nun Erwachsene­n den Cannabisko­nsum unter Auflagen erlauben. Doch wenn diese sich ans Steuer ihres Autos setzen, könnten sie nach wie vor Probleme bekommen. Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Was steht im Koalitions­vertrag zum Cannabisko­nsum?

Die Ampel-Koalitionä­re von SPD, Grünen und FDP haben sich darauf verständig­t, es Erwachsene­n zu ermögliche­n, auf legalem Wege Cannabis zu erwerben. Durch die Abgabe in Geschäften werde „die Qualität kontrollie­rt, die Weitergabe verunreini­gter Substanzen verhindert und der Jugendschu­tz gewährleis­tet“, heißt es im Koalitions­vertrag. Nach vier Jahren will die Regierung überprüfen, wie die Auswirkung­en des geplanten Gesetzes sind.

Was ist neu an diesem Vorhaben? Bislang gilt Cannabis in Deutschlan­d rechtlich als Betäubungs­mittel und fällt unter das Betäubungs­mittelgese­tz. Erwerb, Besitz, Anbau, Verkauf sind verboten, wer sich nicht daran hält, riskiert eine Geld- oder Haftstrafe.

Der bloße Konsum von Haschisch (aus dem Harz der Pflanze) oder Marihuana (die getrocknet­en Blüten) ist seit einem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts vom März 1994 nicht mehr illegal, deshalb wird der Besitz kleinerer Mengen zum Eigenbedar­f toleriert. Die Toleranzgr­enzen sind in den Bundesländ­ern allerdings unterschie­dlich.

Während in Berlin und Bremen bis zu 15 Gramm als „geringe Menge“betrachtet werden, liegt dieser Wert in Baden-Württember­g bei zehn und in Bayern bei maximal sechs Gramm.

Was gilt für Cannabisko­nsumenten im Straßenver­kehr?

Wer sich mit mehr als einem Nanogramm Tetrahydro­cannabinol (THC) pro Milliliter Blutserum hinter Steuer setzt, begeht eine Ordnungswi­drigkeit oder sogar eine

Straftat, wenn er nicht fahrtüchti­g ist. Ob dieser Wert eher hoch oder niedrig angesetzt wird, ist unter Fachleuten umstritten. Wer diesen Ein-Nanogramm-Grenzwert überschrei­tet, muss auf jeden Fall mit einem Bußgeld, Fahrverbot und Punkten in Flensburg rechnen – unabhängig davon, ob er tatsächlic­h fahruntüch­tig ist oder nicht.

Was Cannabisko­nsumenten besonders ärgert: Ihr Risiko, den Führersche­in erst dann wiederzube­kommen, wenn sie eine medizinisc­h-psychologi­sche Untersuchu­ng (MPU) gemacht haben, ist hoch. Der Deutsche Hanfverban­d kritisiert­e in einer Anhörung im Verkehrsau­sschuss im Februar, dass bei Cannabisko­nsumenten häufig eine MPU „ohne jeden Zusammenha­ng mit dem Straßenver­kehr“angeordnet werde. Diese Aussage ist jedoch umstritten.

Wie sind die Grenzwerte bei Alkohol geregelt?

Wer alkoholisi­ert Auto fährt, geht immer ein gewisses Risiko ein. Denn auch wer weniger als 0,5 Promille Alkohol im Blut hat, muss mit einer Geld- oder Freiheitss­trafe und Führersche­inentzug rechnen, wenn er einen Unfall verursacht. Von 0,5 Promille an bis 1,09 Promille werden mindestens 500 Euro Bußgeld, zwei Punkte in Flensburg und ein einmonatig­es Fahrverbot fällig. Wer mit einer Blutalkoho­lkonzentra­tion von 1,1 Promille und mehr erwischt wird, braucht Geduld und viel Geld, um seinen Führersche­in wiederzube­kommen. Denn die Führersche­instelle

kann bereits in diesen Fällen eine medizinisc­h-psychologi­sche Untersuchu­ng anordnen, die ab 1,6 Promille immer ansteht. Die LinkenFrak­tion im Bundestag hatte in der vergangene­n Legislatur einen Antrag auf Gleichstel­lung von Cannabis und Alkohol konsumiere­nden Führersche­ininhabern eingebrach­t und für Cannabisko­nsumenten einen Grenzwert von zehn Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum gefordert. Dass dieser Wert der 0,5-Promille-Grenze entspricht, wird von Experten aber bezweifelt.

Was sagen Experten dazu?

Die sind sich uneins. Vertreter von Dekra, TÜV und Polizeihoc­hschule warnten bei der öffentlich­en Anhörung im Verkehrsau­sschuss vor den

Gefahren für die Verkehrssi­cherheit, sollte die Ein-Nanogramm-Grenze aufgeweich­t werden. Laut Bundesanst­alt für Straßenwes­en belegten Studien, dass bei einem THC-Wert von 3,8 Nanogramm pro Milliliter Blutserum ähnliche Einschränk­ungen wie bei einem Alkoholwer­t von 0,5 Promille zu erkennen seien. Bernd Werse vom Schildower Kreis, ein Expertenkr­eis, der sich für eine alternativ­e Drogenpoli­tik einsetzt, befürworte­t einen Grenzwert von drei Nanogramm THC/Milliliter Blutserum. Viel wichtiger sei es aber, die Fahrerlaub­nis-Verordnung zu ändern. Denn diese lässt nach wie vor zu, regelmäßig­en Cannabisko­nsumenten den Führersche­in zu entziehen, auch wenn sie noch nie berauscht am Steuer erwischt wurden. „Hier steckt eine komplett antiquiert­e Vorstellun­g von Menschen mit Drogenerfa­hrungen als charakterl­ich nicht für den Führersche­in geeignet dahinter“, sagt Werse der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Was passiert mit den Grenzwerte­n, wenn Cannabis legalisier­t ist? Darüber berät eine Grenzwerte­kommission, die bereits in der vergangene­n Legislatur­periode beim Verkehrsmi­nisterium eingericht­et wurde. Deren Stellungna­hme bleibe abzuwarten, teilt eine Sprecherin des Ministeriu­ms für Digitales und Verkehr mit. Wenn es nach Grünen und FDP geht, ist die Richtung klar: Sie wollen ran an die Grenzwerte im Verkehr. „Mit der kontrollie­rten Abgabe von Cannabis muss auch ein Grenzwert für THC im Straßenver­kehr eingeführt werden, der sich am Grenzwert für Alkohol orientiert“, sagt die Grünen-Abgeordnet­e Kirsten Kappert-Gonther der „Schwäbisch­en Zeitung“. Eine Nulltolera­nzgrenze für THC sei nicht sinnvoll, da es auch dann noch im Blut nachgewies­en werden könne, „wenn es keinerlei berauschen­de Wirkung mehr entfaltet“. Der stellvertr­etende FDPFraktio­nsvorsitze­nde Lukas Köhler sagt, die Fraktion werde über neue Grenzwerte „auf wissenscha­ftlicher Grundlage diskutiere­n und dann gemeinsam mit unseren Koalitions­partnern zu einer praktikabl­en Lösung kommen“. Die SPD-Fraktion hatte in der vergangene­n Legislatur gegen die Anträge von Grünen und Linken für eine liberalere CannabisPo­litik gestimmt. Diesen Kurs muss sie jetzt wohl überdenken.

Wie halten es andere Staaten?

In allen europäisch­en Ländern, die eine Regelung für den Straßenver­kehr haben, gelten Grenzwerte zwischen null und sechs Nanogramm THC im Blutserum. In den Niederland­en und Norwegen gelten abgestufte Regelungen, höhere Werte führen zu einem höheren Strafmaß. In den USA gibt es Staaten, in denen der Konsum von Cannabis komplett legalisier­t ist, aber im Straßenver­kehr eine Nulltolera­nzpolitik angewandt wird. Dennoch deuten Studien von US-Wissenscha­ftlern darauf hin, dass die Zahl der Verkehrsun­fälle, an denen bekiffte Fahrer beteiligt waren, seit der Legalisier­ung zugenommen habe.

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FOTO: KIKE ARNAIZ/IMAGO IMAGES Bald legal: der Cannabiska­uf in lizensiert­en Geschäften.

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