Ein digitales Grundbuch soll Facebook & Co. entmachten
Mit der Blockchain-Technologie könnten Webnutzer mehr Macht über ihre Daten bekommen – Was die Ampelkoalition plant
- Ist das Internet wie wir es momentan nutzen bald passé? TechEnthusiasten kündigen eine dritte Generation des World Wide Web an. Es soll wieder zu einem demokratischeren Ort werden, der nicht mehr von Plattformen wie Facebook bestimmt wird, sondern von den Nutzern. Die Zeit sei „vergleichbar mit den Anfängen des Internets“, sagt die Wirtschaftsinformatikerin Shermin Voshmgir von der Uni Wien. Auch damals habe kaum jemand vorhergesehen, dass das Netz eines Tages Google Maps, Wikipedia und Instagram hervorbringen wird. Heute ist die Welt auch wegen diesen Anwendungen eine andere.
Ermöglichen soll dies die „Blockchain“. Einfach ausgedrückt handelt es sich dabei um eine öffentliche Datenbank. Allerdings wird sie auf vielen Computern gespeichert. Bekannt geworden ist die Technologie durch die digitale Kryptowährung Bitcoin, die auf ihr basiert. In der Blockchain können Geldtransfers gespeichert werden, vereinfacht ausgedrückt ungefähr so: „Person A schickt Person B Summe X“. Dass diese Information identisch auf sehr vielen Computern gespeichert wird, macht sie extrem fälschungssicher.
Das macht die Blockchain zu einer Art Vertrauensinstanz, die Vermittlerplattformen wie etwa Banken, die bisher dafür garantiert haben, dass von A nach B versandtes Geld auch wirklich versandt wurde, unnötig machen könnte. Im Finanzsektor ist die Revolution deswegen bereits im vollen Gange, sogar Zentralbanken arbeiten inzwischen an eigenen Kryptowährungen. „Für mich ist die Sache sehr klar“, sagt Bitcoin-Experte Philipp Sandner von der Frankfurt School of Finance. Überall wo heute „Finance“drauf stehe, werde in fünf bis fünfzehn Jahren die Blockchain drin sein. Sogar der Euro wird seiner Meinung nach irgendwann darauf aufbauen.
Auch in der Ampelkoalition hat man das Potenzial der Technologie erkannt, weswegen sie sich im Koalitionsvertrag vorgenommen hat, „Distributed-Ledger-Technologien“(„Verteilte-Hauptbuch-Technologien“, Hauptbuch ist ein Begriff aus dem Rechnungswesen), zu denen die Blockchain gehört, „messbar zu stärken“. Vor allem Politiker der FDP sind bei dem Thema wie elektrisiert. „Es wird ein Quantensprung sein, weil wir offen für dieses Thema sind“, sagt FDP-Finanzexperte Frank
Schäffler. Die entscheidenden Ministerien für das Thema – Finanzen, Justiz, Digitales – würden nun von Liberalen geführt, so Schäffler, der in den vergangenen Jahren einige Anträge an die Große Koalition zu dem Thema geschrieben hat und vor allem für die Chancen im Bankenbereich wirbt.
Aber auch in der Kunstwelt sorgt die Technologie für Furore: Sogenannte NFTs (Non-fungible Token, „nicht-austauschbare Wertmarke“) erlösen inzwischen Millionenbeträge. Ein NFT ist eine geschützte Datei, deren Einzigartigkeit durch die Blockchain abgesichert wird. Zwar können die Bilder oder Videos im Internet weiterhin zugänglich sein, aber das Original besitzt nur einer.
Das gleiche Prinzip lässt sich auch für Waren anwenden, die über Amazon oder eBay versandt werden, für Taxifahrten, die durch Uber vermittelt oder Hotelzimmer, die via AirBnB gebucht werden: Wenn alle Informationen über Dienstleistung und Bezahlung fälschungssicher und transparent zugänglich seien, verlieren die großen Vermittlerplattformen an Bedeutung, so die Hoffnung der Blockchain-Befürworter.
Bevor es soweit ist, will die Ampel allerdings erstmal in einer Machbarkeitsstudie prüfen, „ob ein Grundbuch auf der Blockchain möglich und vorteilhaft ist.“Der Hintergedanke: Die Verwaltung könnte entlastet, der Kaufprozess beschleunigt und Millionen Euro eingespart werden, wenn alle Prozesse rund um den Immobilienkauf wie Finanzierung, Geldtransfers oder die Eigentumsübertragung in einer Blockchain hinterlegt sind. Makler, Notare und Grundbuchämter könnten langfristig sogar überflüssig werden. Soweit die Theorie.
Als Vorbild wird oft Schweden genannt, das sein Grundbuch bereits digitalisiert hat. In der Praxis ist bei den Skandinaviern allerdings Ernüchterung eingekehrt: Von der Unterzeichnung eines Kaufvertrages bis zur Eintragung ins Grundbuch vergehen auch Jahre nach der Einführung noch immer im Schnitt vier Monate. Und noch immer müssen zahlreiche Papierdokumente hin und hergeschickt werden. Sind die Hoffnungen in die Blockchain also übertrieben?
Den Eindruck erhält man, wenn man mit Digitalpolitikern der Ampel spricht. „Wir sollten uns nicht von dem Gedanken ‚Hauptsache irgendwas mit Blockchain‘ leiten lassen“, sagt Jens Zimmermann. Der SPD-Digitalexperte beklagt einen übertriebenen Hype um das Thema in den vergangenen Jahren. So beschäftigte sich die Berliner Start-up-Welt etwa eine Zeit lang mit kaum etwas anderem. In den USA und Großbritannien gingen Aktienkurse von Unternehmen schon dann durch die Decke, wenn der Begriff Blockchain in ihren Namen integriert wurde – selbst wenn es sich um Eistee handelte. Auch an deutschen Ministerien ging die Euphorie nicht vorbei:
Der gescheiterte digitale Führerschein von Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) etwa basierte ebenfalls auf der Blockchain, was viele in der Szene für völlig unnötig hielten.
Denn die aufwendige Technologie ist Experten zufolge nur dann sinnvoll, wenn es keine zentrale Instanz gibt, die Daten auf ihre Echtheit überprüfen kann, diese Daten aber öffentlich zugänglich sein sollten. Alles andere sei, als bearbeitete man Käse, der sich auch mit dem Käsehobel schneiden ließe, mit fünf Kettensägen, kritisierte kürzlich der Krypto-Experte Tibor Jager von der Uni Wuppertal. Manchmal tut es auch einfach eine normale Datenbank.
Digitalpolitiker Zimmermann hält die Blockchain dennoch für eine interessante Technologie. Nun sei es aber an der Zeit, aus der Experimentierphase in die konkrete Anwendung zu kommen. „Und zwar dort, wo es sinnvoll ist.“