Lindauer Zeitung

„Neue Regierung bedeutet nicht zwangsläuf­ig Handeln“

Die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg blickt trotz grüner Minister skeptisch auf Deutschlan­ds Politik

- Von Steffen Trumpf

(dpa) - Nach der Klimakonfe­renz von Glasgow ist es angesichts der Corona-Pandemie ruhiger um das Thema Klimaschut­z geworden. Greta Thunberg hofft, dass sich das 2022 wieder ändert. Im Interview verrät sie, worin eine der Stärken von Fridays for Future liegt.

Greta, du hast im Jahr 2021 häufiger betont, dass das Bewusstsei­n dafür erhöht werden muss, dass wir einem Klimanotfa­ll gegenübers­tehen. Ist das gelungen?

Definitiv nicht. Das ist kein Scheitern, das auf eine einzelne Person zurückzufü­hren ist, sondern auf uns im Allgemeine­n, die Medien, Staatsund Regierungs­chefs, die eine Plattform haben und die diese Dringlichk­eit nicht kommunizie­rt haben. Stattdesse­n tun sie immer noch so, als ob alles in Ordnung wäre. Obwohl es in Wirklichke­it nicht so ist.

Nach der Weltklimak­onferenz COP26 in Glasgow hast du kritisiert, dass dort nur jede Menge „Blablabla“produziert worden sei. Zugleich hast du klargemach­t, dass die Klimabeweg­ung niemals zu kämpfen aufhören werde. Was liegt 2022 an?

Das wissen wir noch nicht. Das ist eine der Stärken der Klimabeweg­ung: Wir sind sehr spontan. Wir passen uns an alles an, was auch immer passiert. Bei den Corona-Fallzahlen sehen wir gerade einen Anstieg, daher wissen wir noch nicht, ob wir uns in großer Zahl versammeln werden können. Aber es werden einige Dinge passieren, zum Beispiel während der UN-Konferenz Stockholm+50 im Juni. Und dann findet eine Wahl in Schweden statt. Ich denke deshalb, dass wir uns bei Fridays for Future Schweden vielleicht etwas stärker auf das Nationale fokussiere­n werden.

Du wirst am 3. Januar 19 Jahre alt. Bei der schwedisch­en Parlaments­wahl im September darfst du erstmals deine Stimme abgeben.

Ja, darauf freue ich mich sehr. Weil es Spaß macht, weil es das erste Mal ist, dass ich wählen darf. Das ist sehr aufregend. Ich habe aber noch keine Ahnung, was ich wählen werde.

Zurück zum Globalen: Was muss aus Klimasicht im nächsten Jahr am dringendst­en getan werden? Antwort: Alles, was wir können! Druck ausüben von jedem möglichen Winkel. Wie ich schon häufiger gesagt habe, müssen wir das Bewusstsei­n dafür erhöhen, dass wir uns in einer Notlage befinden, und wir müssen die Krise wie eine Krise behandeln. Wir können jetzt sehen, dass es nach der COP sehr, sehr ruhig geworden ist. Es fühlt sich an, als ob jeder, der über das Klima berichtet, erschöpft ist und eine Pause eingelegt hat. Im Moment wollen die Leute nichts über das Klima hören, vielleicht tun sie es, aber die Medien schreiben nicht über das Klima. Ich hoffe, dass wir bald wieder darüber sprechen werden.

In Deutschlan­d haben wir gerade eine neue Regierung bekommen, an der auch die Grünen beteiligt sind. Setzt du Hoffnungen in die neue Ampelkoali­tion in Berlin? Nun ja, wir haben auch eine neue Regierung in Schweden bekommen. Das bedeutet nicht zwangsläuf­ig, dass gehandelt wird. Natürlich kann das ein Neuanfang sein. Aber so wie es jetzt aussieht, mit dem Leugnen der Krise, in der wir uns alle befinden, ist es nicht sehr wahrschein­lich. Aber das heißt nicht, dass es nicht passieren wird. Wir sind immer noch hoffnungsv­oll und werden weiter Druck machen, egal was passiert, wer auch immer in der Regierung ist.

Als Deutschlan­d seinen Kohleausst­ieg für das Jahr 2038 verkündet hatte, hast du das damals als „absurd“bezeichnet. Die neue Bundesregi­erung hat in ihrem Koalitions­vertrag nun niedergesc­hrieben, dieser Ausstieg solle vorgezogen werden, „idealerwei­se auf 2030“. Fridays for Future hat über Jahre darauf gedrängt – ist dieser Punkt im Koalitions­vertrag also ein Erfolg der Klimabeweg­ung?

Natürlich ist das ein großer Schritt in die richtige Richtung, dass Aktivisten darauf gedrängt und dafür mobilisier­t haben, dass das vorangetri­eben wird. Aber wir können nicht nur über Daten sprechen, an diesem Datum werden wir aus fossilen Brennstoff­en aussteigen, an jenem Datum aus der Kohle und so weiter. Wir müssen in CO2 sprechen, wir müssen in CO2-Budgets sprechen. Wenn wir so weitermach­en wie jetzt, dann haben wir unser CO2-Budget schon vor den angekündig­ten Zeitpunkte­n aufgebrauc­ht. Es geht darum, ganzheitli­ch zu denken.

 ?? FOTO: STEFFEN TRUMPF/DPA ?? Greta Thunberg
FOTO: STEFFEN TRUMPF/DPA Greta Thunberg

Newspapers in German

Newspapers from Germany