Naidoo darf als Antisemit bezeichnet werden
Frau handelt sich nach Vortrag eine Klage ein – Verfassungsgericht bricht Lanze für die Meinungsfreiheit
(dpa) - Einer Vortragsrednerin, die den Sänger Xavier Naidoo 2017 als Antisemiten bezeichnet hatte, sind diese Äußerungen zu Unrecht verboten worden. Eine Verfassungsbeschwerde der Frau hatte Erfolg, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe am Mittwoch mitteilte. Die Gerichte, die Naidoos Klage stattgegeben hatten, hätten „die Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit im öffentlichen Meinungskampf “verkannt. (Az. 1 BvR 11/20)
Die Referentin der Amadeu Antonio Stiftung hatte einen Vortrag zum Thema „Reichsbürger“gehalten und war im Anschluss gefragt worden, wie sie den umstrittenen Sänger aus Mannheim einstufe. Sie hatte geantwortet, sie sehe ihn „mit einem Bein bei den Reichsbürgern“. Und: „Er ist Antisemit, das darf ich, glaub ich, aber gar nicht so offen sagen, weil er gerne verklagt. Aber das ist strukturell nachweisbar.“Anlass waren Liedtexte und Interviewäußerungen Naidoos sowie eine Rede vor dem Reichstag 2014. „Reichsbürger“lehnen die Bundesrepublik als Staat und ihre Behörden ab.
Das Landgericht Regensburg und das Oberlandesgericht Nürnberg hatten der Frau die Behauptung verboten. Die Äußerungen beeinträchtigten die personale Würde Naidoos und hätten eine Prangerwirkung.
Diese Urteile sind nach der Karlsruher Entscheidung in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft. Naidoo habe sich „mit seinen streitbaren politischen Ansichten freiwillig in den öffentlichen Raum begeben“und beanspruche „für sich entsprechend öffentliche Aufmerksamkeit“. Ihm deshalb einen „besonderen Schutz zuteilwerden zu lassen, hieße Kritik an den durch ihn verbreiteten politischen Ansichten unmöglich zu machen“, schreiben die Verfassungsrichterinnen und -richter. Die Entscheidung bezieht sich rein formal auf den konkreten Vorfall im Jahr 2017. Ob heute jemand in einer anderen Situation Naidoo als „Antisemiten“bezeichnen dürfte, müsste im Zweifel in einem neuen Prozess geklärt werden.