Wenn der Schmerz nicht mehr nachlässt
Speziell ausgebildete Mediziner wie Gerald Asshoff gehen den Ursachen nach und bieten Hilfestellung auch bei Long-Covid
- Schmerz kennt jeder, allerdings mögen ihn die wenigsten. Angaben der Deutschen Schmerzgesellschaft zufolge leidet in jedem dritten Haushalt in Europa ein Mensch unter Schmerzen. 15 bis 20 Prozent aller Deutschen sind von lang anhaltenden, chronischen Schmerzen betroffen, heißt es bei der Gesellschaft weiter – das sind mehr als zwölf Millionen Menschen. Durchschnittlich dauere ihre Leidensgeschichte sieben Jahre, bei mehr als 20 Prozent mehr als 20 Jahre. Mit teils schlimmen Folgen: Schmerzpatienten kämpfen nicht nur mit Dauerschmerz, sondern müssen zum Teil auch mit körperlichen Einschränkungen im Alltag leben. Oft sind sie depressiv, leiden unter angstvollen Gedanken, Schlafstörungen und unter verminderter Konzentration – und sind schlichtweg am Ende.
Doch das ist nicht alles: Experten zufolge nimmt die Zahl der Menschen, die an chronischen Schmerzen leiden, zu – sei es an Wunden, an Rücken, Kopf, an den Gelenken, den Nerven, dem Magen, dem Darm oder der Seele, um nur ein paar Schmerzarten zu nennen.
Dr. Gerald Asshoff aus Friedrichshafen kennt all diese Zahlen. Trotzdem ist der ruhige Mediziner manchmal gleichsam in der Rolle eines Detektivs – dann, wenn es gilt, die vielfältigen Ursachen für Schmerzen herauszufinden, um seinen teils verzweifelten Patientinnen und Patienten zumindest Linderung zu verschaffen, ihnen zu helfen, sich „vom Schmerz zu distanzieren“, wie Experten sagen. Der Arzt, der Belegbetten am Klinikum in Friedrichshafen hat, ist speziell ausgebildeter Schmerztherapeut und gehört zu einer jungen Sparte von Medizinern. Dass es sie gibt, hat sich noch nicht überall herumgesprochen. Und weil es nicht genug von ihnen gibt, haben die meisten eine Wartezeit, bis sie neue Patienten aufnehmen können. Asshoff spricht von bis zu drei Monaten, ausgenommen Akutschmerzoder Tumorpatienten.
Grundsätzlich unterscheiden die Ärzte zwischen akutem und chronischem Schmerz. Akuten empfindet der Mensch beispielsweise, wenn er seine Hand auf eine heiße Herdplatte legt. „Dieser Schmerz ist ein wichtiges Warnsignal, um uns vor weiterem Schaden zu schützen“, erklärt Asshoff. Aufgrund einer gewissen Situation könne sich dieser allerdings in chronischen Schmerz verwandeln. Davon sprechen die Mediziner, wenn der dauerhafte Schmerz zwölf Wochen und mehr dauert. Doch wie wird Schmerz gemessen? „Dafür gibt es keine Skala, die auf alle angewendet werden könnte. Schmerz ist sehr subjektiv“, sagt der Fachmann. Gibt es eingebildeten Schmerz? „Nein“, lautet seine klare Antwort. Die erinnert an eine Aussage von Margo McCaffery, einem amerikanischen Pionier auf dem Gebiet des Schmerzmanagements aus dem Jahr 1968: „Schmerz ist das, was immer ein Mensch darunter versteht und Schmerz ist vorhanden, wann immer ein Mensch ihn wahrnimmt.“Es war John Bonica, ebenfalls ein Amerikaner, der im Jahr 1973 die „Internationale Vereinigung zum Studium des Schmerzes (IASP) gründete. Der Anästhesist hatte bereits 1947 die erste interdisziplinäre Schmerzklinik zur Behandlung von Kriegsverletzungen gegründet, die Fachleute durchaus mit den heutigen Schmerzambulanzen vergleichen.
Doch zurück nach Friedrichshafen: Wer in die Asshoff’sche Praxis kommt, bringt zum ersten einstündigen Gespräch einen Fragebogen zum Thema Schmerz mit, den er von der Arztpraxis bekommen und zu Hause ausgefüllt hat. Dieser dient, zusammen mit dem Ergebnis des ärztlichen
Schmerztherapeut Dr. Gerald Asshoff
Gesprächs, in dem Art und Ort der Schmerzen, die soziale Situation des Patienten und eingenommene Medikamente thematisiert werden, als Grundlage für die weitere Behandlung – und den Therapieplan. Die Möglichkeiten dafür reichen von Gesprächs- und Infusionstherapie, Akupunktur, Physio- und Ergotherapie, gezielte Schmerzinjektion, Hypnose bis hin zum Auftragen von Salben und beispielsweise zur Einnahme von Medikamenten in Kooperation mit dem Klinikum Friedrichshafen.
Die bisher jüngste Patientin war ein zehnjähriges Mädchen, das über starke Spannungskopfschmerzen klagte. Stressbedingt, wie der Schmerztherapeut diagnostizierte. Kopfschmerzen gehören zu den weit verbreiteten chronischen Krankheiten, die internationale Kopfschmerzgesellschaft unterscheidet weit mehr als 200 verschiedene Kopfschmerzarten. Dazu zählt auch Migräne, eine neurologische Erkrankung mit bis zu 72-stündigen Migräneattacken – in Deutschland leiden darunter 15 Prozent der Frauen und bis zu zehn Prozent der Männer. Was können Betroffene dagegen tun? Asshoff empfiehlt eine ausgewogene, dauerhafte Therapie während der kopfschmerzlosen Zeit, damit die Zahl der Anfälle oder auch die Stärke reduziert wird. Was bedeutet: Walken, Fahrradfahren, und, bei einem regelmäßigen Tagesablauf, möglichst wenig Stress. So werden die Patienten beispielsweise in Entspannungsverfahren, die sie täglich anwenden sollen, unterrichtet. Auch dem zehnjährigen Mädchen konnte so geholfen werden. Zudem gibt es Medikamente, um die Attacken zu reduzieren.
Auch ist die Zahl derer, die über Rückenschmerzen klagen, hoch. Wieder empfiehlt der Schmerztherapeut Bewegung, Bewegung und nochmals Bewegung.
Vorbeugend empfehlen Spezialisten eine ausgewogene Ernährung, eine ausgeglichene Work-Life-Balance, ganz nach dem Motto: „Ein gesunder Körper kennt keinen Schmerz.“Fehlende Anerkennung, der Verlust des Arbeitsplatzes und beispielsweise Einsamkeit sind dagegen kontraproduktiv.
Doch wann ist es Zeit, zum Schmerztherapeuten zu gehen, wenn trotz aller Vorbeugung
Schmerzen auftreten? Gerald Asshoff nennt ein Beispiel: Wenn ein Patient vier bis sechs Wochen nach einer Operation am Arm über anhaltende Schwellungen und Schmerzen klagt, die nicht auf die Operation zurückzuführen sind. Experten empfehlen, dass akute Schmerzen effektiv behandelt werden sollten, damit daraus keine chronischen Schmerzen werden, sich kein Schmerzgedächtnis entwickeln kann. Denn: Lang anhaltende Schmerzen lassen oft den Verbrauch von Schmerzmitteln in die Höhe schnellen. Mit der Folge, dass es zu Magen-Darm-Beschwerden wie auch zu Nierenschäden kommen kann, wenn Schmerzmittel über längere Zeit unkontrolliert eingenommen werden. Außerdem, so heißt es weiter, könne ein schädlicher Schmerzmittelkonsum die Aufrechterhaltung von Schmerzen begünstigen.
Seit Januar dieses Jahres hat Gerald Asshoff, der seit Anfang 2009 als Schmerztherapeut arbeitet, eine ganz neue Patientengruppe: Menschen, die an Long-Covid leiden. Sie klagen über Gelenk- und Muskelschmerzen, also Schmerzen im Bewegungsapparat, sowie über Erschöpfung in einem Ausmaß, das sich der Schmerztherapeut „nicht hätte vorstellen können“. Der jüngste dieser Patienten ist 34 Jahre alt. Aufgrund einer individuellen Schmerztherapie konnten bei diesem Mann die Schmerzen reduziert werden, er kann wieder arbeiten. „Keinen einzigen Patienten mit einem Impfschaden“, habe er dagegen gehabt, betont der Arzt.
Gehen ihm die Schmerzen seiner Patienten und damit verbunden ihr Leiden nahe? Asshoff überlegt nicht lange. Eine gewisse Empathie hält er bei seiner Arbeit als Schmerztherapeut sogar für notwendig – auch, um sich in den Patienten und die von ihm geschilderten Schmerzen einfühlen zu können. „Wenn jemand zu mir kommt, will ich wirklich helfen können“, sagt der Schmerztherapeut. „Zu hoffen, dass es klappt, wäre mir zu wenig.“