Es gibt keine wahre Welt in der falschen
„Matrix Ressurections“ist ein Film mit vielen Ebenen – Keanu Reeves katapultiert den vierten Teil der Reihe in eine neue Dimension
NVon Rüdiger Suchsland
ach mehr als zwei Dekaden kehrt das „Matrix“-Universum auf die Kinoleinwand zurück. Und wieder ist es ein Film wie ein Drogentrip. Dabei gilt für diese Regiearbeit von Lana Wachowski: Alles ist gleich, aber nichts ist dasselbe. Denn die Welt ist eine grundsätzlich andere geworden. Seit 1999 hat sich das Kino verändert: Superhelden und Fantasywelten sind zum Mainstream geworden. Effekte, die damals sensationell waren, sind so selbstverständlich wie das Misstrauen gegenüber der Bilderrealität. Das Kino als Ganzes scheint zur Matrix, zum Ort der Simulation geworden.
„Willst du die Welt so sehen, wie andere sie dir vorgaukeln wollen? Oder wie sie wirklich ist?“Die philosophischen Fragen, die diesem Science-Fiction-Fantasy-Abenteuer zugrunde liegen, sind die gleichen wie zum Auftakt 1999, allerdings in einem anderen, weit zurückliegenden Jahrtausend. Wie damals werden die Probleme vor allem mit halbautomatischen Waffen beantwortet, mit atemberaubenden, bezwingend-verführerischen Bildern und mit vielen Zitaten aus der Populärkultur: „Alice im Wunderland“ist wie einst die Hauptreferenz. Dazu die Geschichte des „Zauberer von Oz“, Edgar Allen Poe und Sigmund Freud, Friedrich Nietzsche, die Bibel und vieles mehr. Doch manche Dialoge aus den ersten „Matrix“-Filmen klingen heute wie aus einer aktuellen „Querdenker“-Veranstaltung. Der Glaube an die sinnliche Erfahrung erscheint heute fast schon subversiv.
Der vierte „Matrix“-Film beginnt mit einer Szene, die fast komplett dem Auftakt des allerersten entlehnt ist: Thomas Anderson/Neo (Keanu Reeves) wird aus einer anderen Reavirtuelle litätsebene kontaktiert und weiß zunächst nicht, wie ihm geschieht. Bald stellt sich heraus: Ein gealterter, unter Burnout-Symptomen leidender Neo braucht eine Therapie. Er hat Angststörungen weil er sich seiner eigenen geistigen Gesundheit nicht mehr sicher ist. Regelmäßige Besuche beim Analytiker sollen ihm nun helfen, sich wieder zurechtzufinden. In dieser Welt ist Neo ein Software-Entwickler, der eine erfolgreiche Computerspiel-Trilogie kreiert hat. Und diese Trilogie heißt – genau: „Matrix“.
Längst kontrollieren die Konzerne dieses Franchise, und bereits in den ersten Minuten des Films heißt es: „Unsere geliebten Chefs wollen eine Fortsetzung der Trilogie. Sie werden es mit oder ohne dich tun.“Dies ist die erste von vielen Metaebenen, die der Film öffnet: Ironisch bis sarkastisch kommentieren die Dialoge auch die sogenannte Sequelitis, den Fortsetzungswahn in Hollywood und führen damit zugleich eine neue Realitätsebene in das Universum ein: Die
Welt, die von der Matrix erschaffen wurde, enthält ihre eigene Version einer Matrix.
Wieder muss Thomas/Neo wie Alice im Wunderland dem weißen Kaninchen folgen und all seinen persönlichen Probleme zum Trotz die wahre Welt in der scheinbaren finden. Hierbei begegnet er einer neuen jungen Hacker-Generation, zum Beispiel der smarten Bugs. Die ist umgekehrt auf der Suche nach der von ihr so verehrten Legende Neo. Jessica Henwick, bekannt aus „Star Wars“, spielt diese Bugs und ist eine der großen Entdeckungen des Films. Zugleich begegnet Thomas/Neo auch seiner alten Kampfgefährtin Trinity (Carrie-Anne Moss). Oder ist diese doch nur die exaltierte Vorstadt-Ehefrau und Mutter von drei Kindern namens Tiffany, die eine Vorliebe für superstarke Motorräder pflegt?
Die verschiedenen Handlungsebenen mit ihren Zeit- und Raumreisen führen zu dem so interessanten wie irritierenden Ergebnis, dass hier gealterte Darsteller mit ihrem jungen
Alter Ego sowie mit digitalen Verjüngungen und Neubesetzungen zusammentreffen. Letztere sind nicht immer gleich einzuordnen. Der ehemalige Morpheus-Darsteller Lawrence Fishburne stand zur Verfügung, wurde aber nicht gefragt, sondern durch Yahya Abdul-Mateen ersetzt.
Warum auch nicht? Die Prämisse aller „Matrix“-Filme ist die des Scheins in der Realität, dem Wahren im Falschen und der Entlarvung des Trugs. Georg Seeßlen verglich in seinem immer noch lesenswerten und erhältlichen Buch „Die Matrix entschlüsselt“diese Erfahrung mit dem Erwachsenwerden eines Teenagers, der erst lernen muss, „was das Leben wirklich ist“. Diese Prämisse führt dazu, dass sich, wie bei einer russischen Matrjoschka-Puppe, in jedem Film die scheinbare Realitätsebene nur als neuer Betrug herausstellt. Visuell ist auch dieser Film wieder eine adäquate Neuauflage, die ComputerspielÄsthetik mit Comic-Optik mischt.
Die Handlung teilt sich in einen ersten, recht philosophischen und dialoglastigen Teil und eine zweite Hälfte, die von konventioneller Action geprägt ist. Immer wieder gibt es Ausschnitte aus den alten Filmen, recyceltes, als Rückblick etikettiertes Material. Unter diesem Aspekt gibt es eine erstaunliche Ähnlichkeit zwischen „Matrix Resurrections“und dem letzten „Spider-Man“-Film. Doch ist „Matrix“weit besser gelungen, denn er verrät die alten Filme nicht, auch wenn vieles pure Nostalgie bleibt und sich der alte Zauber nur ab und an einstellen mag.
Matrix Ressurections. Regie: Lana Wachowski. Mit Keanu Reeves, Carrie-Anne Moss, Jessica Henwick. USA 2021, 148 Minuten,
FSK ab 16.