Zeit zum Durchatmen
Warum Stuttgart nicht mehr Deutschlands Stickoxid-Hauptstadt ist
- Das Stuttgarter Neckartor galt lange als die Straße mit der dreckigsten Luft in ganz Deutschland. Das ist Geschichte – doch bald bekommt die Stadt an anderer Stelle ein Problem.
Für die Landesregierung war es Ende November eine Erfolgsmeldung: Der Rechtsstreit mit der Deutschen Umwelthilfe über die Luftreinhaltung in Stuttgart ist vorerst beendet. Der Umweltverband, der seit mehr als zehn Jahren gegen das Land prozessiert, hat einen Vollstreckungsantrag für erledigt erklärt, mit dem weitere Maßnahmen für sauberere Luft hätten erzwungen werden sollten. Das Land verzichtet auf juristische Gegenmittel. Die Umwelthilfe habe „die Erfolge des Landes bei der Luftreinhaltung anerkannt“, betonte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).
Die Verbesserungen sind messbar. Beim Stickstoffdioxid (NO2) bleibt der Jahresmittelwert 2021 erstmals an allen Messstationen in Stuttgart unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Das gilt selbst am Neckartor, wo dieser Wert im Jahr 2006 noch um mehr als das Dreifache übertroffen wurde. Zuletzt ging die Stickstoffdioxid-Belastung kontinuierlich zurück, lag 2018 noch bei 71 Mikrogramm, ein Jahr später bei 53 Mikrogramm. Im Jahr 2020 wurde mit 38 Mikrogramm erstmals der gesetzlich vorgegebene Grenzwert eingehalten.
Unter anderem dank neuerer Autos mit besserer Technologie sinken die Messwerte bundesweit, in Stuttgart aber noch etwas mehr als anderswo. Den unrühmlichen Spitzenplatz bei den Stickoxidwerten belegt inzwischen München, an zweiter Stelle folgt Darmstadt.
Auch beim Feinstaub hat sich die Lage gebessert. Seit 2016 hatte die Stadt Stuttgart immer wieder „Feinstaubalarm“ausgerufen – und zwar bei Wetterlagen, in denen die belastete Luft nicht zügig durch Frischluft ausgetauscht wird. Pendler wurden in diesen Phasen zum Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel aufgerufen, Anwohnern der Betrieb von Kaminen untersagt. 2018 und 2019 wurden dann aber alle Grenzwerte eingehalten. Im April 2020 hat die Stadt Stuttgart das umstrittene Instrument schließlich wieder abgeschafft.
Aber weshalb ist die Luft sauberer geworden? Die Antwort ist wichtig für den weiteren Weg bei der Luftreinhaltung – und umstritten. Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), zeigt sich im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“überzeugt, dass seine Dieselklagen
den Ausschlag gegeben haben: „Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass die Grundlage der Luftreinhaltung in Stuttgart das zonale Dieselfahrverbot ist.“Ein Fahrverbot für Dieselautos mit der Abgasnorm Euro-4 gilt für das ganze Stadtgebiet, seit 2020 sind in einem engeren Innenstadtbereich auch Euro-5-Diesel nicht mehr zugelassen. Ausnahmen gelten noch bis Mitte 2022 für Euro-5-Fahrzeuge mit einem SoftwareUpdate. Nun steht zur Debatte, ob diese Ausnahme womöglich verlängert wird.
Verkehrsminister Hermann ist überzeugt, dass es die Klagen der Umwelthilfe nicht gebraucht hätte, um bei der Luftqualität voranzukommen. „Manchmal hat es mich geärgert, dass die DUH den Eindruck erweckt hat, sie müsse mich treiben“, so der Grünen-Politiker. „Sie hat aber sicher geholfen, ein Bewusstsein zu schaffen – vor allem bei all jenen politischen Kräften, die so getan haben, als könnte man all die Maßnahmen für eine sauberere Luft tun oder auch lassen.“Es gehe schließlich um Gesetze, die eingehalten werden müssten. Und dafür sei viel geschehen: „Die Fahrzeugflotten sind modernisiert, wir haben ein besseres Busund Bahnsystem, eine große Tarifreform mit günstigeren Tickets wurde für den Verkehrsverbund Stuttgart verwirklicht, Metropolexpresslinien wurden aufgebaut, der S-BahnTakt wurde verbessert, wir haben den Radverkehr massiv unterstützt und Fahrbeschränkungen für Euro-4 und Euro-5-Diesel eingeführt.“
Nicht zuletzt die mitregierende CDU hatte nach einem Weg gesucht, die Dieselfahrverbote zu umgehen. So wurden am Neckartor und zwei weiteren besonders belasteten Stellen Filtersäulen aufgestellt. Sie reinigen die Luft nachträglich. Aus Sicht von Thomas Dörflinger, Verkehrsexperte der Landtags-CDU, sind diese Säulen ein Grund dafür, dass die Luft in Stuttgart sich schneller verbessert hat als anderswo. „Das bestärkt uns in der Überzeugung, dass die Verbesserung der Luftqualität über Innovationen erreicht werden kann – nicht über Verbote.“
Rainer Kapp, Leiter der Abteilung Stadtklimatologie beim Umweltamt der Stadt Stuttgart, bestätigt einen „deutlichen Effekt“der Filtersäulen. „Aber der Energieaufwand ist hoch, und der Effekt auf einen kleinen Bereich beschränkt.“Sie könnten nur eine temporäre Maßnahme sein, um Grenzwerte schneller einzuhalten. Die Euro-5-Fahrverbote wurden durch die Säulen letztlich nicht verhindert.
Ebenso wenig wie die Mooswand, die 2018 an der Straße aufgestellt wurde, in der Hoffnung, sie könnte Feinstaubpartikel aus der Luft filtern. Fast 560 000 Euro kostete Stadt und Land das Projekt. Zwischenzeitlich musste ein Drittel des braun verfärbten Mooses ausgetauscht werden – es war in der Stuttgarter Luft schlicht abgestorben. Ergebnis des
Experiments laut Kapp: „Nicht unwirksam, aber eine schlechte Kosten-Nutzen-Analyse.“Insgesamt bilanziert der Stadtklimatologe: „Sinnvolle Maßnahmen setzen bei der Minderung von Emissionen an.“Also bei den Autos, die entweder sauberer werden oder draußen bleiben müssen.
Weitere Veränderungen im Stuttgarter Stadtklima erwarten alle Beteiligten im kommenden Frühjahr. Dann wird nördlich der Innenstadt der Rosensteintunnel eröffnet. Teile der Umgebung, wie die NO
der unteren Pragstraße, dürften weiter entlastet werden. Am Pragsattel, wo die Röhre endet, könnte die Luft dagegen noch dreckiger werden. Weil Grenzwerte in näherer Zukunft absehbar nicht eingehalten werden, werden dort nun einige Wohnhäuser abgerissen. Das verbessert die Durchlüftung, hat aber in der von Wohnraummangel geplagten Stadt eine hitzige Diskussion ausgelöst.
Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe kündigt schon einmal an, seine Organisation werde in der künftigen Problemzone eigene Messungen durchführen. Im Falle eines Falles müsse man nicht einmal klagen. „Wir haben ja einen vollstreckbaren Titel auf saubere Luft für die Bürger in Stuttgart“, sagt Resch. Wenn Stadt und Land dort zu wenig für bessere Luft tun würden, „dann haben wir innerhalb von wenigen Tagen einen Vollstreckungsantrag.“