„Weihnachten gibt uns Hoffnung“
Der chaldäisch-katholische Patriarch, Kardinal Louis Raphael I. Sako, appelliert in seiner Weihnachtspredigt an die Leserinnen und Leser der „Schwäbischen Zeitung“, ihre Prägung durch christliche Wertvorstellungen und Spiritualität nicht zu leugnen. Die Welt werde sich gut entwickeln, „wenn der Mensch auf sein Gewissen und auf den Ruf Gottes hört und danach strebt, andere zu respektieren und Gerechtigkeit zu erreichen, damit Frieden, Sicherheit und Liebe in der ganzen Welt herrschen und nicht nur wirtschaftliche und politische Interessen verfolgt werden“, schreibt das Oberhaupt der katholischen Ostkirche mit Sitz in Bagdad. Sako bittet die Leserinnen und Leser der „Schwäbischen Zeitung“um weitere Hilfe für verfolgte Christen im Nordirak.
„Mitten in den Schwierigkeiten und Wirrnissen der gegenwärtigen Politik mit ihren herausfordernden Konflikten, mitten in der Zerstörung unserer Umwelt, mitten im Klimawandel, mitten in den Folgen der Corona-Pandemie und auch mitten in den Herausforderungen nach den Wahlen im Irak rufe ich euch zu: Weihnachten erinnert uns auch in diesem Jahr ganz stark daran, dass es Hoffnung gibt. Weihnachten ist das Fest des Friedens, der Brüderlichkeit, der Schwesterlichkeit, der Liebe, der Solidarität und des Segens Gottes. Weihnachten bietet uns die besondere Chance, unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Begeisterung zu erneuern. Denn die frohe Botschaft dieses Festes lautet: ,Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr’ (Lk 2, 10-11). Weihnachten ist ein Appell an Frieden, Stabilität und Menschenwürde. Und Weihnachten bietet die Chance, dass wir unsere Beziehungen zu unseren Schwestern und Brüdern erneuern.
Weihnachten bedeutet ebenso: Gott lebt mitten unter uns. Die Geburt Jesu Christi drückt die Liebe Gottes zu Menschen aus allen Nationen, Kulturen und aus allen Zeiten aus. Das Fest zeigt seine Nähe und Sorge für uns. Weihnachten lädt uns ein, dass wir uns für die Gegenwart des Herrn öffnen, damit wir auch unser Leben mit Hoffnung, Frieden und Freude füllen und das Reich Gottes auf der Erde entwickeln.
Weihnachten ist das Fundament des Christentums und das ,Herz’ seiner Theologie. Der Ausgangspunkt ist, dass Jesus in unserem Leben durch unsere Gebete, unser Engagement für seine Lehre sowie durch den Dienst an anderen, insbesondere den Ärmsten und Gebrechlichen, geboren wird. So kommen wir auf den ,Geschmack Gottes’ und begreifen, was es heißt, dass wir Kinder Gottes sind. Diese christliche Vision ist vor allem eine innere spirituelle Erfahrung,
die sich nach außen spiegelt und Weihnachten in der Menschheitsgeschichte fortschreiben lässt. Der heilige Ambrosius, Bischof von Mailand (339-397), sagt: ,Jeder gläubige Christ empfängt und gebiert gewissermaßen das Wort Gottes in sich: Wenn es auch nur eine Mutter Christi dem Fleische nach gibt, so ist doch dem Glauben nach Christus die Frucht aller.’
Indem wir jedes Jahr Weihnachten feiern, feiern wir unseren Glauben und kommen auf seine Anfänge zurück. So können wir uns auf einen Weg der wirklich wichtigen Dinge in unserem Leben begeben: Auf diesem Weg finden wir zu Brüderlichkeit, Toleranz, Frieden und Gnade mit größerer Aufmerksamkeit für die anderen und zur wahren Reife.
Auf dem Hintergrund dieser Gedanken müssen wir anerkennen, dass die Wiederkunft des Herrn nicht mit einem historischen Zeitpunkt verbunden ist, sondern eher mit der fortwährenden Beschäftigung mit dem Evangelium Jesu Christi in unserem täglichen Leben. Das steht auch im Buch der Offenbarung des Johannes: ,Siehe, ich stehe an der Tür und klopfe. Wenn jemand meine Stimme hört und die Tür öffnet, komme ich zu ihm ...’ (Offenbarung 3/20).
Wir entdecken Jesus nicht zufällig, sondern wir müssen ihn suchen, wie die Hirten und die Magier es taten. Dann kann jeder von uns sein Leben mit Christus und im Vertrauen auf ihn führen. Die Kirche, der seine Mission anvertraut ist, muss immer die aktuellen Fragen der Zeit und ihrer Kultur beantworten, sie muss neuen Methoden folgen und eine verständliche, zeitgemäße Sprache pflegen, um die Menschen für Christus und seine Botschaft zu begeistern. Diese Herausforderung spiegelt aber auch die Lebensfreude der Kirche und ihre Loyalität zu Christus und zur Menschheit wider.
Die Welt wird wachsen, wenn der Mensch auf sein Gewissen und auf den Ruf Gottes hört und danach strebt, andere zu respektieren und Gerechtigkeit zu erreichen. So können Frieden, Sicherheit und Liebe in der ganzen Welt herrschen und nicht nur wirtschaftliche und politische Interessen verfolgt werden. Der Westen, besonders Europa, sollte seine historischen Wurzeln, die durch christliche Wertvorstellungen und Qualität geprägt wurden, nicht verleugnen. Weihnachten ist die universelle Hoffnung und Erfahrung.
Beten wir für Frieden und Stabilität auf der ganzen Welt. Lasst uns Werte wie Toleranz, Barmherzigkeit, Frieden und Brüderlichkeit ausstrahlen, um ,die Ehre Gottes in der Höhe und den Frieden auf Erden’ zu leben. Möge die allerseligste Jungfrau Maria für uns Fürsprache einlegen.
Die Hoffnung stirbt zuletzt: Ihnen allen wünsche ich ein schönes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch ins neue Jahr.“