Unter Teddys
Beim Spielwarenhersteller Steiff erweckt das Team um Sunnhild Walzer Stofftiere zum Leben – mit jener Technik, die Unternehmensgründerin Margarete Steiff perfektioniert hat.
Von Helena Golz
- Die Prozedur ist sanfter als gedacht und geht schnell vorbei. Sunnhild Walzer greift sich den Teddybären, stützt ihn auf ihren linken Oberschenkel und legt das Ohr des Teddys unter die Spindel. Mit der anderen Hand nimmt sie den berühmten Knopf mit gelber Fahne, positioniert ihn auf der Mitte des Teddybär-Ohres und dreht die Spindel geübt, in einer fließenden Bewegung, nach links. Das Werkzeug drückt den Knopf durchs Ohr. Es ist geschafft, der Teddy ist fertig und hat sein unverwechselbares Kennzeichen erhalten: hergestellt in der berühmten Plüschtiermanufaktur Steiff in Giengen an der Brenz. „Das große Finale“, sagt Walzer.
Die Produktionsleiterin zelebriert diesen Moment, obwohl sie ihn schon so oft erlebt hat. Seit 32 Jahren arbeitet Walzer bei dem Spielwarenhersteller. „Und man weiß jedes Mal, dass man mit jedem Produkt jemandem eine Freude macht“, sagt die 51Jährige. Wie liebevoll und akribisch sie mit den Stofftieren umgeht, zeigt, dass sie jeden Handarbeitsschritt kennt, der in den Spielwaren steckt. „Mich fasziniert bei Steiff einfach das Produkt und die Kreativität dahinter“, sagt Walzer.
Dabei waren es ursprünglich ganz pragmatische Gründe, die sie dazu brachten, bei dem Tradtionsunternehmen anzufangen. „1989 habe ich ein Praktikum bei Steiff gemacht. Eigentlich nur um meinen Führerschein zu finanzieren“, erzählt sie lachend. Es gefiel ihr dann aber so gut, dass sie blieb. Walzer lernte Näherin und bildete sich zur Textilmeisterin weiter. Seit 2001 leitet sie die Musterproduktion bei Steiff, die Teil der technischen Entwicklung ist. „Wir sind eine reine Damenabteilung“, sagt sie gleich vorweg.
„Sunni“, wie ihre Kollegen Sunnhild Walzer nennen, kümmert sich gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen darum, dass die Ideen der Designer, die ein Stockwerk obendrüber sitzen, ihren Weg in die Realität finden. Wann immer eine Idee für ein neues Kuscheltier – sei es ein Teddy, ein Löwe, eine Maus oder ein Elefant – entsteht, muss das Team ausprobieren, ob sie auch wirklich umsetzbar ist. Dann nämlich ist die geballte Expertise von Sunnhild Walzer und ihren 20 Mitarbeiterinnen gefragt. Die meisten Frauen arbeiten hier bereits seit vielen Jahren und haben einen riesigen Schatz an Erfahrung gesammelt. „Das geht eben nicht so einfach“, sagt Walzer, „da muss man schon etwas üben, bis man umsetzen kann, was der Designer sich vorstellt.“
In Sunnhild Walzers Abteilung wird handwerklich gearbeitet. Scheren schneiden knirschend durch Stoff, Nähmaschinen surren. Nach einer Weile kleben kleine Stofffasern an der Kleidung. Überall liegen Kuscheltiere, mal als Deko, mal als Nadelkissen. Und dann geht es los.
In einem ersten Schritt schneiden die Näherinnen aus Materialien wie
Plüsch, Alpaca, Mohair oder Seide die einzelnen
Teile für die Herstellung des Stofftieres aus. Vorher müssen sie die Formen exakt auf den Stoff aufzeichnen. Aus zwei Halbkreisen wird zum Beispiel am Ende ein Teddyohr. „Ein klassischer Teddybär besteht aus 19 Teilen“, sagt Walzer. Beim Ausschneiden der Form kommt es auf die Florrichtung des Stoffes an. „Die Haare haben eine bestimmte Lage“, erklärt Walzer, „und wenn man die missachtet, kann es schnell passieren, dass das Stofftier am Ende nicht den gewünschten Ausdruck hat.“Außerdem dürfen die Florhaare nicht verletzt oder gar abgeschnitten werden, da sonst später an den Nähten kahle Stellen entstehen.
Im nächsten Schritt nähen die Frauen die einzelnen ausgeschnittenen Stoffteile auf links aneinander. Das heißt, die Seiten mit dem Teddyfell liegen innen. An der Nähmaschine sitzt an diesem Tag Justina Kröner, „unser Küken“, sagt Walzer. Sie ist gerade einmal seit zwölf Jahren bei Steiff beschäftigt. Ganz genau vier Millimeter vom Rand des Stoffstücks entfernt, muss Kröner die Naht setzen, gleichmäßig. „Das ist Augenmaß“, sagt sie. Während sie näht, streicht sie mit einem kleinen Messer überstehende Haare nach innen. „Das verhindert eine Scheitelbildung“, sagt Walzer. „Der Laie soll ja nicht wissen, wo die Nähte verlaufen.“An diesem Tag arbeiten die Frauen an einem etwa 40 Zentimeter großen, klassischen Teddybären.
AUS DER
Aber es gibt auch andere Tage, an denen sie bis zu 2,50 Meter große Giraffen herstellen müssen. Auch die werden mit den normalen Pfaff-Nähmaschinen genäht. „Das kostet manchmal schon ordentlich Kraft“, sagt Walzer. Und dann gibt es wiederum die ganz kleinen Tiere. Steiff verkauft ein Weihnachtskrippenset, da ist „der kleine Teddy in der Krippe gerademal sechs Zentimenter groß“, sagt Walzer. In solchen Fällen sind dann eine ruhige Hand und Fingerspitzengefühl gefragt.
Sobald alle Einzelteile des Kuscheltiers – egal wie groß oder klein – zusammengenäht sind, wird die fertige Hülle gewendet. Zeit für das Innenleben!
In der Füllabteilung ist Sylvia Weihmayer die Expertin. Seit 36 Jahren arbeitet sie bei Steiff und füllt die Hülle der Stofftiere – meist mit Füllwatte aus Polyester. Neuerdings arbeitet Steiff auch mit neuen, nachhaltigeren Materialien wie Maisfasern oder gar recycelten PET-Getränkeflaschen. Mit Druckluft, die Weihmayer über ein Fußpedal steuert – wird das Material aus einem Behälter in die Nähhülle geblasen. Weihmayer muss sicherstellen, dass sich das Füllmaterial perfekt in dem Teddykörper verteilt. „Das fühlt man“, sagt sie. Sie wiege immer mal wieder zwei ihrer Teddys zum Vergleich. Meist stimmt das Gewicht auf das Gramm genau. Erfahrung eben.
In der Abteilung von Sunnhild Walzer haben sie schon Teddybären mit Rubinaugen und Goldfäden, die 25 000 Euro gekostet haben, produziert, oder sie haben Karl Lagerfelds Katze Choupette als Stofftier verewigt. Der Komiker Otto, Sänger Peter Maffey oder Scooter-Frontmann H.P. Baxxter seien schon in der Produktion vorbeigekommen. Dass ein Kamerateam oder ein Reporter vor Ort ist, sind alle gewöhnt. Ein bisschen berühmt sind die Damen und ihre Kreationen nämlich durchaus.
Nach dem Füllen befestigen die Mitarbeiterinnen die Gelenke des Stofftieres – sofern es welche hat. Damit werden Arme und Beine beweglich. Und dann kommt das Herzstück: das Garnieren. Der Teddy erhält sein Gesicht. Eine Mitarbeiterin näht die Augen in den Kopf und gibt der Schnauze ihre Form mit einem dicken schwarzen Faden. „Das ist jetzt ausschlaggebend für den Ausdruck des Teddys“, sagt Walzer. Ist ein Strich nur etwas versetzt, lächelt der Bär stärker oder weniger stark, mal wirkt er kindlicher, mal älter und weiser.
Sunnhild Walzer prüft am Ende kritisch, ob der Teddy allen Qualitätsansprüchen genügt. „Moment, da steht noch ein Haar ab“, sagt sie und hilft mit einer kleinen Schere nach. Nur wenn sie am Ende alles für gut befindet, bekommt der Teddy den Knopf im Ohr. Das große Finale.
„Für Kinder ist nur das Beste gut genug, hat Margarete Steiff gesagt, und das behalten wir hier bei“, sagt Walzer. Der Geist der Unternehmensgründerin
ist in der Produktionshalle zu spüren.
1880 hatte die in Giengen an der Brenz geborene und an Kinderlähmung erkrankte Margarete Steiff die Steiff Manufaktur gegründet. Ihr erstes Produkt war ein kleiner Stoffelefant, den sie mit ihrer ersten selbstgekauften Nähmaschine nähte.
Bis heute arbeiten die Mitarbeiterinnen von Sunnhild Walzer in der Prototypenproduktion mit der gleichen Technik. Und nicht nur sie, auch die Mitarbeiter in der großen Produktion eine Halle weiter und am Produktionsstandort in Tunesien arbeiten mit Schere, Nadel, Faden und Nähmaschine. „Am Handwerk hat sich wenig geändert“, sagt Sunnhild Walzer.
Und genau das sei auch gut so, sagt Steiff-Geschäftsführer Dirk Petermann. Nur die Handarbeit könne eben Premiumprodukte erschaffen. „Das kann man nicht automatisieren“, sagt Petermann. Auch wenn trotzdem mittlerweile Themen wie digitaler Druck und die Lasertechnik zum Ausschneiden der Schnittmuster zum Einsatz kommen.
Sunnhild Walzer jedenfalls mag sich einen „Teddy aus dem Automaten“gar nicht ausmalen. „Dann gehen doch die ganzen Emotionen verloren. Bei uns sind keine zwei Tiere die gleichen.“Denn es seien eben Menschen und ihr Handwerk, die den Steiff-Tieren ihre Gesichter geben. Seit 141 Jahren.
Ein Video mit Eindrücken aus der Produktion von Steiff sowie alle „Geschichten aus der Industrie“gibt es im Netz unter www.schwäbische.de/industrie
Seit 141 Jahren stellt das Unternehmen Margarete Steiff GmbH aus Giengen an der Brenz Spielzeug her, vor allem Teddybären und Plüschtiere, die sogenannten Steiff-Tiere.
Am Stammsitz in Giengen beschäftigt das Unternehmen 250 Mitarbeiter. Am Produktionsstandort in Tunesien sind es noch einmal 800 Beschäftigte. Seit September 2018 leitet Dirk Petermann das Unternehmen. Die Margarete Steiff GmbH gehört zu 100 Prozent zur Steiff Beteiligungsgesellschaft, zu der auch die Firma Aigo-Tec, ehemals Alligator Ventilfabrik und die Weberei Schulte in Duisburg, Hersteller des Plüschs für die Steiff-Tiere, gehören. Die gesamte Gruppe machte 2019 einen Umsatz von 112 Millionen Euro. Die Umsatzzahlen für 2020 sind Laut Petermann noch nicht veröffentlicht. Zur Profitabilität macht das Unternehmen keine Angaben. (hego)