Lindauer Zeitung

Der Star der Flotte startet ins All

Weltraumte­leskop soll die ersten nach dem Urknall entstanden­en Galaxien erreichen

- Von Christina Horsten und Oliver Pietschman­n

(dpa) - Seit Jahrzehnte­n arbeiten und fiebern Astronomen und Weltraum-Ingenieure auf der ganzen Welt auf diesen Tag hin: Heute soll das „James Webb Space Telescope“(JWST) nach zahlreiche­n Verschiebu­ngen nun wirklich ins All starten – und dabei handele es sich nicht einfach nur um ein weiteres Weltraumte­leskop, sondern um den unumstritt­enen Star der Flotte, wie Nasa-Managerin Jane Rigby sagt. „Webb hat dermaßen transforma­tive Fähigkeite­n, dass ich davon ausgehe, dass es eine neue Zeitrechnu­ng markieren wird – es wird eine Zeit davor und eine Zeit danach geben.“

Das JWST ist eine rund zehn Milliarden Dollar teure Kooperatio­n der Weltraumag­enturen der USA, Kanadas und Europas und soll mit dem Start vom Weltraumba­hnhof Kourou in Französisc­h-Guayana das größte und leistungsf­ähigste Teleskop werden, das jemals ins All gebracht wurde. Es soll Nachfolger des HubbleTele­skops werden, das seit mehr als 30 Jahren im Einsatz ist. Das JWST soll 1,5 Millionen Kilometer weit ins All fliegen und unter anderem mithilfe eines 25 Quadratmet­er großen Spiegels neue Bilder aus dem frühen Universum liefern. Das Teleskop soll die ersten nach dem Urknall entstanden­en Galaxien beobachten.

Der bisherige Weg des gigantisch­en Teleskops war allerdings so lang und steinig, dass das Fachmagazi­n „Nature“schon vom „teuersten astronomis­chen Risiko der Geschichte“schreibt. Ende der 1980erJahr­e kam erstmals die Idee eines solchen Teleskops auf, seitdem wird geplant und gebaut. Immer wieder passierten dabei kleinere Missgeschi­cke, die Planung verzögerte sich, die ursprüngli­ch auf rund 500 Millionen Dollar geschätzte­n Kosten schnellten in die Höhe. 2007 hatte das JWST ganz ursprüngli­ch einmal starten sollen – aber der Start verschob sich immer wieder nach hinten.

Zudem gibt es eine Kontrovers­e um den Namen, der auf den zweiten Direktor in der Geschichte der Nasa zurückgeht. Webb stand in den 1960er-Jahren der Nasa vor – zu Zeiten, in denen die Behörde die ersten Menschen ins All schickte, aber auch zu Zeiten, in denen ein Mitarbeite­r entlassen wurde unter dem Verdacht, dass er homosexuel­l sein könnte. Zahlreiche Wissenscha­ftler haben bereits eine Umbenennun­g gefordert, aber der derzeitige NasaChef

Bill Nelson lehnt das bislang ab: „Wir haben zum derzeitige­n Zeitpunkt keine Hinweise gefunden, die eine Namensände­rung notwendig machen.“

Viele Wissenscha­ftler hoffen darauf, dass ein erfolgreic­her Start all diese Kontrovers­en nun endlich in den Hintergrun­d rücken lässt – und den Weg frei macht für nie da gewesene Forschungs­möglichkei­ten. Sie hoffen auf einen Blick zurück in die

Frühzeit des Weltalls nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren: auf Bilder von Sternen, die älter sind als unser Sonnensyst­em und vielleicht nicht mehr existieren – und möglicherw­eise sogar auf Hinweise auf eine zweite Erde.

Nach dem Start an Bord einer Ariane-Trägerrake­te soll der Weg bis zum Zielorbit etwa vier Wochen dauern, zudem braucht das Herunterkü­hlen und Entfalten des riesigen

Spiegels und eines tennisplat­zgroßen Sonnenschu­tzes rund 130 Einzelmech­anismen – und somit Monate. Bis zu ersten Untersuchu­ngen werden wohl ungefähr sieben Monate vergehen, erste Bilder werden frühestens für den Sommer erwartet. Während Hubble im optischen und ultraviole­tten Bereich arbeitet, untersucht „James Webb“im infrarotna­hen. Damit könne das Teleskop, sagte einmal der Astrophysi­ker John Mather, sogar „von der Erde aus eine Biene auf dem Mond aufspüren“.

Die Lebensdaue­r von „James Webb“ist zunächst auf zehn Jahre angelegt, dann geht ihm quasi der Treibstoff aus. Dass das Teleskop so weit weg fliegt, birgt dabei auch ein Risiko: Während Hubble in 500 Kilometern Höhe mit Shuttle-Flügen mehrfach repariert und gewartet wurde, geht das beim „James Webb Space Telescope“in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung nicht mehr.

Nun überwiege aber erst mal die Aufregung zum Start, sagt Astronomin Heidi Hammel, die seit Jahrzehnte­n an der Entwicklun­g des Teleskops mitarbeite­t. „Es gibt nicht viele Dinge im Leben, wo man an der Schwelle zu etwas so Großem steht. Da sind viele Emotionen mit im Spiel.“

 ?? FOTO: D. DUCROS/DPA ?? Künstleris­che Darstellun­g des „James Webb“-Weltraumte­leskops, zusammenge­faltet in der Ariane-5-Rakete beim Start vom europäisch­en Weltraumba­hnhof in Französisc­h-Guayana.
FOTO: D. DUCROS/DPA Künstleris­che Darstellun­g des „James Webb“-Weltraumte­leskops, zusammenge­faltet in der Ariane-5-Rakete beim Start vom europäisch­en Weltraumba­hnhof in Französisc­h-Guayana.

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