Lindauer Zeitung

Der Stoff, aus dem Geschichte­n werden

Der japanische Bestseller­autor Haruki Murakami öffnet mit „Gesammelte T-Shirts“seinen Kleidersch­rank

- Von Yuriko Wahl-Immel

Was haben Sumo-Ringer, ein VW Käfer, Superhelde­n oder Ketchup gemeinsam? Sie zieren T-Shirts des japanische­n Bestseller­autors Haruki Murakami. Und bilden im buchstäbli­chen Sinne den Stoff für seinen neusten Titel „Gesammelte T-Shirts“. Der 72-Jährige, der eigentlich nicht so gerne über sich selbst redet, öffnet seinen Kleidersch­rank und zugleich eine biografisc­he Tür. Er gibt Einblicke in seine Ticks und Marotten, verrät, was ihn inspiriert, warum er Tiermotive problemati­sch findet, dass für ihn ein kaltes Bier einen „Moment höchsten Glücks“bedeuten kann und warum er seine Shirts mit Batman- oder Supermanlo­go niemals tragen würde.

Im Hause Murakami sammeln sich die bequemen Oberteile quasi automatisc­h an, schreibt er gleich zu Beginn. Und nicht nur T-Shirts. Er fühle sich „instinktiv getrieben, Dinge zu horten, obwohl ich weiß, dass ich es nicht tun sollte.“Der frühere Betreiber einer Jazzbar besitzt so viele Schallplat­ten, dass er sie niemals wird anhören können. Und der mit zahlreiche­n Literaturp­reisen ausgezeich­nete Schriftste­ller hat so viele Bücher, dass er sie nie alle wird lesen können. Einen Teil seiner T-Shirts – von Reisen mitgebrach­t oder als Geschenke bekommen – bringt er inzwischen schön gefaltet in Kartons unter.

Wie kommt ein Autor, weltbekann­t für seine märchenhaf­ten, surrealen und teilweise verfilmten Romane, darauf, einer bequemen Textilie die Hauptrolle zu verpassen? Ein Redakteur habe ihn zu einem Zeitschrif­tenartikel

über seine Shirts ermuntert, am Ende sei ein Buch daraus geworden. Vermutlich habe dieses „überhaupt keinen Nutzen“, befindet Murakami lapidar. Um dann munter loszuplaud­ern. Etwa 110 Shirts hat er herausgekr­amt, fotografie­rt, sie bilden den roten Faden des Titels.

Sein Lieblingse­xemplar? Ist knallgelb und mit der Aufschrift „Tony Takitani“versehen. Erstanden hat er es für einen Dollar in einem Second-Hand-Laden auf einer Insel im Zentralpaz­ifik. Diesen Tony Takitani machte er zum Helden einer gleichnami­gen Kurzgeschi­chte, die wiederum als melancholi­sche Love-Story (2004) beim Filmfestiv­al in Locarno ausgezeich­net wurde. „Von allen Investitio­nen, die ich je in meinem Leben getätigt habe, war diese eindeutig die lohnendste.“

Man erfährt en passant: Der Autor, der lange in den USA und Europa gelebt hat, war wohl schon fast überall auf der Welt. Denn seine Shirts hat er ergattert in Honolulu, Stockholm, New York, Melbourne, New Orleans, auf den Galapagosi­nseln oder auch in Reykjavik. Sobald Murakami in die USA einreist und aus dem Flughafen raus ist, braucht er einen Burger, lernt man zum Bild eines roten Shirts mit Ketchup-Aufschrift.

Ein Exemplar mit der Aufschrift „Vinyl Junkie“scheint perfekt zu seiner eingeräumt­en „Sucht“zu passen. Tiermotive trägt er selten, weil er sonst von Mädchen dauernd darauf angesproch­en werde. Bei Oberteilen mit Automarken kommt Murakami zum Fazit: Tragen kann man eigentlich nur das Käfermodel­l. Wie es um die Zukunft der Volkswagen-Autos bestellt sei, wisse er nicht, „aber ich hoffe, VW wird auf dem T-Shirt-Sektor weiter reüssieren.“

Mit dem Laufen hat Murakami einst wegen seiner ewigen Sitzerei am Schreibtis­ch begonnen. Seit vier Jahrzehnte­n hat er mindestens einen Marathon jährlich bewältigt, aber auch mal einen Triathlon oder 100Kilomet­er-Ultra, wie er in Textilien belegen kann: „Dementspre­chend besitze ich natürlich einen ganzen Stapel von Finisher-T-Shirts.“

Zuletzt war Murakami mit „Erste Person Singular“(2021), „Die Chroniken des Aufziehvog­els“(2020) und „Die Ermordung des Commendato­re“(2018) ganz oben auch auf den deutschen Bestseller­listen vertreten. Die „T-Shirts“sind diesmal etwas ganz anderes, eine kurzweilig­e Sammlung von Anekdoten, Erlebnisse­n, Einstellun­gen und Gedanken. (dpa)

Haruki Murakami: Gesammelte T-Shirts, DuMont, 191 Seiten, 24 Euro.

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FOTO: JORDI BEDMAR/DPA Haruki Murakamis neues Buch besteht aus einer Sammlung kurzweilig­er Anekdoten.
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