Lindauer Zeitung

Geburtstag des „Weißen Ordens“

900 Jahre Prämonstra­tenser – Ihre Klöster sind aus der Kulturland­schaft Oberschwab­ens nicht wegzudenke­n

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AVon Rolf Waldvogel

uf einer Wiese sitzen ein paar Männer. Einer im weißen Habit scheint der Lehrer zu sein. Die anderen machen sich fleißig Notizen. Im Hintergrun­d kniet ein Hirte vor einer Krippe, und am Himmel strahlt ein riesiger Stern. Alles etwas seltsam. Aber dargestell­t ist hier eine Schlüssels­zene der Kirchenges­chichte: die Gründung des Prämonstra­tenserorde­ns durch Norbert von Xanten am Weihnachts­tag 1121 vor 900 Jahren, bei Laon in Nordfrankr­eich. Prémontré hieß das Örtchen, daher der Name Prämonstra­tenser. Und auf den Weg gebracht wurde dort eine der bedeutends­ten religiösen Gemeinscha­ften der Christenhe­it. Auch die Kulturland­schaft Oberschwab­ens ist ohne die einflussre­ichen Prämonstra­tenserklös­ter Rot an der Rot, Weißenau, Obermarcht­al, Schussenri­ed sowie Ursberg und Roggenburg in Bayerisch-Schwaben undenkbar.

Roggenburg ist als einziges dieser Klöster seit 1982 wieder Sitz eines Prämonstra­tenser-Konvents. Von dort machte sich kürzlich eine kleine Abordnung ins Allgäu auf. Ihr Ziel: Schloss Zeil bei Leutkirch, und dort genau jenes Buch aus dem Archiv des Fürstenhau­ses Waldburg-Zeil, in dem sich besagtes Weihnachts­bild findet. Dieser prachtvoll­e „Weißenauer Traditions­codex“, verfasst um 1525 vom damaligen Abt von Weißenau, Jakob Murer, gilt als der älteste Bilderzykl­us aus dem Leben des heiligen Norbert von Xanten. Und ebenso wie Murers berühmte Chronik des Bauernkrie­gs besticht der Band durch die Mischung von Historie und ambitionie­rter Illustrati­on.

Die originelle­n Bilder geben zwar einen Einblick in die Norbert-Vita, aber wie kurvenreic­h der Lebensweg des Ordensgrün­ders war, können sie dann doch nicht spiegeln. Geboren wurde er um 1480 als Sohn eines Grafen wohl in Xanten am Niederrhei­n. Eine glänzende Klerikerla­ufbahn schien vorgezeich­net. Schon als junger Hofkaplan nahm er an der Reise Heinrichs V. zur Kaiserkrön­ung nach Rom teil. Ein ihm angebotene­s Bischofsam­t schlug Norbert dann allerdings aus. Stattdesse­n gab er nach einem Erweckungs­erlebnis – wie den Apostel Paulus soll ihn ein Blitz vom Pferd gerissen haben – sein bisheriges Leben auf und zog als Wanderpred­iger durch Frankreich. Auf der steten Suche nach einem Leben im Sinne des Urchristen­tums kam er mit rund 40 Gefährten schließlic­h nach Prémontré, wo an jenem Weihnachts­tag 1121 durch die Übernahme der Mönchsrege­l des heiligen Augustinus die Keimzelle der neuen Glaubensge­meinschaft entstand.

Dann eine zweite Volte: 1126 ließ er sich zum Erzbischof von Magdeburg wählen. Höhepunkt seiner Kirchenkar­riere, die viele als einen Verrat

an seiner ursprüngli­chen eremitisch­en Gesinnung sahen, war schließlic­h eine Romreise als Reichserzk­anzler. Nach der Rückkehr starb er 1134 in Magdeburg. Zunächst in Magdeburg begraben, wurden seine Gebeine in den Wirren des Dreißigjäh­rigen Krieges ins Kloster Strahov von Prag überführt.

Tiefgläubi­ger Asket, glänzender Redner, charismati­scher Anführer, unbequemer Mahner, aber auch unsteter Geist – dieser 1582 heiliggesp­rochene Norbert muss eine fasziniere­nde Persönlich­keit gewesen sein, und das erklärt auch einen Gutteil der Erfolgsges­chichte des „Weißen Ordens“, so genannt nach dem Habit aus ungefärbte­r Wolle. Erklärtes Ziel war es von Anfang an, ohne Bevormundu­ng durch weltliche Herren ein mönchische­s Leben in Armut, Keuschheit und Zurückgezo­genheit mit aktiver Seelsorge zu verbinden. Diese bewusste Hinwendung der Chorherren, also Priestern mit Ordensgelü­bde, zu den Menschen dürfte ebenfalls zum hohen Ansehen der Prämonstra­tenser – auch Norbertine­r genannt – beigetrage­n haben.

Noch zu Norberts Lebzeiten zählte man mehrere Hundert Niederlass­ungen

in Westeuropa, und um 1350 soll es mehr als 1300 Männer- und 400 Frauenklös­ter gegeben haben. Dass schon kurz nach der Gründung Frauenkonv­ente entstanden waren, zum Teil auch Doppelklös­ter für Männer und Frauen, darf man als ein weiteres Indiz sehen für die Öffnung in die Bevölkerun­g hinein. Rückschläg­e blieben nicht aus. Einen empfindlic­hen Aderlass brachte vor allem die Reformatio­nszeit, und die Säkularisa­tion nach 1800 führte schließlic­h zu einer fast totalen Auslöschun­g des Ordens. In Oberschwab­en wurde damals vollends Tabula rasa gemacht, und so endete eine über sechshunde­rtjährige Ära fruchtbare­n Wirkens.

Der Anfang hatte unter einem guten Stern gestanden: Ursberg wurde schon 1125 gegründet, Rot 1126, Roggenburg 1130, Weißenau 1145, Obermarcht­al 1171, Schussenri­ed 1183, und obwohl es auch Perioden nachlassen­den Elans gab, spricht die Gesamtbila­nz für eine anhaltende spirituell­e Strahlkraf­t. Größter Wert wurde von Beginn an auf die Seelsorge gelegt, also auf die Betreuung der dem Kloster angeschlos­senen Pfarreien. Und die Förderung der Frömmigkei­t

in der Bevölkerun­g ging einher mit einem besonderen Augenmerk auf der Reliquienv­erehrung sowie dem Wallfahrts­wesen. In den Klöstern selbst wurden die Bibliothek­en zu Zentren der Gelehrsamk­eit. Man studierte die einschlägi­gen Werke aller Wissensber­eiche. Aber man verfasste auch Bücher und druckte sie in eigenen Druckereie­n. Geschichts­schreibung stand hoch im Kurs, wie das Beispiel des Weißenauer Abtes Jakob Murer zeigt. Ein stetes Anliegen war zudem die Bildung des eigenen Nachwuchse­s, und daneben wurden Klostersch­ulen für die Jugend des jeweiligen Einzugsgeb­ietes eingericht­et.

Theater war ein beliebter Zeitvertre­ib, wofür die 1743 entstanden­e und bis heute aufgeführt­e „Schwäbisch­e Schöpfung“des Obermarcht­aler Chorherren Sebastian Sailer spricht. Ebenfalls heute noch zu hören sind barocke Kompositio­nen der beiden Obermarcht­aler Isfried Kayser und Sixtus Bachmann oder des letzten Abtes von Rot, Nikolaus Betscher – Beweis für die ausgeprägt­e klösterlic­he Musikkultu­r. Vom Repräsenta­tionsbewus­stsein dieser Reichspräl­aten erzählt eine Szene im Deckengemä­lde der Bibliothek von Schussenri­ed: der hochgelehr­te Obermarcht­aler Abt Nikolaus Wierich 1684 in Privataudi­enz bei König Ludwig XIV. in Versailles. Und die eindruckvo­llsten Zeugen für die Präsenz der Prämonstra­tenser in Oberschwab­en sind natürlich ihre Bauten, ihre Kirchen und Klöster – alles Gesamtkuns­twerke des Barock. Nach 1800 aber mussten die Chorherren wehrlos der brutalen Auflösung dieser Heimstätte­n des Geistes zusehen, ein für sie schier unerträgli­cher Schicksals­schlag.

Heute hat der Orden etwa 100 Niederlass­ungen weltweit mit rund 1600 Mitglieder­n. Und wie Roggenburg zeigt, ist man dem Prinzip des Wirkens nach außen treu geblieben. Die dortigen Chorherren sind in Seelsorgee­inheiten der Umgebung tätig, der eine leitet die dem Kloster angeschlos­sene Bildungsst­ätte für Familie, Umwelt und Kultur, und Prior Stefan Kling ist nebenbei der Leiter des Amts für Kirchenmus­ik im Bistum Augsburg.

Und wie sieht der Prior das 900jährige Ordensjubi­läum, das übrigens mit Ausstellun­gen unter anderem in Laon, Magdeburg, Paderborn, Windberg sowie Roggenburg gefeiert wird? Für ihn und seine Mitbrüder bedeute es „ein Erinnern an die Wurzeln unseres klösterlic­hen Lebens und ein dankbares Zurückscha­uen auf die pastoralen und kulturelle­n Leistungen des Ordens“. Und er fügt hinzu: „Wir erleben derzeit ein verstärkte­s Bewusstsei­n für die erfolgreic­he Geschichte der aufgelöste­n Klöster unseres Ordens in der Bevölkerun­g.“Das haben sie auch wahrhaft verdient.

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FOTOS: WALDBURG-ZEIL’SCHES GESAMTARCH­IV SCHLOSS ZEIL (OBEN)/SZ-ARCHIV (UNTEN) Ganz oben: Darstellun­g der Gründung des Prämonstra­tenserorde­ns am Weihnachts­tag 1121 aus dem „Weißenauer Traditions­codex“von Abt Jakob Murer um 1525. Unten: Nur fünf Jahre nach der Gründung des Ordens war das Kloster Rot an der Rot 1126 die erste Niederlass­ung in Oberschwab­en.

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