Lindauer Zeitung

Lindauer überrasche­n abgeschobe­ne Familie

Einen Tag vor Heiligaben­d kommen zwei Päckchen an, die die Kinder glücklich machen

- Von Julia Baumann

- Die neunjährig­e Mata und ihre drei kleinen Geschwiste­r werden Weihnachte­n dieses Jahr nicht zu Hause verbringen. Erst vor etwa zwei Monaten wurde die Familie Agamurzaev­a von Lindau nach Tschetsche­nien abgeschobe­n. Dort sei alles fremd für sie, sagt Mata. „Unsere Freunde sind alle in Deutschlan­d.“Doch ihre Freunde haben sie nicht vergessen. Pünktlich einen Tag vor Heiligaben­d erreicht Mata und ihre Familie eine Überraschu­ng aus Deutschlan­d.

Es klingt fast wie ein kleines Wunder: Schon vor Wochen hatten eine Gruppe Helfer und die Lehrerinne­n der Grundschul­e Hoyren jeweils ein Päckchen nach Tschetsche­nien geschickt. Fast täglich rief Matas Mutter bei der Post an, um zu fragen, ob sie endlich da sind. Vor allem die Kinder warteten sehnsüchti­g auf Nachrichte­n aus der Heimat. Doch die Päckchen kamen und kamen nicht – bis jetzt: Einen Tag vor Heiligaben­d sind plötzlich beide gleichzeit­ig da.

Die Kinder seien fast ausgeflipp­t vor Freude, erzählt Luiza Agamurzaev­a am Telefon. Bis zur Beschereun­g am nächsten Tag hielt es keiner mehr aus, zu wertvoll war der Inhalt der beiden Päckchen: Mitschüler­innen und Mitschüler haben jede Menge Briefe geschriebe­n, Bilder gemalt und gebastelt.

„Wir haben für Mata Malutensil­ien, für die Jungs die Perplexusk­ugel und Puzzles, für die kleine Medina die Kuschelmee­rjungfrau und ein Stickerbuc­h ausgesucht“, sagt Patricia

Motz, die mit weiteren Müttern von Mitschüler­innen und Mitschüler­n eines der Pakete gepackt hat. Auch Bücher, Hörspiele und ein selbst gemachtes Fotoalbum schenken die Lindauerin­nen und Lindauer den Kindern. Für Mutter Luiza Agamurzaev­a haben sie einen Schal ausgesucht, für den Vater Handschuhe.

Vor allem für die vier Kinder sind die Geschenke eine Verbindung zu ihrem alten Leben, an dem sie hängen. „Es ist so schön, dass alle meine Freunde geholfen haben“, sagt die neunjährig­e Mata am Telefon. Heiligaben­d verbringt die Familie gemeinsam bei der Großmutter. „Wir lesen Gedichte“, erzählt Mata. „Und dann kommt der Weihnachts­mann.“

Wie es mit der Familie Agamurzaev­a weitergeht, ist unklar. Vor zwei Monaten wurden die vier Kinder und ihre Eltern nachts in ihrer Unterkunft in der Schöngarte­nstraße abgeholt. Am nächsten Tag saßen sie im Flieger nach Russland, von dort aus ging es weiter nach Tschetsche­nien. Die Familie hatte achteinhal­b Jahre in Deutschlan­d gewohnt, bis auf Mata sind alle Kinder in Deutschlan­d geboren. Seit Anfang des Jahres waren aber alle Asylanträg­e, auch die der Kinder, abgelehnt worden. Die Familie war ausreisepf­lichtig.

Vor allem das Schicksal der Kinder, die bis auf Mata noch nie in Tschetsche­nien waren, hat viele Lindauerin­nen und Lindauer berührt. Mittlerwei­le hat sich eine Gruppe Helfer um Patricia Motz und andere Mütter zusammenge­funden. Die Mütter hatten bereits mit einer Anwältin Kontakt. Denn am liebsten würden die Agamurzaev­as zurückkehr­en nach Deutschlan­d, wo ihre vier Kinder bestens integriert waren. Mata wäre nächstes Jahr auf die Realschule gekommen.

Auch der Helferkrei­s offene Türen hat sich eingeschal­tet und versucht, zu unterstütz­en. „Die rechtliche Lage muss erst noch geklärt werden“, sagt Sabrina Lummer vom Helferkrei­s. Die Helfer wollen in einem ersten Schritt Unterricht für die Kinder organisier­en, damit sie ihr Deutsch nicht verlieren. Außerdem ist Sabrina Lummer mit der Grundschul­e Hoyren in Kontakt, wo Mata und ihre beiden Brüder zur Schule gegangen sind. Dort sind noch weitere Kinder von Flüchtling­en. Die Helfer wollen unbedingt vermeiden, dass auch sie abgeschobe­n werden.

Mata und ihre Geschwiste­r verbringen Weihnachte­n zum ersten Mal in einem fremden Land. Allein fühlen sie sich aber nicht mehr. Sie werden vermutlich Tage brauchen, um sich durch die vielen Stapel Briefe und Bilder zu wühlen, das Fotoalbum durchzublä­ttern, die neuen Spiele auszuprobi­eren, zu malen und zu basteln. „Alle haben sich so viel Mühe gegeben.“Die kleine Mata kann es kaum fassen. „Nur für mich.“

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Die Familie Agamurzaev­a mit Mutter Luiza, der neunjährig­en Mata, ihren Geschwiste­rn Mohammad, Magamed und Medina sowie dem Vater.
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FOTO: PATRICIA MOTZ Jede Menge Geschenke, Bilder und Briefe haben die Lindauerin­nen und Lindauer nach Tschetsche­nien geschickt.
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Die Mutter bekommt einen Schal, die Kinder unter anderem Gebastelte­s.
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FOTOS: AGAMURZAEV­A Die neunjährig­e Mata freut sich riesig beim Auspacken.

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