James-Webb-Weltraumteleskop startet an Weihnachten
Mehr Licht in die dunkle Zeit – High Tech vom Bodensee ist mit an Bord
- Auf der Suche nach den Ursprüngen unseres Universums müssen wir tief ins Weltall blicken. Zurück in vergangene Zeiten, als da draußen alles wüst und leer war, als Tohuwabohu, reinstes Chaos, herrschte. Mehr Licht in dieses dunkle Zeitalter zu bringen, verspricht das James Webb Weltraumteleskop. Der Nachfolger des legendären Hubble Teleskops soll am ersten Weihnachtstag um 13.20 Uhr vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou auf Französisch-Guayana starten. Mit an Bord: High Tech vom Bodensee.
Statt „vom Himmel hoch“heißt es in der Raumfahrt „de profundis“(aus der Tiefe) „von der Erde unten, da komm ich her“. Die „gute Mär“wird auf sich warten lassen. An Weihnachten wird’s noch nichts mit „Oh du fröhliche, oh du selige…“Selbst wenn das Startmanöver mit der Ariane 5 am Samstag gelingt und die europäische Trägerrakete das Teleskop nach einer Reise von 1,5 Millionen Kilometern heil zu seinem Bestimmungsort zwischen Erde und Sonne gebracht hat, müssen zig technische Hürden genommen werden, bevor auch nur ein Lichtstrahl in das von Airbus-Ingenieuren in Immen-staad, Ottobrunn und Toulouse mitentwickelte Instrument dringen kann.
Es handelt sich dabei um einen Spektrografen (NIRSpec), der vor allem die Infrarotstrahlung ferner Galaxien in Blick nimmt. Etwa 70 Airbus-Mitarbeiter haben an Entwurf, Design und der Beschaffung der Bauteile gearbeitet und das Gerät schon 2013 abgeliefert, wie Airbus-Sprecher Mathias Pikelj sagt. 2014 sollte das Webb Teleskop nämlich starten. Doch das Vorhaben verzögerte sich mehrfach.
Kein Wunder: Bei dem Webb Teleskop handelt es sich um das bis dato größte und teuerste Projekt der wissenschaftlichen Raumfahrt. Mehr als zehn Milliarden Euro haben die amerikanische, europäische und kanadische Weltraumorganisationen in das Forschungsvorhaben gesteckt. Weltweit haben etwa 10 000 Menschen am Webb Teleskop gearbeitet. Entwicklung, Bau und Testphase zogen sich mehr als 25 Jahre hin. An den Airbus-Standorten ist man stolz, an einem so bedeutenden Forschungsprojekt mitzuwirken und Wissenschaftsgeschichte mit zu
ANZEIGEN schreiben.
Wenn das Webb Teleskop nach komplexen Einschalt-, Kalibrierungsund Testphasen im Juni 2022 in Betrieb sein wird und Bilder liefert, erwarten Wissenschaftler einen Quantensprung bei der Erforschung des Universums. Während Hubbles Blick in die Zeit von rund einer Milliarde Jahren nach dem Urknall zurückreicht, werde man mit dem Webb noch weiter zurückblicken können und sehen, was rund 300 Millionen Jahre nach dem Urknall geschehen ist.
Möglich sei dies durch einen Primärspiegel, der mit einem Durchmesser von 6,5 Metern fast dreimal so groß ist wie der bei Hubble. Er besteht aus 18 sechseckigen Elementen, die sich erst im Weltraum entfalten. Zum anderen sind die Instrumente an Bord des Webb Teleskops wesentlich empfindlicher als die von Hubble. Eine zentrale Rolle spielt das Infrarot-Spektrometer NIRSpec. Wie Airbus erklärt, macht es nicht einfach nur Bilder von weit entfernten Himmelskörpern. Wissenschaftler können mit diesem Instrument die Zusammensetzung der Materie in den Tiefen des Alls bestimmen.
NIRSpec könne 100 Objekte gleichzeitig beobachten und es Wissenschaftlern dadurch ermöglichen, Spektren von Tausenden Galaxien zu erhalten. Das Instrument verfügt über 275 000 kleine Verschlussklappen, nicht viel größer als ein menschliches Haar, die einzeln geöffnet und geschlossen werden können. Dadurch können Teile des Gesichtsfeldes maskiert und einzelne Objekte separat erfasst werden. Diese
Fähigkeit werde unter anderem bei der Entdeckung und Beobachtung von Exoplaneten von Bedeutung sein.
Mit Hilfe der Spektralanalyse werde man die Signatur von Schlüsselmolekülen wie Wasser erkennen können. Nicht ausgeschlossen, dass Webb in fernen Planeten auch sogenannte Biomarker findet, sagt der Wissenschaftsdirektor der europäischen Raumfahrtagentur Esa, Günther Hasinger. Hubble habe in seinen 30 Dienstjahren alle Erwartungen übertroffen, Webb werde das noch besser machen: „Die Möglichkeiten sind gigantisch.“
Gigantisch sind auch die Herausforderungen: Weil NIRSpec äußerst schwache Strahlung erfasst, muss es kontinuierlich auf minus 230 Grad Celsius gekühlt werden. Ein fünflagiger Schutzschild von der Größe eines Tennisplatzes schirmt das Instrument von der Sonne ab. Seine Entfaltung im All mithilfe von mehreren Hundert Meter Seilen, 400 Umlenkrollen und acht Motoren ist eine Wissenschaft für sich. Auch das Ausfahren der Spiegel, der Halterungen für die Folien und Antennen sind äußerst komplexe Vorgänge. Beim Start ist das circa 6,5 Tonnen schwere Webb Teleskop im Frachtraum der 53 Meter hohen und 780 Tonnen schweren Ariane auf 5,4 Meter zusammengefaltet.
Während Hubble in einer Umlaufbahn etwa 500 Kilometer über der Erde operiert, hat Webb eine 1,5 Millionen Kilometer lange Reise vor sich. Einen Monat nach seinem Start wird das Teleskop seine Position am Lagrange-Punkt L2 erreicht haben. Dieser Platz verspricht einigermaßen Stabilität, denn dort heben sich die Anziehungskräfte von Sonne und Erde auf. Der Nachteil ist, man kann es von der Erde aus nicht mehr erreichen. Hubble musste fünfmal von Space Shuttle Missionen repariert und gewartet werden. Das ist bei Webb nicht mehr möglich.
Nach einer Einschalt-, Abkühlungsund Testphase wird nach sechs Monaten der reguläre Betrieb mit wissenschaftlichen Beobachtungen beginnen. Im Halbschatten der Erde soll Webb dann mindestens fünf Jahre um unser Zentralgestirn rotieren und ganz neue, schärfere Bilder von Galaxien, Schwarzen Löchern, Sternen, Planeten und Exoplaneten liefern.
Wobei das mit den Bildern so eine Sache ist. Das Licht von Galaxien, die Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sind, wird durch das sich ausbreitende Universum in den fürs menschliche Auge unsichtbaren Infrarotbereich gedehnt. Erst durch einen komplexen Umwandlungsprozess am Rechner entstehen spektakuläre Bilder aus dem All, wie wir sie von Hubble kennen.
Benannt ist das Teleskop nach James Webb (1906 bis 1992), der als amerikanischer Regierungsbeamter und Nasa-Chef maßgeblich am Apollo-Programm und der Mondlandung beteiligt war. Den Start der Ariane 5 kann man am 25. Dezember live im Internet verfolgen unter der Adresse: https://jwst.nasa.gov/ index.html