Lindauer Zeitung

James-Webb-Weltraumte­leskop startet an Weihnachte­n

Mehr Licht in die dunkle Zeit – High Tech vom Bodensee ist mit an Bord

- Von Anton Fuchsloch

- Auf der Suche nach den Ursprüngen unseres Universums müssen wir tief ins Weltall blicken. Zurück in vergangene Zeiten, als da draußen alles wüst und leer war, als Tohuwabohu, reinstes Chaos, herrschte. Mehr Licht in dieses dunkle Zeitalter zu bringen, verspricht das James Webb Weltraumte­leskop. Der Nachfolger des legendären Hubble Teleskops soll am ersten Weihnachts­tag um 13.20 Uhr vom europäisch­en Weltraumba­hnhof Kourou auf Französisc­h-Guayana starten. Mit an Bord: High Tech vom Bodensee.

Statt „vom Himmel hoch“heißt es in der Raumfahrt „de profundis“(aus der Tiefe) „von der Erde unten, da komm ich her“. Die „gute Mär“wird auf sich warten lassen. An Weihnachte­n wird’s noch nichts mit „Oh du fröhliche, oh du selige…“Selbst wenn das Startmanöv­er mit der Ariane 5 am Samstag gelingt und die europäisch­e Trägerrake­te das Teleskop nach einer Reise von 1,5 Millionen Kilometern heil zu seinem Bestimmung­sort zwischen Erde und Sonne gebracht hat, müssen zig technische Hürden genommen werden, bevor auch nur ein Lichtstrah­l in das von Airbus-Ingenieure­n in Immen-staad, Ottobrunn und Toulouse mitentwick­elte Instrument dringen kann.

Es handelt sich dabei um einen Spektrogra­fen (NIRSpec), der vor allem die Infrarotst­rahlung ferner Galaxien in Blick nimmt. Etwa 70 Airbus-Mitarbeite­r haben an Entwurf, Design und der Beschaffun­g der Bauteile gearbeitet und das Gerät schon 2013 abgeliefer­t, wie Airbus-Sprecher Mathias Pikelj sagt. 2014 sollte das Webb Teleskop nämlich starten. Doch das Vorhaben verzögerte sich mehrfach.

Kein Wunder: Bei dem Webb Teleskop handelt es sich um das bis dato größte und teuerste Projekt der wissenscha­ftlichen Raumfahrt. Mehr als zehn Milliarden Euro haben die amerikanis­che, europäisch­e und kanadische Weltraumor­ganisation­en in das Forschungs­vorhaben gesteckt. Weltweit haben etwa 10 000 Menschen am Webb Teleskop gearbeitet. Entwicklun­g, Bau und Testphase zogen sich mehr als 25 Jahre hin. An den Airbus-Standorten ist man stolz, an einem so bedeutende­n Forschungs­projekt mitzuwirke­n und Wissenscha­ftsgeschic­hte mit zu

ANZEIGEN schreiben.

Wenn das Webb Teleskop nach komplexen Einschalt-, Kalibrieru­ngsund Testphasen im Juni 2022 in Betrieb sein wird und Bilder liefert, erwarten Wissenscha­ftler einen Quantenspr­ung bei der Erforschun­g des Universums. Während Hubbles Blick in die Zeit von rund einer Milliarde Jahren nach dem Urknall zurückreic­ht, werde man mit dem Webb noch weiter zurückblic­ken können und sehen, was rund 300 Millionen Jahre nach dem Urknall geschehen ist.

Möglich sei dies durch einen Primärspie­gel, der mit einem Durchmesse­r von 6,5 Metern fast dreimal so groß ist wie der bei Hubble. Er besteht aus 18 sechseckig­en Elementen, die sich erst im Weltraum entfalten. Zum anderen sind die Instrument­e an Bord des Webb Teleskops wesentlich empfindlic­her als die von Hubble. Eine zentrale Rolle spielt das Infrarot-Spektromet­er NIRSpec. Wie Airbus erklärt, macht es nicht einfach nur Bilder von weit entfernten Himmelskör­pern. Wissenscha­ftler können mit diesem Instrument die Zusammense­tzung der Materie in den Tiefen des Alls bestimmen.

NIRSpec könne 100 Objekte gleichzeit­ig beobachten und es Wissenscha­ftlern dadurch ermögliche­n, Spektren von Tausenden Galaxien zu erhalten. Das Instrument verfügt über 275 000 kleine Verschluss­klappen, nicht viel größer als ein menschlich­es Haar, die einzeln geöffnet und geschlosse­n werden können. Dadurch können Teile des Gesichtsfe­ldes maskiert und einzelne Objekte separat erfasst werden. Diese

Fähigkeit werde unter anderem bei der Entdeckung und Beobachtun­g von Exoplanete­n von Bedeutung sein.

Mit Hilfe der Spektralan­alyse werde man die Signatur von Schlüsselm­olekülen wie Wasser erkennen können. Nicht ausgeschlo­ssen, dass Webb in fernen Planeten auch sogenannte Biomarker findet, sagt der Wissenscha­ftsdirekto­r der europäisch­en Raumfahrta­gentur Esa, Günther Hasinger. Hubble habe in seinen 30 Dienstjahr­en alle Erwartunge­n übertroffe­n, Webb werde das noch besser machen: „Die Möglichkei­ten sind gigantisch.“

Gigantisch sind auch die Herausford­erungen: Weil NIRSpec äußerst schwache Strahlung erfasst, muss es kontinuier­lich auf minus 230 Grad Celsius gekühlt werden. Ein fünflagige­r Schutzschi­ld von der Größe eines Tennisplat­zes schirmt das Instrument von der Sonne ab. Seine Entfaltung im All mithilfe von mehreren Hundert Meter Seilen, 400 Umlenkroll­en und acht Motoren ist eine Wissenscha­ft für sich. Auch das Ausfahren der Spiegel, der Halterunge­n für die Folien und Antennen sind äußerst komplexe Vorgänge. Beim Start ist das circa 6,5 Tonnen schwere Webb Teleskop im Frachtraum der 53 Meter hohen und 780 Tonnen schweren Ariane auf 5,4 Meter zusammenge­faltet.

Während Hubble in einer Umlaufbahn etwa 500 Kilometer über der Erde operiert, hat Webb eine 1,5 Millionen Kilometer lange Reise vor sich. Einen Monat nach seinem Start wird das Teleskop seine Position am Lagrange-Punkt L2 erreicht haben. Dieser Platz verspricht einigermaß­en Stabilität, denn dort heben sich die Anziehungs­kräfte von Sonne und Erde auf. Der Nachteil ist, man kann es von der Erde aus nicht mehr erreichen. Hubble musste fünfmal von Space Shuttle Missionen repariert und gewartet werden. Das ist bei Webb nicht mehr möglich.

Nach einer Einschalt-, Abkühlungs­und Testphase wird nach sechs Monaten der reguläre Betrieb mit wissenscha­ftlichen Beobachtun­gen beginnen. Im Halbschatt­en der Erde soll Webb dann mindestens fünf Jahre um unser Zentralges­tirn rotieren und ganz neue, schärfere Bilder von Galaxien, Schwarzen Löchern, Sternen, Planeten und Exoplanete­n liefern.

Wobei das mit den Bildern so eine Sache ist. Das Licht von Galaxien, die Milliarden Lichtjahre von uns entfernt sind, wird durch das sich ausbreiten­de Universum in den fürs menschlich­e Auge unsichtbar­en Infrarotbe­reich gedehnt. Erst durch einen komplexen Umwandlung­sprozess am Rechner entstehen spektakulä­re Bilder aus dem All, wie wir sie von Hubble kennen.

Benannt ist das Teleskop nach James Webb (1906 bis 1992), der als amerikanis­cher Regierungs­beamter und Nasa-Chef maßgeblich am Apollo-Programm und der Mondlandun­g beteiligt war. Den Start der Ariane 5 kann man am 25. Dezember live im Internet verfolgen unter der Adresse: https://jwst.nasa.gov/ index.html

 ?? ANIMIERTES FOTO: ESA/ATG MEDIA LAB ?? Wie ein gigantisch­es Raumschiff sieht das James-Webb-Weltraumte­leskop aus: Der fünflagige Schutzschi­ld misst 21 mal 14 Meter, der Spiegel hat einen Durchmesse­r von 6,5 Metern.
ANIMIERTES FOTO: ESA/ATG MEDIA LAB Wie ein gigantisch­es Raumschiff sieht das James-Webb-Weltraumte­leskop aus: Der fünflagige Schutzschi­ld misst 21 mal 14 Meter, der Spiegel hat einen Durchmesse­r von 6,5 Metern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany