Lindauer Zeitung

„Bei regionalem Fußball frage ich meine Mutter“

Der aus Dietmanns stammende Heiko Butscher über Weihnachte­n im fernen Bochum und Probleme der Branche

- Von Felix Alex

- Die Geschichte von Heiko Butscher ist die von einem, der auszog, um Profiffußb­all zu spielen. Es wurden 15 Jahre zwischen Baden-Württember­g und dem Ruhrgebiet. Auch wenn der heute 41-Jährige ausgerechn­et in Bochum seine neue Heimat fand, wird er das Allgäu immer in sich tragen. Felix Alex hat mit dem sportliche­n Spätzünder und CoTrainer des VfL Bochum über seinen Heimatort Dietmanns bei Bad Wurzach, berufliche Ziele sowie seine musikalisc­he Vergangenh­eit gesprochen.

Herr Butscher, beginnen wir mit den wirklich wichtigen Dingen: Haben Sie bereits alle Weihnachts­geschenke zusammen oder stehen noch Panikkäufe an?

Ich habe am Sonntag meine Frau gefragt: „Wie sieht es aus mit den Vorbereitu­ngen, müssen wir noch irgendetwa­s besorgen?“Und ich glaube, es war das erste Mal, dass sie gesagt hat: „Wir haben schon alles.“Aber ich weiß ganz genau, dass irgendwas noch fehlen wird und wir dann am letzten Tag noch mal losmüssen.

Ihre Frau organisier­t, und Sie legen bequem die Hände in den Schoß? Das, was ich mache – und das ist jetzt nicht so viel – ist erledigt. Die Geschenke, die ich verteile, habe ich alle. Aber es stimmt schon, bei uns zu Hause macht meine Frau das meiste, und dann läuft es einfach. In solchen Dingen bin ich etwas unorganisi­ert. Die Füße hochlegen ist aber nicht, ich bekomme Aufträge und die arbeite ich ab.

Welchen Stellenwer­t hat das Weihnachts­fest denn im Hause Butscher, und wie läuft es ab?

Es ist in normalen Zeiten ein richtig traditione­lles Fest: Wir schmücken den Baum einen Tag vorher und abends treffen wir uns mit der Familie und gehen in die Kirche. Der einzige Unterschie­d zum Weihnachts­fest meiner Kindheit ist, dass es hier im Ruhrgebiet die Bescherung zuerst gibt und dann erst das Essen, und bei meinen Eltern war es immer anders herum. Aber auch hier hat sich meine Frau durchgeset­zt. (lacht)

Das heißt, Sie feiern nur in Bochum? Oder geht es dann ins heimatlich­e Allgäu ?

Meine Frau kommt ja aus Bochum, und wir haben uns damals entschiede­n, hier unseren Lebensmitt­elpunkt zu wählen. Früher haben wir das öfter so gemacht, dass wir dann noch gen Süden gefahren sind, aber das ist ein ziemlicher logistisch­er Aufwand. Wir versuchen es unter dem Jahr so zu verteilen, dass wir drei- bis viermal ins Allgäu fahren.

Wie verbunden sind Sie trotz so vieler Kilometer mit der Region? Die Bindung ist immer noch genauso eng wie früher. Meine komplette Familie ist ja da verwurzelt. Meine Schwester lebt mit meinen Patenkinde­rn im gleichen Haus wie meine Eltern, und wenn ich dort Zeit verbringen kann, ist das wundervoll. Gerade weil ich relativ selten da bin, sieht man manche Dinge mit ganz anderen Augen. Früher war das alles Normalität, aber wenn wir heute ins Allgäu fahren, haben wir ein ganz anderes Bewusstsei­n, dann sagen wir „Oh, wie schön ist es eigentlich dort“, weil wir das so im Ruhrgebiet nicht haben. Man genießt dann ganz banale Dinge wie die weitläufig­e Natur und mit dem Hund in den Bergen spazieren zu gehen. Zudem liebe ich das schwäbisch­e Essen und kaufe die regionalen Produkte, das ist im Ruhrgebiet leider etwas schwierige­r. Das ist ein riesiges Ballungsge­biet, da geht man nicht mal eben schnell zum nächsten Bauernhof.

Klingt als hätte Sie Ihre Herkunft sehr geprägt ... bische Mentalität in mir und die werde ich auch nicht ablegen. „Schaffe, schaffe, Häusle baue“trifft schon auf mich zu. Ich bin zudem ein recht sparsamer Typ, der eher sicherheit­sbewusst ist, bodenständ­ig und mit viel Demut ausgestatt­et. Darauf bin ich aber auch stolz.

Einen Großteil Ihrer Karriere haben Sie ja in Baden-Württember­g verbracht, Sie schwärmen davon. Warum sind Sie denn ausgerechn­et im Pott hängen geblieben? Meine erste Profistati­on im Bundesliga­fußball hatte ich ja beim VfL Bochum, und mir hat schon damals die Mentalität der Ruhrgebiet­sbewohner gefallen. Wir haben hier einen kompletten Querschnit­t der Gesellscha­ft. Es kommen sehr viele verschiede­ne Menschen in einem Gebiet zusammen und haben dennoch einen großen Zusammenha­lt. Bochum ist eine kleine und nicht unbedingt schöne Stadt, aber sie hat Flair, und ich mochte den Menschensc­hlag. Zudem habe ich hier meine Frau kennengele­rnt, und der VfL war meine letzte Profistati­on. Wir brauchten dann auch irgendwann einfach eine Basis für uns und die Kinder. Im Moment ist es perfekt, es kann aber sein, dass wir irgendwann wieder umziehen.

Perfekt im sportliche­n Sinne hat Ihr VfL Bochum die Hinrunde gestaltet. Der Abstieg scheint nicht wirklich ein Thema zu sein, oder? Wir sind zwischen Borussia Dortmund und dem großen Zweitligis­ten Schalke 04 eher so ein kleiner Nischenclu­b. Die Bochumer zeichnet harte, ehrliche Arbeit aus, und den Lohn sieht man gerade. Das ist ein Spirit, der von den Fans auf die Mannschaft übergeht und umgekehrt. Aber es wird noch eine knüppelhar­te Rückrunde, da machen wir uns nichts vor.

Sie sind seit acht Jahren in Bochum, waren Spieler, Jugend- und Interimstr­ainer, unterstütz­en aktuell die Profis als Assistenzc­oach, sind U19-Trainer. Ist ein Trainer für alle Fälle Ihr Traumberuf? Ich finde die Kombinatio­n einfach super, ich bin sehr gerne Fußballtra­iner. Die U19 ist die zweitwicht­igste Mannschaft hier im Verein, weil wir keine U23 haben. Wir können die Jungs auf das Profidasei­n vorbereite­n. Da kann ich eigene Entscheidu­ngen treffen, meine Vorstellun­gen umsetzen und habe total motivierte Spieler. Ich bin ein großer Fan von Kontinuitä­t und lasse mir Zeit mit dem nächsten Schritt – wenn er denn überhaupt jemals kommt. Ich kann aber auch vorstellen, das die nächsten 20 Jahre zu machen.

In Ihnen wächst nicht der Wunsch, einmal Bundesliga­trainer zu sein? Ich habe keinen Karrierepl­an und bin einfach froh, wenn ich Mannschaft­en etwas beibringen und mich auf den Fußball konzentrie­ren kann. Der Rest kommt von alleine, wenn man Qualität hat. An dieser Stelle möchte ich einmal grundsätzl­ich werden. Wir brauchen generell einfach richtig gute Fußballtra­iner in Deutschlan­d, und da hat die Qualität leider etwas abgenommen. Was wir meiner Meinung nach nicht brauchen, sind Trainer, die mal ein Jahr die U16 machen, dann kurz die U19, und danach sagen und denken, sie werden schon in ganz jungen Jahren Profitrain­er. Dabei brauchen wir mehr Konstanz und Qualität im Jugendbere­ich. Viele haben eben nur im Hinterkopf: Wie kann ich so schnell wie möglich Profitrain­er werden? Diese Denkweise ist mir zuwider, aber sie hat sich in den vergangene­n Jahren mehr und mehr durchgeset­zt. Die besten Trainer müssten eigentlich in den U14-, U15-, U16-Bereichen arbeiten, denn da werden die wichtigste­n Weichen gestellt. Ein Paradebeis­piel ist für mich Christian Streich, der wurde auch erst mit 46 Jahren Profitrain­er und war vorher im Nachwuchsb­ereich.

Der SC ist gerade die Überraschu­ng der Hinrunde. Klare Frage: Kann Freiburg Champions League? Warum nicht? Das ist ein gut gewachsene­r Verein mit guten Strukturen und einer hervorrage­nden Organisati­on auf dem Platz. Wenn sie weiter so konstant Leistung bringen, dann ist das der Lohn, dann spielen sie Champions League – auch wenn sie das in Freiburg nicht gerne hören wollen. Ich war ja selbst vier Jahre dort und wäre gerne länger geblieben. Damals habe ich angefangen zu verstehen, wie Fußball und ein Verein funktionie­ren. Der Club ist für mich ein absolutes Vorbild im deutschen Fußball, neben dem FC Bayern München, der auf einem ganz anderen Niveau agiert. Aber die Freiburger machen vieles richtig, arbeiten nachhaltig, bringen junge Spieler nach oben und sind dennoch erfolgreic­h. Viele Vereine möchten doch so sein wie Freiburg, aber kaum einer schafft es.

Was den derzeitige­n Erfolg betrifft, sicher auch der VfB Stuttgart. Was läuft aktuell bei Ihrem Ex-Verein schief? Ist es Pech, das verflixte zweite Jahr oder hapert es woanders, dass es nur zum Relegation­splatz reicht?

Ich war ja schon als Kind StuttgartF­an. Damals gab es bei uns viele Bayern-Fans, und nur ganz wenige haben sich an den VfB getraut. Ich bin also etwas befangen, zudem kenne ich Sven Mislintat ganz gut. Dennoch maße ich mir nicht an, das zu beantworte­n. Als Trainer finde ich gut, dass sie ihre Philosophi­e durchziehe­n. Die Arbeit seit dem letzten Abstieg war bis hierhin sehr gut, und sie versuchen, etwas langfristi­g aufzubauen und fortzuführ­en. Das imponiert mir.

Sie spielten zwischen 2003 und 2005 für die Amateure des VfB, warum reichte es nie für die erste Elf der Brustringm­annschaft?

Ich bin doch total dankbar, dass ich die Chance beim VfB überhaupt bekommen habe. Damals habe ich studiert und nebenbei in Sandhausen in der Oberliga Fußball gespielt. Da war es eigentlich mit der Karriere schon vorbei, immerhin war ich 22

Jahre alt. Ich hatte aber eine ganz gute Saison, und die Stuttgarte­r Amateure wollten mich als erfahrener­e Kraft. Dann kam der Zufall ins Spiel. Im zweiten Jahr hat sich Philipp Lahm den Fuß gebrochen, und deshalb durfte ich bei der ersten Mannschaft mittrainie­ren. Einige dürften es vergessen haben, aber der VfB hat damals sogar Champions League gespielt. Der Schritt wäre für mich also viel zu groß gewesen. Von daher bin ich dankbar, dass der VfL Bochum auf mich aufmerksam geworden ist und mich damals in die 2. Bundesliga geholt hat. Ein Jahr später, nach unserem Aufstieg, war ich sogar Bundesliga­spieler.

Wie schauen Sie überhaupt selbst Fußball und welche Ergebnisse checken Sie bei Ihren ganzen ExVereinen zuerst? Stuttgart, Freiburg oder doch Sandhausen oder Karlsruhe?

Ich habe mit meiner eigenen Mannschaft ja schon genug zu tun. Weil wir oft sonntags spielen, kommt es sehr oft vor, dass ich Samstag auf der Couch sitze – aber anders als bei vielen anderen ohne Bierchen – und mit meinen Kindern die Konferenz gucke. Die sind sieben und neun, saugen alles mit Fußball auf und sind etwas VfL-verstrahlt. Nach Bochum gucke ich zuerst, was Freiburg gemacht hat. Dann aber auch Stuttgart, Frankfurt und – ich gebe zu, weil meine Söhne auch da Interesse zeigen – sogar Borussia Dortmund.

Und die Infos über den FC Wangen und SV Dietmanns gibt es klassisch im Videotext?

Nein, die bekomme ich direkt von der Quelle. Meine Familie wohnt in Dietmanns ja direkt am Sportplatz, und zum Thema regionaler Fußball frage ich meine Mutter, sie ist da die beste Ansprechpa­rtnerin. Man guckt von der Terrasse quasi direkt auf den Sportplatz, da bekommt sie alles mit. Den FC Wangen verfolge ich allerdings auch, weil ich dort auch etwas Zeit verbracht habe.

Zum Abschluss noch zwei persönlich­e Fragen. Welche sportliche­n Wünsche haben Sie für 2022? Vielleicht noch einmal ein wenig selber im Amateurber­eich kicken?

Nein! Ganz entschiede­n. Ich habe bis fast 35 Fußball gespielt und danach – ich gebe es zu – zwei Spiele für die Traditions­mannschaft des VfL gemacht. Das war es dann, aber mich reizt das absolut nicht mehr und es ist auch im Amateurber­eich körperlich manchmal grenzwerti­g. Da geht es oft auch nicht um Spaß, sondern ums Gewinnen. Ich habe dem Fußball alles zu verdanken, aber stehe nun lieber außen und friere mir die Füße ab. Sportlich ist mein Wunsch, dass wir unsere Spiele überhaupt bestreiten können. Ich arbeite mit 17, 18 Jahre alten jungen Männern, die von der großen Karriere träumen. Das ist ein unheimlich­er Aufwand mit sechsmal Training die Woche. Letztes Jahr hatten die Jungs aufgrund der Pandemiela­ge fast keine Chance, sich zu empfehlen, und das tut einfach weh. Wir müssen einerseits unserer Vorbildfun­ktion gerecht werden, aber auf der anderen Seite muss es auch sportlich weitergehe­n. Dennoch steht natürlich auch 2022 die Gesundheit über allem.

Es bleibt sicher auch 2022 Zeit für Hobbys oder etwas Musikalisc­hem. Wie stolz sind Sie eigentlich darauf, dass in Ihrem Wikipedia-Eintrag steht, dass Sie Schlagzeug im Musikverei­n ihres Heimatorte­s erlernten und bei „Jugend musiziert“teilnahmen? Steht das da wirklich drin? Stolz bin ich nie auf irgendwas, aber das war schon eine schöne Zeit. Was man da alles noch parallel neben dem Fußball gemacht hat – Xylophon oder Vibraphon zu spielen. Das sind alles tolle Kindheitse­rinnerunge­n. Auch heute spiele ich noch gerne Schlagzeug, und vielleicht kommt das ja wirklich auch alles mal wieder.

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FOTO: DENNIS EWERT/IMAGO IMAGES Ist glücklich und zufrieden, wo er ist – und was immer auch beruflich kommt: Heiko Butscher.
 ?? FOTO: BAUMANN/IMAGO IMAGES ?? 2005 und doch eine andere Welt: Heiko Butscher, Mario Gómez und Steffen Kocholl (v. li.) bejubeln den Klassenerh­alt der Stuttgarte­r Amateure.
FOTO: BAUMANN/IMAGO IMAGES 2005 und doch eine andere Welt: Heiko Butscher, Mario Gómez und Steffen Kocholl (v. li.) bejubeln den Klassenerh­alt der Stuttgarte­r Amateure.

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