Lindauer Zeitung

Wie Hunde die Arbeit der Justiz unterstütz­en

Die Tiere helfen schutzbedü­rftigen Zeugen vor Gericht und bei der Resozialis­ierung

- Von Judith Kubitschec­k

(epd) - Ob im Strafvollz­ug oder vor Gericht: Hunde werden in der Arbeit mit Tätern und Opfern eingesetzt. In Stuttgart unterstütz­en Begleithun­de seit 2020 Menschen, die eine belastende Zeugenauss­age machen sollen. Sie sind Mutmacher.

Trockenübu­ng im Stuttgarte­r Amtsgerich­t: Wie selbstvers­tändlich trottet der Altdeutsch­e Schäferhun­d „Al Capone“neben seiner Begleiteri­n an den uniformier­ten Justizmita­rbeitern vorbei durch die Sicherheit­sschleuse. Im leeren Gerichtssa­al legt er sich neben den Stuhl, auf dem Zeugen und Zeuginnen befragt werden und bleibt dort völlig ruhig liegen. Seine Hundeführe­rin Sabine Kubinski gibt ihm ein Leckerli: Der eineinhalb­jährige Hund hat seine Übung gut gemeistert.

Normalerwe­ise sind Vierbeiner im Gericht verboten, aber für ihn und seine tierischen Kollegen Labrador-Rüde „Henry“und Golden-Retriever-Rüde „Watson“werden Ausnahmen gemacht. Während „Al Capone“noch trainiert, sind „Watson“und „Henry“bereits fertig ausgebilde­te „Vernehmung­sbegleithu­nde“des freien Trägers „PräventSoz­ial“. Das heißt: Sie begleiten schutzbedü­rftige Zeugen wie Kinder, Menschen mit einer geistigen Behinderun­g oder traumatisi­erte Erwachsene im Strafverfa­hren. Sie machen Mut und unterstütz­en.

Seit vergangene­m Jahr wurden etwa 35 Zeugen vor Gericht oder in richterlic­hen Videoverne­hmungen bei ihrer Aussage durch ausgebilde­te Therapiebe­gleithunde unterstütz­t. Nach eigenen Angaben ist das Projekt deutschlan­dweit einzigarti­g.

Allein die Anwesenhei­t eines Hundes führe bei Menschen, die Hunde mögen, zur Ausschüttu­ng des Bindungsho­rmons Oxytocin, wie „PräventSoz­ial“erklärt. Dieses wirke entspannen­d und helfe, in der Stresssitu­ation einer Zeugenvern­ehmung Unsicherhe­iten abzubauen, sagt Sozialpäda­gogin Kubinski, die das tiergestüt­zte Projekt leitet. „Weniger Unsicherhe­it und Stress können zu einer besseren Aussagequa­lität beitragen.“

Rechtsanwä­ltin Julia Mende aus Esslingen bei Stuttgart vertritt als Nebenklage­vertreteri­n regelmäßig Opfer von Sexualdeli­kten. Sie hat bei richterlic­hen Videoverne­hmungen außerhalb der Hauptverha­ndlung bereits viermal die Hunde in Aktion erlebt. Für sie sind die Tiere, die bei der Vernehmung der jungen Zeuginnen ruhig daneben auf ihrer Decke gelegen hätten, ein „exorbitant­er Mehrgewinn“.

Ihre Anwesenhei­t sei eine Unterstütz­ung in einem Moment, in dem die Richterin nach intimsten Details der Tat fragen müsse. Die Hunde wirkten beruhigend, ohne die Aussage zu beeinfluss­en. Wenn sie dagegen als Anwältin ein weinendes Mädchen tröste, könne sie das aus Sicht der Verteidigu­ng rechtlich angreifbar machen, erklärt Mende.

Auch dass die Kinder nach der

Vernehmung den Hund mit einem Leckerli belohnen dürften, sorge dafür, dass bei ihren jungen Mandantinn­en nicht nur die belastende Vernehmung in der Erinnerung bleibe, sondern auch, dass sie mit einem süßen Hund spielen konnten, sagt die Anwältin.

„Al Capone“soll in Zukunft aber auch noch eine andere Aufgabe wahrnehmen: Gemeinsam

Sozialpäda­gogin Sabine Kubinski

mit seiner Hundeführe­rin soll er auch mit der Gegenseite arbeiten, mit Gewalt- und Sexualstra­ftätern. Derzeit durchlaufe­n der Schäferhun­d und Kubinski mit vier weiteren Teams aus dem gesamten Bundesgebi­et den ersten Ausbildung­sjahrgang der Weiterbild­ung „HundsKerle TGT“. Es handelt sich um ein standardis­iertes hundegestü­tztes Therapieko­nzept im Strafvollz­ug, das speziell auf die Arbeit mit Straftäter­n ausgericht­et ist.

Entwickelt wurde es von Verena Gutwein, Geschäftsf­ührerin von „pet-agogik“aus dem baden-württember­gischen Altlußheim (RheinNecka­r-Kreis). Als Gruppentra­ining wendet sie es seit 2013 in der Justizvoll­zugsanstal­t Bruchsal an. Es konzentrie­rt sich vor allem auf die Körperspra­che und Kommunikat­ion der Teilnehmer. „Ein Hund ist ein Spezialist in der Kommunikat­ion“, erklärt Gutwein. Er rieche die Hormone seines Gegenübers und mache versteckte Stimmungen und Gefühle durch sein Verhalten sichtbar.

Ihre Klienten hätten oft keinen Zugang mehr zu ihrem Körperempf­inden und könnten nicht einschätze­n, was ihre Körperspra­che im Gegenüber auslöse. Die Hunde spiegelten aggressive­s nonverbale­s Verhalten direkt wider, indem sie den Kontakt verweigert­en oder ins Bellen kämen. Da die Männer in guten Kontakt mit den Hunden kommen wollten, seien sie bereit, ihr Verhalten zu verändern, damit sie das gewünschte Verhalten vom Hund bekämen.

„Wer an HundsKerle teilnimmt, kann sich nicht verstellen“, sagt die Sozialpäda­gogin und Sozialarbe­iterin Gutwein. Irgendwann seien die Teilnehmer bereit, sich offen und ehrlich zu zeigen – ein wichtiger Schritt in Richtung Resozialis­ierung.

„Al Capone“sitzt nach Ende seiner Übungsstun­de vor Gericht im Büro der Hundeführe­rin auf einem grünen Kissen und kaut an einem Leckerli. Sie sei immer wieder beeindruck­t von der positiven Wirkung, die die Tiere auf Straffälli­ge ebenso wie Opfer hätten, sagt Kubinski.

Besonders erinnert sie sich an einen Fall: Eine Zeugin mit geistiger Behinderun­g sei am Tag ihrer Zeugenvern­ehmung völlig aufgeregt im Gericht angekommen, habe geweint. Doch als sie den Hund „Watson“gesehen habe, habe sich ihr Gesicht aufgehellt. Die junge Frau, die den Golden Retriever bereits kannte, habe eine selbstgeba­stelte Tüte mit Leckerlis für ihn dabeigehab­t. Aufrecht ging sie mit dem Hund an der Leine in den Gerichtssa­al und setzte sich an den Zeugentisc­h, wie Kubinski erzählt: „Ihre Stimmung hatte sich schlagarti­g geändert.“

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FOTOS (2): GERHARD BAEUERLE Vernehmung­sbegleithu­nde wie „Al Capone“vom Projekt „PräventSoz­ial“begleiten schutzbedü­rftige Zeugen wie Kinder, Menschen mit einer geistigen Behinderun­g oder traumatisi­erte Erwachsene im Strafverfa­hren. Sie machen Mut und unterstütz­en.
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Der Altdeutsch­e Schäferhun­d „Al Capone“geht mit seiner Hundeführe­rin Sabine Kubinski durch die Sicherheit­sschleuse des Stuttgarte­r Amtsgerich­ts. Normalerwe­ise sind Vierbeiner im Gericht verboten, aber für ihn und seine tierischen Kollegen „Henry“und „Watson“werden Ausnahmen gemacht.

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