Lindauer Zeitung

Südafrikas Gewissen ist verstummt

Der frühere Erzbischof und Friedensno­belpreistr­äger Desmond Tutu ist gestorben

- Von Benjamin Dürr und Jürgen Prause

FRANKFURT AM MAIN/KAPSTADT (epd) - Unbequeme Standpunkt­e schienen ihm nichts auszumache­n – im Gegenteil. Desmond Tutu, der frühere Erzbischof von Kapstadt, war so etwas wie das Gewissen Südafrikas und schreckte vor kontrovers­en Themen nicht zurück. Gerne setzte er seinen Humor ein, um Brücken zu bauen. Sein Markenzeic­hen waren sein mitreißend-japsendes Lachen und die verschmitz­ten Augen. Am Sonntag starb der Weggefährt­e Nelson Mandelas im Alter von 90 Jahren in Kapstadt, wie seine Stiftung mitteilte. Damit ist eine von Südafrikas einflussre­ichsten Stimmen verstummt.

Neben Nelson Mandela, dem ersten schwarzen Präsidente­n Südafrikas, war Tutu der wohl berühmtest­e Kämpfer gegen die Apartheid. Er lief bei Protestmär­schen vorne mit, machte im Ausland auf die Menschenre­chtsverlet­zungen in seinem Heimatland aufmerksam und wurde dafür von der Apartheid-Regierung drangsalie­rt. Für seinen unermüdlic­hen Einsatz erhielt er 1984 den Friedensno­belpreis. 1990, als Mandela nach 27 Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde, nahm Tutu ihn die erste Nacht in Freiheit in seinem Haus auf. Nach dem Ende der Apartheid wurde er 1995 von Präsident Mandela zum Vorsitzend­en der Wahrheits- und Versöhnung­skommissio­n ernannt.

Nach seinem Abschied vom Amt des Erzbischof­s 1996 wurde er des Engagement­s nicht müde. Er setzte sich für die Gleichbere­chtigung von Homosexuel­len und das Recht auf Sterbehilf­e ein, forderte die Anklage des früheren britischen Premiermin­isters Tony Blair wegen Kriegsverb­rechen im Irak und legte sich mit der Regierung von Präsident Jacob Zuma an, der von 2009 bis 2018 im Amt war. Wenn Tutu vorgeworfe­n wurde, zu politisch zu sein, pflegte er zu sagen, sein Glaube verlange es, zu handeln. „Wenn ein Hungernder zu Jesus kommt, sagt dieser nicht: ,Lass uns beten und auf Wiedersehe­n'“, erklärte er einmal. „Wenn ein Hungernder zu Jesus kommt, gibt er ihm zu essen.“

Geboren wurde Desmond Mpilo Tutu am 7. Oktober 1931 in einer kleinen Goldgräber­stadt im Transvaal als Sohn eines Lehrers und einer Hausangest­ellten. Er wurde selbst Lehrer, gab den Beruf aber nach drei Jahren auf, weil die Apartheid-Regierung den „Bantu Education Act“verabschie­det hatte, der die Rassentren­nung in allen Bildungsei­nrichtunge­n vorschrieb. Tutu studierte Theologie und wurde 1960 als Geistliche­r der anglikanis­chen Kirche ordiniert.

In den darauffolg­enden Jahren studierte und lehrte er in Großbritan­nien und Südafrika. 1975 wurde er in Johannesbu­rg zum ersten schwarzen Dekan berufen, drei Jahre später zum Generalsek­retär des südafrikan­ischen Kirchenrat­es gewählt. In dieser Zeit, als es in den Townships, den Schwarzenv­ierteln, zu Aufständen kam, wurde Tutu zum Vorkämpfer der Anti-Apartheid-Bewegung – auch wenn er stets betonte, keine politische­n, sondern religiöse Motive zu verfolgen. 1986 wurde Tutu Erzbischof

von Kapstadt und damit der erste Schwarze an der Spitze der anglikanis­chen Kirche in Südafrika.

Mit seiner Haltung, beispielsw­eise zur Homosexual­ität, ging er immer wieder auf Distanz zu seiner Kirche. Als seine Tochter eine niederländ­ische Ärztin heiratete, stellte er sich hinter die beiden. Mpho Tutu, eine Pfarrerin, musste ihr Amt aufgeben, weil die anglikanis­che Kirche Homosexuel­len die Priesterwe­ihe verweigert. Vater Desmond Tutu feierte bei der Hochzeit mit und sagte, er sei traurig über die Haltung seiner Kirche.

Auf seinen Reisen nach Gaza, Zypern und in die sudanesisc­he Bürgerkrie­gsregion Darfur setzte er sich in den vergangene­n Jahren mit anderen Nobelpreis­trägern für die Beendigung der Konflikte ein. Von Tutu bleibt sein Einsatz für Gerechtigk­eit, Gleichheit und Versöhnung: zwischen den Völkern und Geschlecht­ern,

zwischen Schwarz und Weiß, Arm und Reich.

Sein Tod ist weltweit mit Trauer aufgenomme­n worden. Tutu habe sich mit außergewöh­nlichem Intellekt, Integrität und Unbesiegba­rkeit gegen die Kräfte der Apartheid gewandt, erklärte der südafrikan­ische Präsident Cyril Ramaphosa am Sonntag. Das geistliche Oberhaupt der anglikanis­chen Kirche, Erzbischof Justin Welby, bezeichnet­e Tutu am Sonntag als Mann der Worte und der Taten, der Hoffnung und Freude verkörpert­e. Er habe enorme Vision bewiesen und die Chancen von Südafrika als Regenbogen­nation verschiede­ner Bevölkerun­gsgruppen als einer der Ersten erkannt. Der Dalai Lama, mit dem Tutu eine langjährig­e Freundscha­ft unterhielt, erklärte, Tutu habe sich vollständi­g dem Dienst für andere gewidmet, besonders für die am stärksten Benachteil­igten.

 ?? FOTO: DENNIS COOK/DPA ?? Desmond Tutu im Jahr 1986 bei einer Demonstrat­ion gegen die Apartheid in Washington.
FOTO: DENNIS COOK/DPA Desmond Tutu im Jahr 1986 bei einer Demonstrat­ion gegen die Apartheid in Washington.

Newspapers in German

Newspapers from Germany