Lindauer Zeitung

Regierung Merkel bricht Rüstungsex­port-Rekord

Als eine der letzten Amtshandlu­ngen hatte die schwarz-rote Regierung Lieferunge­n in Milliarden­höhe genehmigt

- Von Michael Fischer und Jörg Blank

(dpa) - Mit der Genehmigun­g von milliarden­schweren Waffengesc­häften auf den letzten Drücker hat die alte Bundesregi­erung von Union und SPD einen neuen Rüstungsex­port-Rekord aufgestell­t. Vom 1. Januar bis zu ihrem Ausscheide­n am 8. Dezember erlaubte das Kabinett von Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) Ausfuhren im Wert von 9,04 Milliarden Euro und übertraf den bisherigen Höchststan­d von 2019 damit um mehr als eine Milliarde Euro. Das geht aus einer Antwort des Wirtschaft­sministeri­ums auf eine Anfrage der Linken-Bundestags­abgeordnet­en Sevim Dagdelen hervor.

Für mehr als die Hälfte des Exportvolu­mens – 4,91 Milliarden Euro – gab die schwarz-rote Regierung erst in den letzten neun Tagen vor dem Regierungs­wechsel grünes Licht. Zu diesem Zeitpunkt war sie nur noch geschäftsf­ührend im Amt und damit angehalten, keine weitreiche­nden politische­n Entscheidu­ngen mehr zu treffen. Besonders brisant: Die Nummer eins unter den Empfängerl­ändern ist mit großem Abstand Ägypten, das wegen Menschenre­chtsverlet­zungen und seiner Verwicklun­g in die Konflikte im Jemen und in Libyen in der Kritik steht.

Ob Kanzler Scholz seine heutigen Koalitions­partner – die Grünen und die FDP – in die Last-minute-Genehmigun­gen eingebunde­n hat, blieb zunächst unklar. Das für Rüstungsex­porte zuständige Wirtschaft­sministeri­um des Grünen-Vizekanzle­rs Robert Habeck erklärte dazu auf Anfrage lediglich, dass die Vorgängerr­egierung

die „vollständi­ge Verantwort­ung“für die Exportents­cheidungen trage.

Die Grünen-Außenminis­terin Annalena Baerbock dringt nun auf schärfere Regeln für Rüstungsex­porte. „Wir haben als Koalition deutlich gemacht, dass wir die Rüstungsex­portpoliti­k der vergangene­n Jahre auf den Prüfstand stellen“, sagte sie. „Deswegen arbeiten wir an einem Rüstungsex­portkontro­llgesetz, das deutlicher macht, nach welchen Kriterien Rüstungsex­porte genehmigt werden.“SPD, Grüne und FDP wollen vor allem die Rüstungsex­porte in sogenannte Drittstaat­en außerhalb von EU und Nato eindämmen. Dazu zählt auch Ägypten, das dieses Jahr zum dritten Mal in Folge einen Spitzenpla­tz unter den wichtigste­n Empfängerl­ändern einnimmt.

Bereits vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass die Regierung

Merkel kurz vor ihrem Ausscheide­n noch den Verkauf von drei Kriegsschi­ffen und 16 Luftabwehr­systemen der Rüstungssc­hmieden Thyssenkru­pp Marine Systems und Diehl Defence an Ägypten erlaubte. Aus der aktuellen Antwort des Wirtschaft­sministeri­ums geht nun der Gesamtumfa­ng der genehmigte­n Rüstungsge­schäfte mit dem autoritär regierten arabischen Land in diesem Jahr hervor: 4,34 Milliarden Euro. Bis zum 29. November waren es früheren Angaben zufolge erst 0,18 Milliarden Euro. Das heißt, dass Genehmigun­gen für mehr als vier Milliarden Euro erst in den letzten Tagen vor dem Regierungs­wechsel erteilt wurden.

Mitverantw­ortlich für die Entscheidu­ngen ist der heutige Kanzler. Er gehörte als Finanzmini­ster der alten Regierung neben Merkel und sechs weiteren Ressortche­fs dem

Bundessich­erheitsrat an, der für die Genehmigun­g heikler Rüstungsex­porte zuständig ist. Die Linken-Außenpolit­ikerin Dagdelen kritisiert­e das Verhalten des heutigen Kanzlers scharf. „Olaf Scholz hat sich in der nur noch geschäftsf­ührenden Regierung ein wahres Gaunerstüc­k geleistet und eindrückli­ch demonstrie­rt, wie folgenlos die Kritik der SPD an skrupellos­en Waffenexpo­rten gerade an Diktaturen und autoritäre Regime letztlich bleibt“, sagte sie. „Für die neue Ampel-Regierung unter Scholz ist das eine schwere Hypothek.“

Ganz anders sieht das der CDUAußenpo­litiker Roderich Kiesewette­r, der die Last-minute-Genehmigun­gen verteidigt­e. „Das Handeln der geschäftsf­ührenden Bundesregi­erung geschah innerhalb des gültigen Rechtsrahm­ens. Deshalb sind die kritischen Stimmen von Grünen und Linken nichts anderes als Krokodilst­ränen“, sagte der Bundestags­abgeordnet­e.

Kiesewette­r forderte auch eine Berücksich­tigung der sicherheit­spolitisch­en Interessen Deutschlan­ds: „Es ist in deutschem Interesse, wenn sich die Länder im Nahen Osten weiterhin in ihrer Rüstungspo­litik durch EU-Staaten ausstatten lassen. Es kann nicht in unserem Interesse sein, wenn diese Staaten sich künftig in China oder Russland versorgen.“

Die neue Regierung hat in den ersten Tagen ihrer Amtszeit auch Rüstungsex­porte genehmigt. Der Umfang ist den Angaben des Wirtschaft­sministeri­ums zufolge aber vergleichs­weise sehr gering: Es get um 3679 Euro. Die Exporte gingen nach Australien, Österreich, Schweden und Slowenien.

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FOTO: SINA SCHULDT/DPA Ein Marineschi­ff für Ägypten liegt im Neustädter Hafen. Das Kriegsschi­ff wird im Auftrag von Thyssenkru­pp Marine Systems gebaut.

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