Wo Luxus und Sünde locken
„Eldorado KaDeWe“– Freche sechsteilige ARD-Serie über die Goldenen Zwanzigerjahre in Berlin
KVon Barbara Waldvogel
aDeWe – der Klang dieses Namens zieht noch immer: Wer als Tourist die Bundeshauptstadt besucht, Reichstag, Brandenburger Tor, Museumsinsel, Holocaust-Mahnmal, Dom und Gedächtniskirche abgehakt hat, steuert wahrscheinlich früher oder später auch das legendäre Kaufhaus des Westens in der Tauentzienstraße an. Das KaDeWe hat seit über 100 Jahren allen Stürmen der Zeit getrotzt, hat Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, Mauerbau und Wiedervereinigung mitgemacht und ist nach jeder Krise noch pompöser wieder auferstanden. Dieser Luxustempel bietet schon allein genug Spielmaterial für eine Fernsehserie mit historischem Hintergrund. Doch damit nicht genug. Die neue ARD-Serie wirft daneben auch ein Schlaglicht auf den schrillen Nachtclub „Eldorado“, einen Tempel der Sünde, in dem die Schönen und Reichen nach dem Ersten Weltkrieg in der Gesellschaft von Schwulen, Lesben, Transsexuellen und Prostituierten das Leben exzessiv feierten.
Julia von Heinz hat als Regisseurin und Drehbuchschreiberin zusammen mit den Autoren John Quester, Sabine Steyer-Violet und Oskar Sulowski daraus eine High-End-Serie produziert, die zweifellos aus dem Rahmen fällt. High-End steht für eine opulente und vor allem sehr teure Produktion. Der Rundfunk Berlin Brandenburg (rbb) musste das aber nicht allein finanzieren. Beteiligt waren die Constantin Television und die UFA Fiction, die erstmals gemeinsam für eine Co-Produktion gewonnen werden konnten. Damit garantiert die Serie auch Kinoqualität. Sie nimmt das Publikum mit in ein Berlin der krassen Gegensätze, wo Glanz und Elend, Aufbruchstimmung und Verzweiflung täglich hart aufeinanderprallen und der Nährboden für den Nationalsozialismus bereitet wird.
Wer harte Fakten über das Kaufhaus der Superlative erfahren wollte, war mit der Vorab-Dokumentation „Mythos KaDeWe“sicher besser bedient. Denn es ist nicht der übliche Historienfilm, den die Regisseurin („Und morgen die ganze Welt“, „Katharina Luther“) hier abliefert. Sie arbeitet doch sehr viel mit Fiktion. In der sechsteiligen Serie stehen vier junge Protagonisten mit ihrer Suche nach persönlichem Glück, nach Liebe, Freiheit und Selbstverwirklichung im Mittelpunkt: Kaufhauserbe Harry Jandorf (Joel Basman), seine Schwester Fritzi (Lia von Blarer), Verkäuferin Hedi (Valerie Stoll) und Buchalter Georg Karg (Damian Thüne).
Um das Ganze dann noch etwas aufzupeppen, ist der traumatisierte Kriegsheimkehrer Harry drogenabhängig, Fritzi damals noch verbotenerweise lesbisch und in Verkäuferin Hedi verliebt. Im verruchten Nachtclub „Eldorado“tobt sich die Szene freizügig bis abgründig aus. Bewusst werden die Unterschiede zu einst und jetzt aufgehoben, und nächtliche Szenen spielen in den Straßen des heutigen Berlins.
Um ihre Botschaft von der Freiheit der gleichgeschlechtlichen Liebe transportieren zu können, musste sich von Heinz allerdings in weiten Teilen von der Geschichte des Kaufhauses lösen. So hatte der aus Hohenlohe stammende jüdische Kaufhausgründer Abraham Adolf Jandorf gar keine Tochter. Tatsächlich gab es aber den Sohn Harry, der 1932 zunächst nach Amsterdam, dann nach Los Angeles emigrierte. Eine zweite authentische Person ist Georg Karg, der nach der Enteignung und Arisierung des Kaufhauses 1934, das inzwischen zur Hertie GmbH gehörte, die Anteile der Bank aufkaufte und nach dem Krieg zahlreiche Hertie-Kaufhäuser gründete. Harry Jandorf pflegte auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein freundschaftliches Verhältnis zu Karg.
Harry und Georg spielen auch in der Serie eine zentrale Rolle, kämpfen doch beide als Geschäftsführer trotz ihrer verschiedenen Charaktere um den Erhalt des Warenhauses während der Inflation: Da Harry, der Fantast und Visionär aus reichem Hause mit dem bedrohlichen Hang zu waghalsigen unternehmerischen Manövern. Dort Georg, das korrekte Rechengenie aus ärmlichsten Verhältnissen.
Es sind diese Gegensätze, die von Heinz in ihrem Film immer wieder herausarbeitet. Hedi, die hübsche Verkäuferin, haust mit ihrem kriegsversehrten Vater und ihrer behinderten Schwester Mücke (Nele Buchholz) in einer primitiven HinterhausBleibe. Staunend betrachtet sie die Pracht im Hause Jandorf. Trotz ihrer Gefühle für Fritzi heiratet sie dann doch den braven und fleißigen Rüdiger (Tonio Schneider), um eine gesicherte Existenz zu haben. Rüdiger zieht allerdings das NS-Braunhemd an, und Hedis Lebensglück heißt nach wie vor Fritzi. Das hat Folgen. Vor allem für Rüdiger. Die unternehmerisch begabte Fritzi wiederum würde gerne in die Geschäftsleitung einsteigen, aber das gestattet der Vater nicht. Das passt nicht in sein Frauenbild.
Noch schlimmer: Wegen ihrer sexuellen Neigung sucht sie auf die dringende Bitte ihrer Mutter eine Heilanstalt auf, wo sie mit Elektroschocks malträtiert wird. Natürlich erfolglos. Fritzi flieht und gönnt sich die Freiheit, nach ihrer Fasson glücklich zu werden.
Die gewaltige Bilderflut dieser Produktion ist beeindruckend. Auch die junge Darstellerriege bietet eine tadellose Leistung. So Joel Basman („Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“) als Harry, der zwar den Krieg überlebt hat, aber die blutigen Bilder nicht mehr loswird. Basman verkörpert glaubwürdig Harry, aufbrausend und geschwätzig, clever und trotzdem mit der Leitung des Kaufhauses überfordert. Er flüchtet in die Arme der Bordellbesitzerin Erica, die ihm auf Verlangen die Peitsche gibt.
Beeindruckend auch Lia von Blarer. Als Fritzi zeigt sie eine Frau, die ihrer Zeit voraus ist, unerschrocken für die Emanzipation kämpft und Mode für die selbstbewusste Frau entwirft. Zart und trotzdem willensstark geht sie ihren Weg. Valerie Stoll wiederum, die einige Erfahrungen in Krimiserien gesammelt hat, passt perfekt in die Rolle der hübschen jungen Hedi, die einerseits das harte Leben der Unterschicht kennt, beim KaDeWe dank Fritzi zum Fotomodell und schließlich zur Werbe-Ikone des Warenhauses aufsteigt. Und Damian Thüne ist der geborene Zahlenmensch Georg, der immer besorgt und zugeknöpft dreinschaut – fast schon die Karikatur eines Buchhalters.
Pikanterweise wurde in der früheren britischen Botschaft in Budapest gedreht. Das Team erfuhr also vor Ort hautnah, wie eine homophobe Gesetzgebung Betroffene verunsichert und aus dem gesellschaftlichen Leben verdrängt. Wie die Regisseurin erzählt, gab es zur Drehzeit in Budapests Buchläden Razzien. Unter anderem wurde ein Kinderbuch beschlagnahmt, das von einer Regenbogenfamilie erzählt, und die Buchhändlerin musste eine Geldstrafe bezahlen.
Diversität, Antisemitismus, Rechtsextremismus, aber auch städtische Wohnungsnot – alle diese Themen sind heute so aktuell wie damals. Die Serie liegt also im Trend, ohne Zweifel. Man darf sich nur fragen, warum alle sechs Folgen an einem Abend ausgestrahlt werden.
Montag, 27. Dezember, ARD, 20.15 Uhr, Eldorado KaDeWe – Jetzt ist unsere Zeit.
Sechsteiler über die Zwanzigerjahre in Berlin.