Ein Klimaticket hat Deutschland noch lange nicht
Österreich bietet Bus- und Bahnfahrten zum Fixpreis an – Bundesländer wollen zunächst Schüler, Studenten und Azubis entlasten
- Per Bus und Bahn durchs ganze Land, mit einem einzigen Ticket, und das sogar im Fernverkehr: In Österreich ist das seit Ende Oktober möglich. Das „Klimaticket Ö“ist ein Prestigeprojekt der mitregierenden Grünen, ihre Verkehrsministerin Leonore Gewessler feierte den Start des Angebots als „Revolution im öffentlichen Verkehr“und wichtigen Baustein für den Klimaschutz. Für 1095 Euro können Ticketinhaber durchs ganze Land reisen, außerdem gibt es entsprechende Angebote in acht von neun Bundesländern. Deutschland ist von einem solchen Angebot noch weit entfernt. Ein Vergleich.
Warum gibt es ein Klimaticket wie in Österreich eigentlich nicht in Deutschland?
Fragt man nach beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV), lautet die Antwort zunächst einmal: Weil es teuer wäre. „Würde man ein Klimaticket wie in Österreich anbieten, würde es die Verkehrsunternehmen schon vier bis fünf Milliarden Euro im Jahr kosten, nur um den Status quo zu finanzieren“, sagt VDVSprecher Lars Wagner. Tatsächlich aber soll der Nahverkehr in Deutschland deutlich ausgebaut werden, um die Klimaziele zu erreichen. In Baden-Württemberg etwa will die Landesregierung den Reisenden im Nahverkehr eine Mobilitätsgarantie geben: Jedes Dorf soll mindestens stündlich erreichbar sein, von fünf Uhr bis Mitternacht. Zwar werde der Ausbau der Infrastruktur vom Staat gefördert, so Wagner. „Aber die Betriebskosten werden zu 70 Prozent aus dem Erlös von Tickets gedeckt.“
Auch aus Sicht von Matthias Gastel, Bahn-Experte der Grünen-Bundestagsfraktion, sind andere Dinge wichtiger als ein günstiges Netzticket: Einfachere Tarife, attraktivere Angebote auf dem Land und ein deutschlandweiter Taktverkehr, wie ihn die Bahn plant. „Ein Klimaticket ist dann quasi die Krönung des Deutschlandtakts“, sagt Gastel.
Geht es hingegen nach dem Willen von Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, solletwa te sich Deutschland hingegen möglichst schnell ein Beispiel an Österreich nehmen. Seine Organisation wirbt für die flächendeckende Einführung sogenannter 365-Euro-Tickets, die für einen Euro am Tag unbegrenzt regionale Mobilität – etwa innerhalb eines Verkehrsverbundes – ermöglichen. Über Ausgleichszahlungen zwischen den Verbünden müsste es den Nutzern dann ermöglicht werden, das Ticket bundesweit einzusetzen. Und für drei statt einem Euro am Tag, so das Konzept der Umwelthilfe, müsste man den Fernverkehr hinzubuchen können. „Ich glaube, dass so viele Leute das Ticket kaufen würden, dass sich das rechnet“, so Resch.
Nach Angaben von VDV-Sprecher Wagner sind die Erfahrungen in Wien, wo es ein 365-Euro-Ticket bereits länger gibt, aber andere. „Dass viele Leute umsteigen, wenn die Tickets günstiger werden, stimmt nur bedingt. Viele Leute, die Tickets kaufen, sind keine Neukunden, sondern Kunden, die schon vorher den ÖPNV genutzt haben, aber dann ins günstigere Angebot wechseln.“
Welche Angebote für Vielfahrer gibt es in Deutschland denn jetzt schon?
Dem österreichischen Klimaticket am nächsten kommt wohl die Bahncard100. Sie kostet regulär 4144 Euro, womit sie angesichts des größeren Streckennetzes mit dem neuen Ticket in Österreich vergleichbar wäre. Sie ist aber zunächst einmal ein Angebot
der Deutschen Bahn. Im Busverkehr gilt sie dort, wo es das sogenannte Cityticket gibt – etwa in Aalen, Friedrichshafen, Ravensburg/ Weingarten und Ulm. Allerdings wohlgemerkt nur im Stadtverkehr: Wer in einer dieser Städte ankommt und dann per Bus ins Umland weiterfahren will, braucht ein neues Billet.
Auf regionaler Ebene bieten die Verkehrsverbünde Jahreskarten an, die aber im Verhältnis deutlich teurer sind als das österreichische Klimaticket. So kostet allein die Netzkarte im Verkehrsverbund bodo, dem die Landkreise Ravensburg, Bodensee und Lindau angehören, im Abo 1464,60 Euro pro Jahr. In den Nachbarverbünden Ding (Ulm, NeuUlm, Alb-Donau, Biberach) und Naldo (Sigmaringen, Zollernalb, Tübingen,
Reutlingen) sind es sogar jeweils fast 2000 Euro.
Noch teurer wird es bei Fahrten über Verbundgrenzen hinweg. Wer beispielsweise zwischen Ravensburg und Biberach pendelt, muss für eine Jahreskarte im sogenannten BW-Tarif 1986 Euro zahlen – nur für die Regionalzüge auf dieser einen Strecke.
Im September hat der VDV allen Inhabern regionaler Abokarten zwei Wochen lang ein kostenloses bundesweites Upgrade angeboten. Mehr als 700 000 Menschen haben das Angebot angenommen – nötig war lediglich eine einmalige Onlineregistrierung. Als Testballon für ein dauerhaftes Angebot wolle man das aber nicht verstanden wissen, sagt VDVSprecher Wagner. „Das war ein
Dank für die, die uns während der Pandemie die Treue gehalten haben.“Die beteiligten Unternehmen haben die Kosten auch nicht untereinander verrechnet, wie es bei einem dauerhaften Angebot nötig gewesen wäre, sagt Wagner. „Das hätte uns zerlegt.“
Wie wollen die Bundesländer jungen Menschen Mobilität ermöglichen?
Ab September 2022 soll es für Schüler, Studenten und Auszubildende in Baden-Württemberg ein 365-EuroTicket geben, das landesweit im gesamten Nahverkehr gilt. Das Land stellt dafür 100 Millionen Euro bereit und trägt 70 Prozent der Kosten, wenn die Kommunen die restlichen 30 Prozent übernehmen. „Junge Leute lernen, dass Busse und Bahnen cool und eine gute, wenn nicht die bessere Alternative zum eigenen Auto sind und einen immer überall hinbringen“, wirbt Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne).
Kritik kommt von der FDP: Weil die kommunalen Gremien über die Einführung des Tickets vor Ort entscheiden, sei unklar, ob es ein flächendeckendes Angebot geben wird, kritisiert der FDP-Politiker Friedrich Haag. „Es kann also sein, dass sich das vollständig als Kartenhaus entpuppt, das ganz schnell in sich zusammenfällt.“Auch Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Ulm, warnt: „Wenn nicht wirklich alle Regionen mitmachen, werden ländliche Gegenden noch weiter abgehängt.“
Minister Hermann bezeichnet die Kritik als „kleinkariert“. „Wir zwingen niemanden, bestellen auch nichts, sondern machen lediglich ein zukunftsorientiertes Angebot in Richtung Verkehrswende und Klimaschutz, das man schlecht ablehnen kann.“Würde man das Angebot nicht nur auf junge Menschen beschränken, würde dies das Land „mindestens dreimal so teuer“zu stehen kommen, schätzt Hermann.
In Bayern wurden erste 365-EuroTickets für Azubis, Schüler und Studenten auf regionaler Ebene eingeführt, unter anderem in Augsburg, Nürnberg und München. Ein landesweites Angebot gibt es aber bislang nicht.