Diktator Kim sitzt fest im Sattel
Vor zehn Jahren erlangte Kim Jong-un in Nordkorea die Macht – Seither herrscht er brutal und droht dem Westen
- Als das Herz des Despoten Kim Jong Il am 17. Dezember 2011 bei einer Fahrt in seinem Privatzug plötzlich aussetzte, schien die politische Uhr in Nordkorea stillzustehen. Knapp zwei Wochen verharrte das Regime in Schockstarre, dann hoben Partei und Militär heute vor zehn Jahren einen politisch unbekannten, nicht einmal 30-jährigen Kim Jongun auf den Schild des „Obersten Führers“– wohl in der Absicht, den drittgeborenen Sohn des toten Herrschers nach Belieben wie eine Marionette führen zu können. In den USA, aber vor allem in Ostasien sorgten sich dagegen die Regierungen, dass ein eitler Naivling ohne politische Ambitionen das abgeschottete Land in die Instabilität führen könnte.
Dem zugrunde lag die logische Erwartung, dass der plötzliche Tod eines Tyrannen auch die Chance auf einen Wandel enthält. Was für ein gründlicher Irrtum und vor allem ein schwerer Fehler des Westens, wie sich erweisen sollte. Kim Jong-un wurde zwar anfänglich unterschätzt und oft auch verlacht, aber es gelang dem Diktator, die Ignoranz seiner Gegner raffiniert auszunutzen. Mit der harten Hand seiner Staatssicherheit im Inneren und dem festen Beharren auf atomarer Bewaffnung narrt der „Oberste Führer“nun schon zehn Jahre die Welt und beherrscht sein eigenes Volk.
Das Regime in Nordkorea ist nicht nur nicht zusammengebrochen, es ist im Gegenteil zu einem Angst einflößendem Machtfaktor in der Region geworden. Wie tickt Kim Jong-un und wie gelang es ihm, seine Diktatur derart zu stabilisieren? Stärker noch als seine Vorgänger aus der Kim-Dynastie betrachtet der neue Führer sein Umfeld in erster Linie als Bedrohung – extern wie intern gleichermaßen. Seinen kommunikativ von der übrigen Welt abgeschnittenen Untertanen wird täglich eingeredet, dass ihr „Paradies“nur durch den Besitz von Atomwaffen und die bedingungslose Treue zur Partei überleben kann.
So gab es zu Beginn des Machtwechsels vor einer Dekade noch zwei Strömungen innerhalb der Machtelite. Zum einen waren es Pseudoreformer, die Nordkoreas ewigen Steinzeitkommunismus ein wenig auf die chinesische Marktwirtschaftslinie steuern wollten. Dazu gehörte auch die Absicht, die ohnehin schmalbrüstigen Ressourcen verstärkt für ein besseres Lebensniveau der breiten Massen zu verwenden. Als Protagonist galt Jang Songthaek, Onkel und Mentor des Herrschers, als Vize der Nationalen Verteidigungskommission zweiter Mann im Machtapparat. Sein Feind war das Militär, das um seine Privilegien fürchtete. Sein Schicksal sollte als Warnung dienen, das Abweichungen von der strikten Parteilinie rücksichtslos geahndet werden. Während einer Routinesitzung des Zentralkomitees traten zwei Wachleute auf Jang zu und legten den Verdutzten – vom Staatsfernsehen übertragen – brutal in Handschellen. Dann wurde kurzer Prozess gemacht. Der Vorwurf „Korruption und ekelhafte Lebensweise“reichten für ein Todesurteil. Mit der Exekution erledigte sich auch die Idee, das Regime sei zu reformieren. Hunderte Gefolgsleute wurden anschließend ebenfalls hingerichtet oder verschwanden auf ewig in den berüchtigten Straflagern.
So konnte Kim Jong-un auf sein eigentliches „Endziel“hinarbeiten: die Entwicklung leistungsstarker Atomwaffen und wirksamer Interkontinentalraketen. Als Durchbruch kann der 4. Juli 2017 gelten, der Start einer Langstreckenrakete mit Reichweite nach Alaska und Hawaii – und das ausgerechnet am amerikanischen Nationalfeiertag. Kurz darauf drohte ein entfesselter US-Präsident Donald Trump seinem nordkoreanischen Gegenspieler: Er werde „mit Feuer und Zorn konfrontiert werden, wie sie die Welt noch nie gesehen hat“. Trump sprach von der „totalen Zerstörung Nordkoreas“. Das klang nach Atomkrieg, war aber zum Glück nur großmäuliges Säbelrasseln.
Pjöngjang folgerte daraus: niemand in der Welt greift ein Land an, wenn dieses mit atomaren Mitteln zurückschlagen kann. Diese These wurde in Pjöngjang zur alleinigen Staatsdoktrin. Egal, was es koste und wie das Volk unter dem Rüstungswahn zu leiden hat. Kim Jong-un nahm die Rhetorik von Trump als Ermutigung, sein Drohpotential weiter auszubauen. Als Washington den Diktator endlich ernst nahm, war es in der Tat zu spät. Am 28. November desselben Jahres feuerte Nordkorea eine Interkontinental-Rakete mit der Reichweite von 13 000 Kilometern in den Nachthimmel. Sie hätte auch das gesamte Gebiet der USA und Europas erreichen können. Der „goldene Händedruck“zwischen Trump und Kim zunächst in Singapur, später in Hanoi und schließlich an der koreanischen Mauer blieb nur noch ein symbolischer Akt und ein großer Sieg der nordkoreanischen Propaganda. Beide Führer auf Augenhöhe, das waren ikonische Bilder. Seit dem Scheitern der Gipfel herrscht wieder politische Eiszeit. Der Diktator sitzt fest im Sattel, kann Abweichler nach Belieben ausschalten. Seine Staatssicherheit erstickt selbst kleinste lokale Unruhen im Keim. Und der Westen muss sich eingestehen, ein Regimewechsel oder nukleare Abrüstung ist auf absehbare Zeit utopisch.