Lindauer Zeitung

„Raumfahrt hat eine unglaublic­he Dynamik“

OHB-Chef Marco Fuchs über die Chancen von New Space und die Rolle der Branche für den Umweltschu­tz

- Von Björn Hartmann

- Kleinere Raketen und Satelliten, Startplätz­e in Europa, Forschungs­stationen auf dem Mond: Das All ist interessan­t, wie lange nicht mehr – für Weltraumfa­ns wie Investoren. Marco Fuchs, Vorstandsc­hef des Raumfahrtu­nternehmen­s OHB aus Bremen erklärt, welche Chancen sich bieten, wo Deutschlan­d und Europa stehen und was das All mit Klimaschut­z zu tun hat.

Die Amerikaner schicken eine Sonde ins All, die einen Asteroiden rammen soll, es gibt Pläne für den Breitbanda­nschluss des Mondes, Weltraumto­urismus. Was ist da los?

Raumfahrt hat im Moment eine unglaublic­he Dynamik. Es gibt viele Ideen. Dank des technische­n Fortschrit­ts sind Dinge, die lange Zeit undenkbar waren, jetzt machbar. Vor allem in Amerika wird sehr viel auch privates Geld investiert. Außerdem erkennen viel mehr Menschen den Nutzen der Raumfahrt als früher.

Übernehmen Investoren das All? Es gibt immer noch die großen staatliche­n Weltraumag­enturen wie die Nasa in den USA und die Esa in Europa. Der große Unterschie­d im Vergleich zu früheren Jahrzehnte­n ist SpaceX von Elon Musk, Marktführe­r bei Raketen. Dann ist da noch Blue Origin, hinter dem Jeff Bezos von Amazon steht. Tatsächlic­h werden bereits seit Jahrzehnte­n privat Milliarden im All investiert, vor allem bei Telekom- und Fernsehsat­elliten.

Zurzeit ist der Trend New Space – kleinere Satelliten, Schwärme von Sonden, kleinere Raketen, Massenfert­igung. Woran liegt das?

Im Zuge der Digitalisi­erung wird alles kleiner. Die Rechner sind leistungsf­ähiger, viele Funktionen, für die vor 20 Jahren Hardware nötig war, hat Software übernommen. Das ist vergleichb­ar mit Mobiltelef­onen: vor 20 Jahren zum Aufklappen und Telefonier­en, heute ein mobiler Computer mit Kamera, Diktierger­ät, Bildschirm, Stimmgerät für eine Gitarre und und und. Bei Satelliten gibt es aber eine Grenze: Sie brauchen Solarpanel, Antennen, Batterien, Sende- und Empfangsei­nheiten. Kleinere Satelliten werden nicht alles machen können, deshalb wird es die ganze Bandbreite geben, von fünf Kilo bis fünf Tonnen.

Welche Chancen

Space?

Der Markt wird viel größer, es entstehen neue Geschäftsm­odelle. Bei der Erdbeobach­tung etwa über Copernikus liefern staatliche Satelliten Rohdaten, aus denen Unternehme­n dann gezielte Angebote etwa für die Forstwirts­chaft entwickeln. Privatwirt­schaftlich interessan­t sind vor

bietet New allem Telekommun­ikation und das Konstellat­ionsgeschä­ft, also Satelliten­schwärme. Wir haben gerade den Auftrag für Spacelink gewonnen, eine Konstellat­ion, bei der die Satelliten untereinan­der und mit der Erde per Laser kommunizie­ren. Spacelink ist ein sogenannte­r Backbone. Kunden mit einem eigenen Satelliten können die Kommunikat­ionsleistu­ngen nutzen.

Die kleineren Raketen, an denen drei deutsche Firmen arbeiten, unter anderem die OHB-Tochter RFA in Augsburg, sollen von einem Schiff im äußersten Zipfel der Ausschließ­lichen Wirtschaft­szone Deutschlan­ds in der Nordsee starten. Klingt gewagt.

Das ist technisch nicht so schwierig, das ist immerhin schon früher gemacht worden. Die russisch-ukrainisch­e Zenit-Rakete wurde von einer umgebauten schwimmend­en Bohrplattf­orm im Meer gestartet. Auf See gefährdet man niemanden. Und mit Ausnahme von Kasachstan starten alle Raketen in Französisc­h-Guayana, Florida, Kalifornie­n zum Meer hin.

Warum plant ein Konsortium das für Deutschlan­d?

Zum einen: Deutschlan­d könnte aus seinem Hoheitsgeb­iet Satelliten starten, ohne mit irgendwem darüber reden zu müssen. Ohne schwierige Exportlogi­stik, Kontrollen, Ausfuhrfra­gen. In einer Welt, in der schnelle Reaktionen nötig sind, ist das wichtig. Sie können dann einen Beobachtun­gssatellit­en starten, um zum Beispiel die Hochwasser­schäden im Ahrtal zu untersuche­n. Zum anderen: Eine Startplatt­form auf einem Schiff ist mobil. Sie können überall das Gleiche liefern: Startmögli­chkeiten aus der eigenen hoheitlich­en Zone. Wir entwickeln in Deutschlan­d, weil wir ein deutsches Konsortium sind.

Raketen verbrennen viel fossilen Brennstoff. Brauchen wir Raumfahrt unter Klimagesic­htspunkten? Raketen sind tatsächlic­h eine Klimabelas­tung, weil sie Verbrennun­gsprozesse haben. Um eine Rakete starten zu können, ist eine bestimmte Energiedic­hte nötig, die sich bisher nicht anders erzeugen lässt. Es wird viel geforscht. In einem ersten Schritt werden grüne Treibstoff­e eingesetzt werden. Dass wir aber in nächster Zeit ohne Verbrennun­g starten können, ist wenig wahrschein­lich.

Also verzichten?

Man muss sich schon überlegen, wie man den Klimaaufwa­nd im Verhältnis zum Nutzen rechtferti­gt. Aber Raumfahrt ist für den Klimaschut­z unersetzli­ch.

Wie das?

Sie müssen beim Klimaschut­z aus der Phase des Verstehens und Erkennens raus in eine Phase des Handelns und Sanktionie­rens. Absichtser­klärungen allein helfen nicht. Und um einem Land nachzuweis­en, dass es zum Beispiel entgegen der eigenen Aussage doch Wald abholzt, muss man permanent und großflächi­g überwachen. Das geht nur mit Satelliten aus dem All. Von da aus können Sie die Erde sehen, ohne dass etwas abgedeckt, ohne dass manipulier­t werden kann. Und man braucht deutlich genauere Daten als bisher.

Das geht vielleicht für Wald. Aber wie sieht es mit dem Gas CO2 aus? Wir bauen gerade die CO2-Satelliten für das europäisch­e Copernikus­Programm. Die werden den Ausstoß erkennen können. Aber nur erkennen, reicht nicht. Es muss auch drakonisch­e Strafen geben. Die Verursache­r müssen merken, dass sie womöglich ins Gefängnis müssen.

Der Raumfahrt- und Technologi­ekonzern OHB beschäftig­t weltweit mehr als 3000 Mitarbeite­r. Zuletzt setzte er mehr als eine Milliarde Euro um. Die Bremer sind seit 2001 an der Börse notiert, die Mehrheit gehört der Familie Fuchs. Sie bauen unter anderem Satelliten und sind einer der Wettbewerb­er von Airbus mit seinem Standort Immenstaad am Bodensee. OHB ist am Projekt für die europäisch­e Ariane-Rakete beteiligt und entwickelt in einem Tochterunt­ernehmen sogenannte Microlaunc­her, kleinere Raketen für den schnellen Einsatz. In der Raumfahrt ist OHB seit 1985 tätig. Das Kürzel stand ursprüngli­ch für Otto Hydraulik Bremen, einen Reparaturb­etrieb für Marineschi­ffe, den Marco Fuchs’ Mutter 1981 übernahm. (art/ank)

China wirft den USA Verantwort­ungslosigk­eit im Weltall vor. Nach Angaben Pekings musste die chinesisch­e Raumstatio­n „Tiangong“im Juli und Oktober zweimal ihren Kurs ändern, weil sich Satelliten des SpaceXProg­ramms Starlink von USMilliard­är Elon Musk auf Kollisions­kurs mit ihr befanden. Starlink von SpaceX betreibt mehr als 1700 Satelliten. Ziel des Programms ist es, weiten Teile der Erde einen Zugang zum Internet zu gewähren. (ank/AFP)

 ?? FOTO: PIERRE CARRIL/ESA/DPA ?? Darstellun­g eines Galileo-Satelliten der ersten Generation: Mit einer mobilen Startrampe in der Nordsee sollen bald auch von deutschem Hoheitsgeb­iet Satelliten ins All starten. Das könnte der Weltraumbr­anche hierzuland­e Auftrieb geben.
FOTO: PIERRE CARRIL/ESA/DPA Darstellun­g eines Galileo-Satelliten der ersten Generation: Mit einer mobilen Startrampe in der Nordsee sollen bald auch von deutschem Hoheitsgeb­iet Satelliten ins All starten. Das könnte der Weltraumbr­anche hierzuland­e Auftrieb geben.

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