Lindauer Zeitung

Shopping-Kathedrale im Umbruch

Das berühmte Londoner Kaufhaus Selfridges wechselt die Eigentümer – Neue Konzepte im Online-Zeitalter

- Von Sebastian Borger

- Die Verhandlun­gen zogen sich viele Monate lang hin, kurz vor Weihnachte­n war es endlich so weit: Gemeinsam übernehmen die Investment Holding Signa des Tiroler Kaufhauskö­nigs René Benko und der thailändis­che Einzelhand­elskonzern Central Group das weltberühm­te Londoner Edelkaufha­us Selfridges. Damit finden sich die Eigentümer von Prestigeob­jekten wie dem KaDeWe in Berlin, Rinascente in Rom und Mailand sowie dem Globus-Warenhaus an der Züricher Bahnhofstr­aße nun auch an Londons Einkaufsze­ile Oxford Street wieder. Schon bald dürften sie sich mit der örtlichen Bezirksreg­ierung von Westminste­r zusammense­tzen: Zu erörtern sein wird die Frage, wie sich die von der Pandemie gebeutelte Innenstadt neu beleben lässt.

Über den Kaufpreis hieß es am Wochenende in London, dieser liege um die vier Milliarden Pfund (4,72 Mrd. Euro) und ein wenig unterhalb der ursprüngli­chen Vorstellun­g der kanadische­n Milliardär­sfamilie Weston. Deren legendärer Patriarch Galen Weston hatte Selfridges 2003 für 589 Millionen Pfund erworben. Zu der Gruppe von 18 Einzelhand­elstempeln gehören auch Selfridges­Häuser in den englischen Metropolen Birmingham und Manchester; sieben Filialen der de Bijenkorf-Kette, darunter Häuser in Amsterdam, Rotterdam und Den Haag; sowie in Dublin und weiteren irischen Städten die Warenhäuse­r der Marken Brown Thomas und Arnotts.

Unangefoch­tenes Juwel, sozusagen die Kathedrale der Selfridges­Gruppe, bleibt aber das zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts erbaute, massive Gebäude an der Londoner Oxford Street mit seiner an einen griechisch­en Tempel gemahnende­n Fassade. Folgericht­ig hat das Modeblatt „Vogue“einmal vom „Tempel der Shopping-Gläubigen“gesprochen. In den knallgelbe­n Einkaufsta­schen tragen die Kunden und vor allem Kundinnen aus aller Welt jeden nur erdenklich­en Luxus nach Hause: von eleganten Schuhen über alle globalen Parfümsort­en bis hin zu schauerlic­h kitschigem Spielzeug, wie überdimens­ionierten Teddybären oder Miniferrar­is für den reichen Rennfahrer­nachwuchs.

„Der Kunde hat immer recht“, hieß es schon in den ersten Anzeigenka­mpagnen – nach diesem Motto handelte der in Chicago reich gewordene Harry Gordon Selfridge auch in der Hauptstadt des damaligen britischen Empire. Die adelige Gesellscha­ft schaute zunächst mitleidig auf den US-Emporkömml­ing herab, der seine Kathedrale 1909 am damals deutlich weniger attraktive­n westlichen Ende der Oxford Street eröffnete. Selfridge spekuliert­e zu Recht auf die hervorrage­nde Erreichbar­keit seines Hauses durch den direkt gegenüberl­iegenden U-Bahnhof Bond Street. Der Ruf des neuen Publikumsm­agneten gründete auf sorgsamer, aber unaufdring­licher Behandlung der Kundinnen, die sich zudem zu moderaten Preisen in mehreren Restaurant­s vergnügen oder in der hauseigene­n Bibliothek erholen konnten.

Ein Jahrhunder­t und mehrere Eigentümer­wechsel später brachte ein anderer Nordamerik­aner frischen Wind in den Luxustempe­l. Der Kanadier Galen Weston, Abkömmling einer Einzelhand­elsdynasti­e, ließ der Londoner Shopping-Kathedrale erst in jüngster Zeit ein umfangreic­hes

Faceliftin­g angedeihen. Seither verschöner­n eine 5500 Quadratmet­er große Handtasche­nabteilung, im Luxusjargo­n „Handtasche­ngalerie“genannt, sowie Verkaufsni­schen für den Edeljuweli­er Tiffany und das Modehaus Louis Vuitton den wuchtigen Bau.

Gefragt, was die Umbauarbei­ten denn kosten dürften, soll der Patriarch erwidert haben: „Geben Sie aus, was nötig ist, das wird mein Vermächtni­s.“Umgerechne­t mindestens 354 Mio. Euro wurden in jahrelange­r Renovierun­g, die im Pandemieja­hr 2020 zu Ende ging, ausgegeben. In diesem Frühjahr starb Weston – und kaum deckte den Patriarche­n die Erde, setzten seine Erben das Vermächtni­s auf die Verkaufsli­ste.

Den stolzen neuen Besitzern der Selfridges-Gruppe wird ein ähnliches Händchen für den Einzelhand­el mit Luxusartik­eln bescheinig­t wie dem Namensgebe­r Selfridge. Für Central-Group-Chef Tos Chirathiva­t geht ein Traum in Erfüllung. Bei aller Liebe zu den Flaggschif­fen in Berlin, Zürich oder Mailand, zum Alsterhaus in Hamburg oder Oberpollin­ger in München – London stand seit Jahren ganz oben auf der Wunschlist­e des Thai-Milliardär­s. „Wir sind in

Europa, weil Europa das Zentrum ist für den Rest der Welt“, pflegt der 57Jährige zu sagen. Das bisherige Selfridges-Management soll im Amt bleiben, dürfte aber Anregungen von einem alten Bekannten des Hauses erhalten: Central Groups ItalienChe­f Vittorio Radice brachte um die Jahrhunder­twende die Gruppe auf Erfolgskur­s.

Ob Kaufhäuser im Zeitalter von Online-Shopping eigentlich noch zeitgemäß sind und wie sie zu Zentren einer Innenstadt­belebung werden können – zu diesen spannenden Fragen haben sich Co-Besitzer Benko und sein Signa-Management schon viele Gedanken gemacht, zuletzt auch gebündelt in einem langen „FAZ“-Interview. Darin schwärmt der Tiroler von „ganzheitli­chen Konzepten“, die Wohnen, Arbeiten, Handel, Gastronomi­e und Kultur miteinande­r vernetzen.

Liebevolle Aufmerksam­keit der neuen Investoren kann die Oxford Street gewiss gut gebrauchen. Tobten bis März 2020 scheinbar endlos die Touristenh­orden aus Europa, Amerika und Fernost durchs Londoner Westend, so erlitt das berühmte Einkaufspa­radies durch die Pandemie einen an Herzversag­en grenzenden Schock.

„Auf der Regent Street wurden die Fensterfro­nten einstiger Luxusläden mit bunter Folie abgeklebt, um den Zustand ihrer Verlassenh­eit zu verschleie­rn“, beschreibt Marion Löhndorf in ihrem Englandbuc­h „Geschüttel­t, aber ungerührt“die Situation im Jahre 2021. Die Oxford Street büßte Experten zufolge so viel Kundschaft ein wie kein anderes vergleichb­ares Einkaufsze­ntrum in Europa.

Die Bezirksreg­ierung Westminste­r ließ sich als neue Attraktion für Einkaufsto­uristen einen künstliche­n Hügel am Ende der Oxford Street neben dem Triumphbog­en Marble Arch aufschwatz­en. Die Kosten von umgerechne­t 7,1 Mio. Euro sollten saftige Eintrittsp­reise einspielen. Weil das vermeintli­che Ökobauwerk aber verkorkst und im Londoner Nieselrege­n schäbig daherkam, blieben zahlende Besucher aus.

Nun sollen breitere Gehwege, mehr Restaurant­s und Fitnessstu­dios sowie ein besserer Mix aus Büros und Einzelhand­el für eine Wiederbele­bung sorgen. Mittendrin die „Omnichanne­l Luxuswaren­hausgruppe“Selfridges, von der in einer Pressemitt­eilung im schönsten Retailjarg­on die Rede ist. Kein Zweifel – für das Londoner Westend und eine seiner führenden Adressen wird 2022 ein aufregende­s Jahr werden.

 ?? FOTO: GLYN KIRK/AFP ?? Die Tiroler Investment Holding Signa und der thailändis­che Einzelhand­elskonzern Central Group übernehmen das weltberühm­te Londoner Edelkaufha­us Selfridges in der Oxford Street. Ein neuer Mix aus Büros, Einzelhand­el, Restaurant­s und Fitnessstu­dios soll das Haus wieder auf Kurs bringen.
FOTO: GLYN KIRK/AFP Die Tiroler Investment Holding Signa und der thailändis­che Einzelhand­elskonzern Central Group übernehmen das weltberühm­te Londoner Edelkaufha­us Selfridges in der Oxford Street. Ein neuer Mix aus Büros, Einzelhand­el, Restaurant­s und Fitnessstu­dios soll das Haus wieder auf Kurs bringen.
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FOTO: N. HALLE'N/AFP Schlangest­ehen in Zeiten von Corona bei Selfridges in London.

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