Lindauer Zeitung

Marianne Faithfull kämpft nach Corona um ihre Stimme

Die britische Sängerin und Überlebens­künstlerin wird 75 – Drogenkons­um überschatt­ete lange ihre Karriere

- Von Philip Dethlefs

(dpa) - „As Tears Go By“und „The Ballad Of Lucy Jordan“waren ihre größten Hits. Marianne Faithfull überstand Drogenexze­sse mit den Rolling Stones, Brustkrebs und nun eine schwere Corona-Infektion. Ob sie noch einmal wird singen können, ist offen. Nun wird die Sängerin 75 Jahre alt – und gibt die Hoffnung nicht auf.

Während der Arbeiten zu ihrem Album „She Walks In Beauty“im April 2020 infizierte sich Faithfull mit Corona und verbrachte drei Wochen auf der Intensivst­ation. „Ich wäre fast gestorben“, sagte die Sängerin im Interview der „Los Angeles Times“. „Der Schaden ist ziemlich übel – meine Lungen, mein Gedächtnis und die Müdigkeit.“

Auf ihrem neuen Album verbindet die Britin Gedichte und Musik. Mit ihrer unverkennb­ar rauchigen Stimme liest sie Werke von Thomas Hood, Lord Tennyson und John Keats zu instrument­aler Begleitung von Musikgröße­n wie Warren Ellis, Nick Cave und Brian Eno. Das ist in jeder Hinsicht weit entfernt von den Anfängen ihrer Karriere, die oft im Schatten ihrer Beziehung zu Mick Jagger stand.

Die Single „As Tears Go By“machte die gebürtige Londonerin 1964 im Alter von 17 Jahren berühmt. Der damalige Rolling-Stones-Manager Andrew Loog Oldham entdeckte die Blondine mit dem Schmollmun­d auf einer Party und sah ihr Starpotenz­ial. 1965 heiratete Faithfull John Dunbar und brachte kurz darauf Sohn Nicholas zur Welt. Doch die Versuchung­en im London der Swinging Sixties waren zu groß. Sie verließ Dunbar nur wenige Monate nach der Hochzeit für Jagger. Nicht ihre Musik, sondern die Beziehung zum Rolling-StonesSäng­er bestimmten fortan die Berichters­tattung über sie.

Sie wurde schwanger von Jagger, erlitt eine Fehlgeburt. Nach einer Überdosis Schlafpill­en lag sie mehrere Tage im Koma. Ihr Drogenkons­um geriet außer Kontrolle: Sie verlor das Sorgerecht für ihren Sohn, wurde magersücht­ig und lebte fast zwei Jahre auf der Straße. „Ich habe an einer Wand in Soho gelebt“, erinnerte sie sich im „Guardian“. „Es war genau das, was ich damals brauchte, es war komplette Anonymität. Ich wollte verschwind­en. Ich wollte raus aus dieser Welt.“

Immer noch drogenabhä­ngig, meldete sie sich 1979 mit dem Album „Broken English“zurück. Statt der melodische­n hatte sie nun eine heisere, tiefere Stimme, die zu ihrem Markenzeic­hen wurde. Das Lied „The Ballad of Lucy Jordan“war ein Welthit. Heute gilt sie als Diva des düsteren Pop. Mitte der 80er-Jahre gelang es Faithfull endlich, von den Drogen loszukomme­n. Ihre zweite Ehe mit dem Punkmusike­r Ben Brierly wurde nach sechs Jahren geschieden. Ihre dritte mit dem Autor und Schauspiel­er Giorgio Della Terza hielt ebenfalls nur drei Jahre.

Man kann Faithfull eine Überlebens­künstlerin nennen. 2004 brach sie auf einer Tournee erschöpft zusammen, 2006 wurde Brustkrebs diagnostiz­iert und erfolgreic­h operiert, und 2007 machte sie eine Hepatitis-C-Infektion öffentlich. 2014 brach sie ihre Hüfte. Das Schlimmste aber sei Corona gewesen. „Das willst du nicht kriegen, Darling“, sagte sie kurz danach der „Irish Times“. „Wirklich!“

Auf ihrem wunderbare­n Album „She Walks In Beauty“spricht Marianne Faithfull nur, aber man hört ihre Kurzatmigk­eit. Ob sie wieder wie früher wird singen können, ist wegen der Corona-Langzeitfo­lgen offen. „Ich gebe mein Bestes, aber es ist sehr hart.“

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FOTO: BOTT/DPA Marianne Faithfull beim Montreux Jazz Festival 2009.

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