Marianne Faithfull kämpft nach Corona um ihre Stimme
Die britische Sängerin und Überlebenskünstlerin wird 75 – Drogenkonsum überschattete lange ihre Karriere
(dpa) - „As Tears Go By“und „The Ballad Of Lucy Jordan“waren ihre größten Hits. Marianne Faithfull überstand Drogenexzesse mit den Rolling Stones, Brustkrebs und nun eine schwere Corona-Infektion. Ob sie noch einmal wird singen können, ist offen. Nun wird die Sängerin 75 Jahre alt – und gibt die Hoffnung nicht auf.
Während der Arbeiten zu ihrem Album „She Walks In Beauty“im April 2020 infizierte sich Faithfull mit Corona und verbrachte drei Wochen auf der Intensivstation. „Ich wäre fast gestorben“, sagte die Sängerin im Interview der „Los Angeles Times“. „Der Schaden ist ziemlich übel – meine Lungen, mein Gedächtnis und die Müdigkeit.“
Auf ihrem neuen Album verbindet die Britin Gedichte und Musik. Mit ihrer unverkennbar rauchigen Stimme liest sie Werke von Thomas Hood, Lord Tennyson und John Keats zu instrumentaler Begleitung von Musikgrößen wie Warren Ellis, Nick Cave und Brian Eno. Das ist in jeder Hinsicht weit entfernt von den Anfängen ihrer Karriere, die oft im Schatten ihrer Beziehung zu Mick Jagger stand.
Die Single „As Tears Go By“machte die gebürtige Londonerin 1964 im Alter von 17 Jahren berühmt. Der damalige Rolling-Stones-Manager Andrew Loog Oldham entdeckte die Blondine mit dem Schmollmund auf einer Party und sah ihr Starpotenzial. 1965 heiratete Faithfull John Dunbar und brachte kurz darauf Sohn Nicholas zur Welt. Doch die Versuchungen im London der Swinging Sixties waren zu groß. Sie verließ Dunbar nur wenige Monate nach der Hochzeit für Jagger. Nicht ihre Musik, sondern die Beziehung zum Rolling-StonesSänger bestimmten fortan die Berichterstattung über sie.
Sie wurde schwanger von Jagger, erlitt eine Fehlgeburt. Nach einer Überdosis Schlafpillen lag sie mehrere Tage im Koma. Ihr Drogenkonsum geriet außer Kontrolle: Sie verlor das Sorgerecht für ihren Sohn, wurde magersüchtig und lebte fast zwei Jahre auf der Straße. „Ich habe an einer Wand in Soho gelebt“, erinnerte sie sich im „Guardian“. „Es war genau das, was ich damals brauchte, es war komplette Anonymität. Ich wollte verschwinden. Ich wollte raus aus dieser Welt.“
Immer noch drogenabhängig, meldete sie sich 1979 mit dem Album „Broken English“zurück. Statt der melodischen hatte sie nun eine heisere, tiefere Stimme, die zu ihrem Markenzeichen wurde. Das Lied „The Ballad of Lucy Jordan“war ein Welthit. Heute gilt sie als Diva des düsteren Pop. Mitte der 80er-Jahre gelang es Faithfull endlich, von den Drogen loszukommen. Ihre zweite Ehe mit dem Punkmusiker Ben Brierly wurde nach sechs Jahren geschieden. Ihre dritte mit dem Autor und Schauspieler Giorgio Della Terza hielt ebenfalls nur drei Jahre.
Man kann Faithfull eine Überlebenskünstlerin nennen. 2004 brach sie auf einer Tournee erschöpft zusammen, 2006 wurde Brustkrebs diagnostiziert und erfolgreich operiert, und 2007 machte sie eine Hepatitis-C-Infektion öffentlich. 2014 brach sie ihre Hüfte. Das Schlimmste aber sei Corona gewesen. „Das willst du nicht kriegen, Darling“, sagte sie kurz danach der „Irish Times“. „Wirklich!“
Auf ihrem wunderbaren Album „She Walks In Beauty“spricht Marianne Faithfull nur, aber man hört ihre Kurzatmigkeit. Ob sie wieder wie früher wird singen können, ist wegen der Corona-Langzeitfolgen offen. „Ich gebe mein Bestes, aber es ist sehr hart.“