„Ich verstehe das Unverständnis der Bevölkerung“
Der Ravensburger Polizeipräsident Stürmer räumt ein, dass die Polizei im Umgang mit unangemeldeten Demonstrationen an ihre Grenzen stößt – Gewalt lehnt er ab
- Der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer kann den Unmut in der Bevölkerung angesichts unangemeldeter Demonstrationen wie am vergangenen Montag in Ravensburg nachvollziehen. Die Teilnehmer ignorieren nach Stürmers Beobachtungen weitgehend den Infektionsschutz: „Sie halten sich nicht an das, was im Moment Gebot der Stunde ist. Und deshalb haben wir unsere Kräfte hochgefahren.“Er warnt aber vor dem Einsatz von Schlagstöcken, Tränengas und Wasserwerfern. Die Polizei müsse vielmehr nach Wegen suchen, wieder besser Herr der Lage zu werden.
Wie ist das Zusammenspiel zwischen den Behörden, wenn klar wird, dass sich zum wiederholten Male unerlaubte und unangemeldete Demonstrationen anbahnen?
Wir haben flächendeckend am vergangenen Montag knapp 200 Veranstaltungen in ganz Baden-Württemberg gehabt. Man muss einfach unterscheiden: Wir haben viele ordentliche kleinere Veranstaltungen, die leider oft nicht angemeldet werden. Dort verhalten sich die Leute jedenfalls oft einigermaßen ordnungsgemäß, was Abstände und Masken angeht. Wir registrieren aktuell aber drei, vier Hotspots im Land.
Der Bürger will die Polizei sehen, die für Recht und Ordnung sorgt und dafür auch bezahlt wird.
Das kann ich verstehen. Jetzt sage ich: Wir agieren im Bereich des Polizeipräsidiums mit einer begrenzten Zahl von Polizeibeamten auf 3500 Quadratkilometern. Wir können nicht überall gleichzeitig sein, wer alles schützen will, schützt nichts.
Und warum eskalierte die Lage in Ravensburg am vergangenen Montag?
Ravensburg würde ich als deutlichen Hotspot bezeichnen. Wir sind in dieser Stadt, was die Teilnehmerzahl und das Verhalten angeht, im Land sehr weit vorne. Und das nicht zum ersten Mal. Wir zählen relativ viele Teilnehmer und registrieren speziell in Ravensburg einfach ein völliges Ignorieren der Regeln. Und das mehrfach.
Wieso war die Polizei überrascht?
Waren wir nicht. Wir haben auf die Entwicklung reagiert. Am Montag vor Weihnachten, 20. Dezember, war unsere Strategie, den Marienplatz zu besetzen. Es war klar: Diese Veranstaltung durfte nicht mehr so wie in der Woche zuvor stattfinden. Wir waren in der Vorweihnachtszeit, die Leute erledigten ihre Einkäufe, die Stadt war relativ voll. Wir mussten davon ausgehen, dass die Demonstrationsteilnehmer überwiegend nicht geimpft waren. Von ihnen ging eine größere Infektionsgefahr aus. Deshalb war es unser Bestreben, sie möglichst aus der Kernstadt herauszuhalten. Und das ist gelungen.
Warum greifen Polizisten, die eine unangemeldete Demonstration sehen und begleiten, nicht konsequent ein und lösen diese auf?
Es sind Antikonfliktteams unterwegs. Dieser Ansatz hat in der Vergangenheit noch relativ gut geklappt. Diese Teams tragen gelbe Westen mit der Aufschrift „Antikonfliktteam“. Wir versuchen den Konfliktdialog. Das sind besonders ge
Der Ravensburger Polizeipräsident Uwe Stürmer war Einsatzleiter der Polizei bei der nicht angemeldeten Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen am Montag in Ravensburg. Zufrieden ist er nicht. schulte Kolleginnen und Kollegen, die auf die Leute zugehen, ihnen Maßnahmen erklären, versuchen, mit Einsicht eine Verhaltensänderung oder Transparenz des polizeilichen Handelns zu vermitteln. Es klappt eigentlich oft ganz gut, auch bei den letzten Malen hat dies noch einigermaßen geklappt. Die sind aber an den beiden letzten Montagen zurückgekommen: „Wir erreichen die Leute nicht mehr.“
Können Sie nachvollziehen, dass Demonstrationen wie in Ravensburg, Ulm oder Tuttlingen ein Schlag ins Gesicht für alle sind, die sich in der Pandemie an Regeln halten?
Ich verstehe das Unverständnis der Bevölkerung. Der Bürger sagt: „Wir halten uns an die Regeln, wir sind verantwortungsvoll, und die Demonstranten können machen, was sie wollen, und der Staat guckt auch noch zu.“Es entgeht mir nicht, dass es so eine Grundhaltung gibt. Jetzt stelle ich aber dagegen auch klar: Wir können nicht an 200 Stellen im Land gleichzeitig sein. Wir müssen, auch vonseiten des Landes aus, polizeiliche Schwerpunkte setzen. Und das tun wir auch. ●
Der Unmut in der Bevölkerung ist groß ... ... und das verstehe ich sehr gut. Ich warne aber davor, jetzt aus bloßer Unzufriedenheit und aus bloßem Unmut den Teilnehmerkreis, der bis jetzt einfach nur seine Meinung äußern will, das leider nicht anmeldet, mit dem Schlagstock von der Straße zu treiben. Das bringt uns, glaube ich, noch eine weitere Emotionalisierung. Denjenigen, die die brutale Härte des Rechtsstaats fordern, sage ich auch, dass wir am Ende die Notaufnahmen mit Verletzten aus solchen Auseinandersetzungen füllen. Richtig ist aber, dass wir nach Wegen suchen müssen, wieder besser Herr der Lage zu werden.
Also bleibt es dabei: kein schärferes Vorgehen?
Sollen wir Tränengas und Wasserwerfer einsetzen? Mir sagen Menschen durchaus: Spritzt sie nass! Aber es sind teilweise Kinder dabei, was aus meiner Sicht die Verantwortungslosigkeit zeigt. Wir haben es im Moment mit einem kleinen Kern von verantwortungslosen Menschen zu tun. Mir sagt eine Frau: Ich bin jetzt schon krank, ich will mich nicht impfen lassen. Das rechtfertigt doch aber nicht, sich ungeimpft mit 1000 Menschen zu treffen. Man muss das ächten, darf aber nicht alle über einen Kamm scheren.
Aber dass das Vertrauen in die Durchsetzungskraft des Staates schwindet, können Sie nachvollziehen?
Die Bilanz wird am Ende gezogen. Wir haben viele Teilnehmer fotografiert. Wir werden alles daransetzen, den Personenkreis zu identifizieren. Und es werden immer mehr Leute von uns unangenehme Post bekommen. Es stimmt: Wir schaffen es im Moment nicht, im gewünschten Umfang das Recht auf der Straße durchzusetzen. Aber am Ende müssen Verstöße sanktioniert werden. Denn der Bürger muss eins wissen: Wenn er sich nicht ans Recht hält, geht er ein Sanktionsrisiko ein. Darauf legen wir im Moment den Schwerpunkt, weil wir mit der Lagebereinigung faktisch momentan an Grenzen stoßen.