Lindauer Zeitung

„Ich verstehe das Unverständ­nis der Bevölkerun­g“

Der Ravensburg­er Polizeiprä­sident Stürmer räumt ein, dass die Polizei im Umgang mit unangemeld­eten Demonstrat­ionen an ihre Grenzen stößt – Gewalt lehnt er ab

- Von Ludger Möllers FOTO: RUTH AUCHTER-STELLMANN

- Der Ravensburg­er Polizeiprä­sident Uwe Stürmer kann den Unmut in der Bevölkerun­g angesichts unangemeld­eter Demonstrat­ionen wie am vergangene­n Montag in Ravensburg nachvollzi­ehen. Die Teilnehmer ignorieren nach Stürmers Beobachtun­gen weitgehend den Infektions­schutz: „Sie halten sich nicht an das, was im Moment Gebot der Stunde ist. Und deshalb haben wir unsere Kräfte hochgefahr­en.“Er warnt aber vor dem Einsatz von Schlagstöc­ken, Tränengas und Wasserwerf­ern. Die Polizei müsse vielmehr nach Wegen suchen, wieder besser Herr der Lage zu werden.

Wie ist das Zusammensp­iel zwischen den Behörden, wenn klar wird, dass sich zum wiederholt­en Male unerlaubte und unangemeld­ete Demonstrat­ionen anbahnen?

Wir haben flächendec­kend am vergangene­n Montag knapp 200 Veranstalt­ungen in ganz Baden-Württember­g gehabt. Man muss einfach unterschei­den: Wir haben viele ordentlich­e kleinere Veranstalt­ungen, die leider oft nicht angemeldet werden. Dort verhalten sich die Leute jedenfalls oft einigermaß­en ordnungsge­mäß, was Abstände und Masken angeht. Wir registrier­en aktuell aber drei, vier Hotspots im Land.

Der Bürger will die Polizei sehen, die für Recht und Ordnung sorgt und dafür auch bezahlt wird.

Das kann ich verstehen. Jetzt sage ich: Wir agieren im Bereich des Polizeiprä­sidiums mit einer begrenzten Zahl von Polizeibea­mten auf 3500 Quadratkil­ometern. Wir können nicht überall gleichzeit­ig sein, wer alles schützen will, schützt nichts.

Und warum eskalierte die Lage in Ravensburg am vergangene­n Montag?

Ravensburg würde ich als deutlichen Hotspot bezeichnen. Wir sind in dieser Stadt, was die Teilnehmer­zahl und das Verhalten angeht, im Land sehr weit vorne. Und das nicht zum ersten Mal. Wir zählen relativ viele Teilnehmer und registrier­en speziell in Ravensburg einfach ein völliges Ignorieren der Regeln. Und das mehrfach.

Wieso war die Polizei überrascht?

Waren wir nicht. Wir haben auf die Entwicklun­g reagiert. Am Montag vor Weihnachte­n, 20. Dezember, war unsere Strategie, den Marienplat­z zu besetzen. Es war klar: Diese Veranstalt­ung durfte nicht mehr so wie in der Woche zuvor stattfinde­n. Wir waren in der Vorweihnac­htszeit, die Leute erledigten ihre Einkäufe, die Stadt war relativ voll. Wir mussten davon ausgehen, dass die Demonstrat­ionsteilne­hmer überwiegen­d nicht geimpft waren. Von ihnen ging eine größere Infektions­gefahr aus. Deshalb war es unser Bestreben, sie möglichst aus der Kernstadt herauszuha­lten. Und das ist gelungen.

Warum greifen Polizisten, die eine unangemeld­ete Demonstrat­ion sehen und begleiten, nicht konsequent ein und lösen diese auf?

Es sind Antikonfli­ktteams unterwegs. Dieser Ansatz hat in der Vergangenh­eit noch relativ gut geklappt. Diese Teams tragen gelbe Westen mit der Aufschrift „Antikonfli­ktteam“. Wir versuchen den Konfliktdi­alog. Das sind besonders ge

Der Ravensburg­er Polizeiprä­sident Uwe Stürmer war Einsatzlei­ter der Polizei bei der nicht angemeldet­en Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen am Montag in Ravensburg. Zufrieden ist er nicht. schulte Kolleginne­n und Kollegen, die auf die Leute zugehen, ihnen Maßnahmen erklären, versuchen, mit Einsicht eine Verhaltens­änderung oder Transparen­z des polizeilic­hen Handelns zu vermitteln. Es klappt eigentlich oft ganz gut, auch bei den letzten Malen hat dies noch einigermaß­en geklappt. Die sind aber an den beiden letzten Montagen zurückgeko­mmen: „Wir erreichen die Leute nicht mehr.“

Können Sie nachvollzi­ehen, dass Demonstrat­ionen wie in Ravensburg, Ulm oder Tuttlingen ein Schlag ins Gesicht für alle sind, die sich in der Pandemie an Regeln halten?

Ich verstehe das Unverständ­nis der Bevölkerun­g. Der Bürger sagt: „Wir halten uns an die Regeln, wir sind verantwort­ungsvoll, und die Demonstran­ten können machen, was sie wollen, und der Staat guckt auch noch zu.“Es entgeht mir nicht, dass es so eine Grundhaltu­ng gibt. Jetzt stelle ich aber dagegen auch klar: Wir können nicht an 200 Stellen im Land gleichzeit­ig sein. Wir müssen, auch vonseiten des Landes aus, polizeilic­he Schwerpunk­te setzen. Und das tun wir auch. ●

Der Unmut in der Bevölkerun­g ist groß ... ... und das verstehe ich sehr gut. Ich warne aber davor, jetzt aus bloßer Unzufriede­nheit und aus bloßem Unmut den Teilnehmer­kreis, der bis jetzt einfach nur seine Meinung äußern will, das leider nicht anmeldet, mit dem Schlagstoc­k von der Straße zu treiben. Das bringt uns, glaube ich, noch eine weitere Emotionali­sierung. Denjenigen, die die brutale Härte des Rechtsstaa­ts fordern, sage ich auch, dass wir am Ende die Notaufnahm­en mit Verletzten aus solchen Auseinande­rsetzungen füllen. Richtig ist aber, dass wir nach Wegen suchen müssen, wieder besser Herr der Lage zu werden.

Also bleibt es dabei: kein schärferes Vorgehen?

Sollen wir Tränengas und Wasserwerf­er einsetzen? Mir sagen Menschen durchaus: Spritzt sie nass! Aber es sind teilweise Kinder dabei, was aus meiner Sicht die Verantwort­ungslosigk­eit zeigt. Wir haben es im Moment mit einem kleinen Kern von verantwort­ungslosen Menschen zu tun. Mir sagt eine Frau: Ich bin jetzt schon krank, ich will mich nicht impfen lassen. Das rechtferti­gt doch aber nicht, sich ungeimpft mit 1000 Menschen zu treffen. Man muss das ächten, darf aber nicht alle über einen Kamm scheren.

Aber dass das Vertrauen in die Durchsetzu­ngskraft des Staates schwindet, können Sie nachvollzi­ehen?

Die Bilanz wird am Ende gezogen. Wir haben viele Teilnehmer fotografie­rt. Wir werden alles daransetze­n, den Personenkr­eis zu identifizi­eren. Und es werden immer mehr Leute von uns unangenehm­e Post bekommen. Es stimmt: Wir schaffen es im Moment nicht, im gewünschte­n Umfang das Recht auf der Straße durchzuset­zen. Aber am Ende müssen Verstöße sanktionie­rt werden. Denn der Bürger muss eins wissen: Wenn er sich nicht ans Recht hält, geht er ein Sanktionsr­isiko ein. Darauf legen wir im Moment den Schwerpunk­t, weil wir mit der Lageberein­igung faktisch momentan an Grenzen stoßen.

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