Ein schmerzhafter Abschied „Ich versuche immer, nach vorne zu schauen, und habe den Blick stets geweitet.“
Weingartens Oberbürgermeister tritt nach einem Unfall aus gesundheitlichen Gründen zurück. Trotzdem bleibt er optimistisch.
- Der Tag, der das Leben des damals 54-jährigen Mannes für immer verändert, ist der
14. Dezember 2018. Nur knapp überlebt Weingartens Oberbürgermeister Markus Ewald einen schweren Verkehrsunfall, ist seitdem querschnittsgelähmt und an den Rollstuhl gebunden. Trotzdem kehrte er wieder ins Rathaus zurück. Etwas mehr als drei Jahre nach dem Unfall, Ende Januar 2022, wird er nun sein Amt doch niederlegen. Sein Körper hat diese Entscheidung für ihn getroffen. Das Leben im Rollstuhl lässt die permanente Belastung nicht mehr zu. Die nächste Etappe im Leben eines Mannes steht an, der nie aufgegeben hat – trotz Hindernissen und Schicksalsschlägen.
Allen Anfang nimmt der Weg des Markus Ewald in VillingenSchwenningen. Hier wird er am
20. Juni 1964 geboren, lebt die ersten fünf Jahre seines Lebens in Tuttlingen. Aus beruflichen Gründen zieht die Familie 1969 nach Bad Urach. Dort verlebt der junge Markus mit seinen beiden Brüdern eine schöne Kindheit, spielt viel Tennis, erkundet die Gegend und macht 1983 sein Abitur.
Eigentlich will er danach ins aufregende Berlin, doch der Studiengang „Europäische Betriebswirtschaft“an der Fachhochschule Reutlingen mit vielen Auslandsaufenthalten ist noch reizvoller. Nach Wehrdienst und dem Studium in Reutlingen und Frankreich steigt der 23-Jährige ins Berufsleben ein, arbeitet zweieinhalb Jahre für eine Unternehmensberatung in Paris.
Hier merkt der Betriebswirt das erste Mal, dass er lieber gestalten möchte, statt nur zu beraten. „Ich habe immer gerne die Welt bereist, und wo geht dies besser als mit der Lufthansa“, sagt Ewald. So wechselt er 1990 zur Lufthansa nach Frankfurt am Main. Er absolviert ein Trainee-Programm, an dem auch einige der heutigen Vorstände des Großkonzerns teilnehmen. Mit einigen ist Ewald noch heute befreundet.
Doch die großen weltpolitischen Ereignisse beeinflussen seinen Lebensweg. Die Tourismusbranche, für die er bei der Lufthansa arbeitet, bekommt durch den Zweiten Golfkrieg erhebliche Probleme. Parallel sucht die Treuhandanstalt nach der Wiedervereinigung Deutschlands händeringend nach Mitarbeitern. „Es ging immer voran. Es hat sich jedesmal eine neue Tür aufgetan“, sagt Ewald über seine beruflichen Stationen.
Da er jung und ledig ist, zieht er Anfang der 1990er-Jahre nach Berlin und begleitet ostdeutsche Firmen. „Das war eine herausfordernde Zeit. Unsere Arbeit war wirklich sinnstiftend und wir versuchten, so vielen Menschen wie möglich zu helfen und Firmen zu erhalten.“Die Kritik an der Privatisierungspolitik der Treuhand teilt er rückblickend nur bedingt, schließlich habe es keine andere Alternative gegeben.
Privat wird diese Zeit für Markus Ewald eine ganz besondere. Er besucht einen Freund in Trier. Dort lernt er 1995 seinen späteren Ehemann Ralf Müller kennen. Er trifft ihn, als er seinen Bekannten zu einer Chorprobe begleitet. „Er saß gegenüber im Tenor“, erinnert er sich. Erst wenige Jahre zuvor hatte Ewald gespürt, dass er Männer liebt. „Mit 27 Jahren hatte ich zum ersten Mal die Idee, dass das sein könnte.“Bis dahin hatte er eine Beziehung mit einer Frau geführt, war schon mit ihr verlobt.
Während sich der private Lebensweg damit immer klarer abzeichnet, geht es auch beruflich voran. Der Draht zur Lufthansa ist während der Zeit bei der Treuhand nicht abgerissen. Also kehrt Markus Ewald zu dem Unternehmen zurück und arbeitet in den folgenden Jahren erst als Berater, später für die Lufthansa-Tochter ABB. Dabei entwickelt er nicht nur TourismusStrategien, sondern berät auch beim Bau des Athener Flughafens. „Ich
Noch drei Jahre lang war Markus Ewald nach seinem schweren Unfall im Amt. ●
Der Welfenabend fand 2021 für 200 Gäste im Weingartener Schlösslegarten statt, die einen negativen CoronaTest vorweisen konnten, gegen Corona geimpft oder genesen sind. Die Veranstaltung im Rahmen des Welfenfestes wurde aber auch im Internet übertragen. bin knapp zwei Jahre um die Welt geflogen. Ich konnte aufgrund meines Berufes reisen, die Welt entdecken und mit Menschen anderer Kulturen zusammenarbeiten“, erinnert er sich.
Später reift der Gedanke, sich mit Kollegen selbstständig zu machen. Doch ein Klassentreffen in der alten Heimat im Jahr 2004 gibt einen völlig unerwarteten, aber entscheidenden Impuls. In bierseliger Runde fragt eine ehemalige Mitschülerin Ewald, ob er nicht für das Amt des Bürgermeisters kandidieren wolle. Der Amtsinhaber in Bad Urach sei wohl recht unpopulär, da die Schließung des für die Stadt aus touristischen Gründen so wichtigen Thermalbads drohe.
Was zunächst als eine Art Schnapsidee geboren wird, setzt sich bei dem 39-Jährigen fest. Zwei Wochen später meldet sich die Klassenkameradin erneut und unterstreicht ihr Anliegen. Auch die Familie und sein Lebensgefährte bestärken ihn. Schließlich habe er einen Heimvorteil und das Amt des Bürgermeisters sei letztlich ein ständiges „Change Management“– also jene Organisation des Wandels, die Ewalds Berufsleben bis dahin prägte.
Da Ewald aber noch nicht komplett überzeugt ist, nimmt er an einem Vorbereitungskurs für mögliche Bürgermeister in Kehl teil. Dort bekommt er zwar positives Feedback, allerdings bezweifeln die Coaches, dass Bad Urach schon bereit für einen homosexuellen Bürgermeister sei. „Da habe ich gedacht: ,So nicht.‘ Es war für mich inakzeptabel, dass ich nicht gewählt werde, nur weil ich schwul bin. Das war ein zusätzlicher Ansporn“, sagt er. „Was hatte ich zu verlieren? Finanziell gesehen einen Kleinwagen und arbeitstechnisch meinen Sommerurlaub.“Denn als parteiloser Kandidat finanziert er den Wahlkampf komplett aus der eigenen Tasche.
Also bewirbt sich Ewald und triumphiert bereits im ersten Wahlgang mit 56,8 Prozent der Stimmen. Dabei setzt er sich nicht nur gegen den Amtsinhaber, sondern auch gegen vier weitere Bewerber durch. „So etwas gab es damals eigentlich nur in Berlin“, meint er.
Allerdings können sich einige Uracher in den folgenden Jahren tatsächlich nur schwer damit arrangieren, einen homosexuellen Bürgermeister zu haben. Auch im Gemeinderat hat es der parteilose Ewald wegen CDU und SPD nicht leicht, die die Stimmenmehrheit haben, Zukunftsprojekte sind nur sehr schwer zu realisieren. Daher führt ihn sein Weg 2008 nach Weingarten, wo seine Eltern bereits zeitweise gewohnt haben. Dort tritt der beliebte Amtsinhaber Gerd Gerber etwas überraschend nicht mehr an. Wenige Tage vor seinem 44. Geburtstag wird Ewald mit 54,9 Prozent im ersten Wahlgang zum neuen Oberbürgermeister gewählt.
Wie schon in Bad Urach, wo es Ewald in seinen ersten Monaten im Amt gelang, das Thermalbad zu retten, warten auch in Weingarten große Herausforderungen, allen voran das städtische Krankenhaus. Die Finanzmisere des Krankenhauses 14 Nothelfer wird den Betriebswirt seine gesamten 13 Jahre im Amt fordern und belasten. Mehrfach wird gegen ihn selbst als Aufsichtsratsvorsitzenden der Klinik-GmbH wegen des Verdachts der Untreue ermittelt. Mehr als ein Anfangsverdacht bleibt juristisch aber nicht hängen. Im März 2016 werden die Ermittlungen endgültig eingestellt.
Daher kann Ewald auch ganz befreit in den bevorstehenden Wahlkampf gehen, der im Juni 2016 letztlich nit seiner Wiederwahl – mit 73,5 Prozent der Stimmen – endet. Während das Stadtoberhaupt seine Schwerpunkte inhaltlich vor allem auf die Themen Stadtentwicklung, Bildung, Integration und Bürgerbeteiligung legt und dabei stets mit der schlechten finanziellen
Lage Weingartens zu kämpfen hat, gibt es auch privat Höhen und Tiefen.
Im engsten Familienkreis heiratet Ewald 2010 seinen Partner Ralf Müller. Das Glück scheint perfekt. Doch im Mai 2014 sterben Markus Ewalds Eltern, der ehemalige Weingartener Baudezernent Falko und seine Ehefrau Irmgard, bei einem Autounfall auf der Bundesstraße B 30. Sie wollen ihren Sohn besuchen, der am gedeckten Tisch auf sie wartet, bis ihn die erschütternde Nachricht erreicht. „Das hat mein Leben massiv beeinträchtigt. Sie standen noch mitten im Leben und hatten eine so positive Lebenseinstellung“, sagt Ewald.
Trotz dieses schweren Schicksalsschlages lässt sich der notorische Optimist, wie er sich selbst bezeichnet, nicht unterkriegen. „Ich versuche immer nach vorne zu schauen und habe den Blick stets geweitet“, sagt der heute 57-Jährige. „Steh auf und geh weiter. Das hat mein Leben ausgemacht. Man hat immer die Wahl.“
Jedoch wird sein Weg in den kommenden Jahren nicht leichter. Gerade die Herausforderungen durch die Ankunft vieler Flüchtlinge im Jahr 2015, die wachsenden Anforderungen an Kommunen bei der Kinderbetreuung oder die klamme Stadtkasse verlangen dem OB viel ab. Gleichwohl betont er: „Das Amt eines Bürgermeisters ist besonders sinnstiftend. Man sieht, was bleibt.“
Am 14. Dezember 2018 verändert sich für Ewald in einem Moment alles. Weingartens Oberbürgermeister Markus Ewald wird bei einem schweren Verkehrsunfall auf der
Bundesstraße B 30 im Landkreis Biberach lebensgefährlich verletzt. Er muss von der Feuerwehr aus dem demolierten Fahrzeug geschnitten werden.
Nach zahlreichen Notoperationen im Bundeswehrkrankenhaus Ulm wird er ins künstliche Koma versetzt, schwebt wochenlang in Lebensgefahr. Erst knapp drei Wochen nach dem Unfall erwacht Markus Ewald am 2. Januar aus dem Koma und befindet sich außer Lebensgefahr. Doch trotz der erlösenden Nachricht kristallisiert sich in den Folgemonaten immer stärker heraus, dass der weitere
Weg sehr beschwerlich werden wird.
Mit großem Willen und dank der Unterstützung von Freunden, seinen beiden Brüdern und seinem Ehemann kommt der mittlerweile 54-Jährige wieder zu Kräften, kämpft sich durch die Reha. Und doch kehrt irgendwann die bittere Erkenntnis ein, dass er wohl nie wieder laufen können wird. Er ist querschnittsgelähmt und sitzt fortan im Rollstuhl. „Es schränkt mich einfach ein. Man kann zum Beispiel nicht den Strand entlanggehen, den Berg hochklettern oder Skifahren. Vieles braucht mehr Zeit und das Wort ,schnell‘ existiert nicht im Vokabular eines Rollstuhlfahrers“, sagt er.
Gerade die neue und für ihn so ungewohnte Langsamkeit, die Schmerzen bei zu langem Sitzen und anderen Menschen physisch nicht mehr auf Augenhöhe zu begegnen, sind für Ewald nur schwer zu akzeptieren. „Dieser Blick von unten nach oben verändert etwas. Man fühlt sich beinahe an seine Kindheit erinnert. Das ist auf die Dauer anstrengend und schwächt einen“, gibt er zu.
Doch mittlerweile ist er dank zweier Handfahrräder und einem umgebauten Auto, das ihm das eigenständige Fahren ermöglicht, wieder deutlich mobiler. Auch ein höhenverstellbarer Rollstuhl ermöglichte es ihm, nach seiner Rückkehr ins Amt im November 2019 bei Veranstaltungen wieder mit seinen stehenden Gesprächspartnern auf Augenhöhe zu kommunizieren.
„Die Welt wird wieder weiter“, sagt er. Allerdings musste Ewald in den vergangenen zwei Jahren auch einsehen, dass seine Kraft nicht mehr für das Pensum eines Oberbürgermeisters ausreicht. Auf dringendes Anraten seiner Ärzte entscheidet er sich im September, einen neuen Weg einzuschlagen. Schweren Herzens verkündet er seinen Rücktritt, der Ende Januar 2022 ansteht. Danach herrscht erst einmal nur Leere. Einen Plan für die Zukunft gibt es noch nicht, außer dass er und sein Ehemann in Weingarten bleiben werden.
Langjährige Wegbegleiter zollen Ewald derweil Respekt. „Er ist ein hervorragender OB für Weingarten“, sagt Ravensburgs Amtskollege Daniel Rapp. „Auf der anderen Seite verstehe ich die Entscheidung sehr gut. Es gibt Dinge im Leben, die wichtiger sind als der Beruf.“Auch der langjährige Weingartener CDUStadtrat Axel Müller, derzeit Bundestagsabgeordneter, unterstreicht: „Viele haben nicht die Kraft, auf die eigenen Signale zu hören. Das war sicherlich die richtige Entscheidung von Markus Ewald.“
Dennoch hat der Oberbürgermeister mit seiner Entscheidung zu kämpfen. Nach Wochen der Leere richtet sich der Blick nun wieder voraus. So wird wohl endlich ein wenig Zeit für Hobbys bleiben, die bislang viel zu kurz kamen, wie beispielsweise das Singen im Gospelchor. Ohnehin blickt der 57Jährige mittlerweile deutlich gelassener in die Zukunft, auf den noch so unbekannten Weg. Dem sieht er weiter als Optimist entgegen. „Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben“, sagt Ewald.
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Markus Ewald