Streit um 10H in Bayern nimmt Fahrt auf
Mindestabstandsregel für Windräder könnte von der Bundesregierung versenkt werden
(dpa) - Ist die umstrittene bayerische Mindestabstandsregel für Windräder bald Geschichte? Grüne und SPD in Bayern kämpfen in der Opposition seit Jahren gegen 10H – mit dem neuen Koalitionsvertrag der Bundesregierung könnten sie ihrem Ziel einen entscheidenden Schritt näher gekommen sein. Denn in diesem steht: „Für die Windenergie an Land sollen zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen werden.“Ein Passus, der in Bayern mit 10H unmöglich zu erfüllen sein dürfte. Zudem will die Bundesregierung das Baugesetzbuch anpassen – eine Klausel darin macht die bayerische Regelung überhaupt erst möglich.
Die 10H-Regelung bedeutet, dass der Abstand eines Windrads zu den nächsten Wohnhäusern mindestens das Zehnfache seiner Höhe (10H) betragen muss. Bei 200 Meter hohen Anlagen also zwei Kilometer. Eine Entfernung, die im zersiedelten Bayern schwer zu erreichen ist. Zwar können Gemeinden von der Regelung abweichen, allerdings nur mit einem eindeutigen Beschluss des Gemeinderats. Entsprechend kam der Ausbau der Windkraft im Freistaat fast vollkommen zum Erliegen. In den vergangenen drei Jahren wurden laut Daten der Fachagentur Windenergie weniger als zehn Anlagen pro Jahr in Betrieb genommen.
10H ist möglich mit einer sogenannten Länderöffnungsklausel. Der eigentlich zuständige Bund erlaubt den Ländern, bei der Windenergie mit einem entsprechenden Paragrafen im Baugesetzbuch eigene Regelungen zu treffen. Doch die neue aus SPD, Grünen und FDP bestehende Bundesregierung möchte den Ausbau der Windenergie an Land voranbringen und das Zwei-Prozent-Flächenziel im Baugesetzbuch näher ausgestalten. Für den bayerischen Grünen-Co-Vorsitzenden Thomas von Sarnowski ist die Sache damit klar: „Die 10H-Regel ist Geschichte. Wir werden den Ausbau der Windenergie nach Jahren der Blockade endlich wieder ermöglichen, so steht es schwarz auf weiß im Ampel-Koalitionsvertrag.“Ihm zufolge will die Bundesregierung noch im ersten Halbjahr 2022 „gemeinsam mit Ländern und Kommunen alle notwendigen Maßnahmen anstoßen, um die Erneuerbaren schneller auszubauen und die dafür notwendigen Flächen zu organisieren“. Juristen gehen zumindest zum Teil davon aus, dass 10H durch den Bund gekippt werden könnte. Allerdings wohl nicht ganz so einfach. Die Länderöffnungsklausel von 2014, durch die die bayerische Sonderregelung möglich ist, wurde bereits durch eine neue Fassung ersetzt. Darin steht auch, dass die bereits geltenden Landesgesetze weiter gelten würden. Das bayerische Gesetz kann also eigentlich unbefristet weiterlaufen, es zu kippen ist aus Sicht des Bayerischen Gemeindetags „nicht mit einem Federstrich getan“. Baurechtsreferent Matthias Simon spricht von einem „komplexen Thema, bei dem kompetenzrechtliche und fachrechtliche Fragen vom Bund zu prüfen sind“. Der Gemeindetag hält die Grundidee der 10H-Regelung dabei für richtig. „Sie ist ein Beispiel gelebter kommunaler Selbstverwaltung“, sagt Simon. Denn Gemeinden könnten ja durchaus Ausnahmen von 10H festlegen und Windräder auch näher an bebautem Gebiet aufstellen. Die Entscheidungsgewalt liege also vor Ort. Der Jurist räumt allerdings ein, dass wenig gebaut wurde, seit es 10H im Freistaat gibt. Für den Fall, dass die 10HRegelung in Bayern gekippt werden würde, fordert der Gemeindetag angemessene Übergangsfristen, Simon spricht von etwa einem Jahr. Aus Sicht der SPD im Landtag gibt es neben der Abschaffung der Länderöffnungsklausel noch eine zweite Möglichkeit, um 10H loszuwerden: das zwei Prozent Flächenziel auch für die einzelnen Bundesländer verpflichtend zu machen. Dann müsse die Staatsregierung handeln. „Ohne Windräder können wir Menschen und Industrie in Bayern nicht den dringend benötigten klimaneutralen Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung stellen“, sagt der Fraktionsvorsitzende Florian von Brunn. „Die Blockade der CSU treibt die Strompreise nach oben und gefährdet Arbeitsplätze!“
Und die bayerische Regierung? Das CSU-geführte Bauministerium schreibt: Wenn es auf Bundesebene zu einer Gesetzesnovelle komme, „dann muss länderseits zunächst abgewartet werden, welche Möglichkeiten der Landesgesetzgebung danach überhaupt noch offen stehen“. Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler) ergänzt: „Wir brauchen auch die Windkraft, wenn wir beim Klimaschutz erfolgreich sein wollen.“Glauber und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hatten zuletzt für Windräder geworben. Im Mai hatte sich die Koalition noch gezofft, als Glauber 10H kippen wollte. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte die Norm bislang immer verteidigt. Im Sommer kündigte er aber an, Ausnahmen zulassen zu wollen – lediglich 1000 Meter Abstand zum Beispiel in Staatswäldern. Reichen tut das zumindest Grünen und SPD bei Weitem nicht – und als Teil der neuen Bundesregierung könnten sie hier am längeren Hebel sitzen.