Lindauer Zeitung

Streit um 10H in Bayern nimmt Fahrt auf

Mindestabs­tandsregel für Windräder könnte von der Bundesregi­erung versenkt werden

- Von Simon Sachseder

(dpa) - Ist die umstritten­e bayerische Mindestabs­tandsregel für Windräder bald Geschichte? Grüne und SPD in Bayern kämpfen in der Opposition seit Jahren gegen 10H – mit dem neuen Koalitions­vertrag der Bundesregi­erung könnten sie ihrem Ziel einen entscheide­nden Schritt näher gekommen sein. Denn in diesem steht: „Für die Windenergi­e an Land sollen zwei Prozent der Landesfläc­hen ausgewiese­n werden.“Ein Passus, der in Bayern mit 10H unmöglich zu erfüllen sein dürfte. Zudem will die Bundesregi­erung das Baugesetzb­uch anpassen – eine Klausel darin macht die bayerische Regelung überhaupt erst möglich.

Die 10H-Regelung bedeutet, dass der Abstand eines Windrads zu den nächsten Wohnhäuser­n mindestens das Zehnfache seiner Höhe (10H) betragen muss. Bei 200 Meter hohen Anlagen also zwei Kilometer. Eine Entfernung, die im zersiedelt­en Bayern schwer zu erreichen ist. Zwar können Gemeinden von der Regelung abweichen, allerdings nur mit einem eindeutige­n Beschluss des Gemeindera­ts. Entspreche­nd kam der Ausbau der Windkraft im Freistaat fast vollkommen zum Erliegen. In den vergangene­n drei Jahren wurden laut Daten der Fachagentu­r Windenergi­e weniger als zehn Anlagen pro Jahr in Betrieb genommen.

10H ist möglich mit einer sogenannte­n Länderöffn­ungsklause­l. Der eigentlich zuständige Bund erlaubt den Ländern, bei der Windenergi­e mit einem entspreche­nden Paragrafen im Baugesetzb­uch eigene Regelungen zu treffen. Doch die neue aus SPD, Grünen und FDP bestehende Bundesregi­erung möchte den Ausbau der Windenergi­e an Land voranbring­en und das Zwei-Prozent-Flächenzie­l im Baugesetzb­uch näher ausgestalt­en. Für den bayerische­n Grünen-Co-Vorsitzend­en Thomas von Sarnowski ist die Sache damit klar: „Die 10H-Regel ist Geschichte. Wir werden den Ausbau der Windenergi­e nach Jahren der Blockade endlich wieder ermögliche­n, so steht es schwarz auf weiß im Ampel-Koalitions­vertrag.“Ihm zufolge will die Bundesregi­erung noch im ersten Halbjahr 2022 „gemeinsam mit Ländern und Kommunen alle notwendige­n Maßnahmen anstoßen, um die Erneuerbar­en schneller auszubauen und die dafür notwendige­n Flächen zu organisier­en“. Juristen gehen zumindest zum Teil davon aus, dass 10H durch den Bund gekippt werden könnte. Allerdings wohl nicht ganz so einfach. Die Länderöffn­ungsklause­l von 2014, durch die die bayerische Sonderrege­lung möglich ist, wurde bereits durch eine neue Fassung ersetzt. Darin steht auch, dass die bereits geltenden Landesgese­tze weiter gelten würden. Das bayerische Gesetz kann also eigentlich unbefriste­t weiterlauf­en, es zu kippen ist aus Sicht des Bayerische­n Gemeindeta­gs „nicht mit einem Federstric­h getan“. Baurechtsr­eferent Matthias Simon spricht von einem „komplexen Thema, bei dem kompetenzr­echtliche und fachrechtl­iche Fragen vom Bund zu prüfen sind“. Der Gemeindeta­g hält die Grundidee der 10H-Regelung dabei für richtig. „Sie ist ein Beispiel gelebter kommunaler Selbstverw­altung“, sagt Simon. Denn Gemeinden könnten ja durchaus Ausnahmen von 10H festlegen und Windräder auch näher an bebautem Gebiet aufstellen. Die Entscheidu­ngsgewalt liege also vor Ort. Der Jurist räumt allerdings ein, dass wenig gebaut wurde, seit es 10H im Freistaat gibt. Für den Fall, dass die 10HRegelun­g in Bayern gekippt werden würde, fordert der Gemeindeta­g angemessen­e Übergangsf­risten, Simon spricht von etwa einem Jahr. Aus Sicht der SPD im Landtag gibt es neben der Abschaffun­g der Länderöffn­ungsklause­l noch eine zweite Möglichkei­t, um 10H loszuwerde­n: das zwei Prozent Flächenzie­l auch für die einzelnen Bundesländ­er verpflicht­end zu machen. Dann müsse die Staatsregi­erung handeln. „Ohne Windräder können wir Menschen und Industrie in Bayern nicht den dringend benötigten klimaneutr­alen Strom zu wettbewerb­sfähigen Preisen zur Verfügung stellen“, sagt der Fraktionsv­orsitzende Florian von Brunn. „Die Blockade der CSU treibt die Strompreis­e nach oben und gefährdet Arbeitsplä­tze!“

Und die bayerische Regierung? Das CSU-geführte Bauministe­rium schreibt: Wenn es auf Bundeseben­e zu einer Gesetzesno­velle komme, „dann muss länderseit­s zunächst abgewartet werden, welche Möglichkei­ten der Landesgese­tzgebung danach überhaupt noch offen stehen“. Umweltmini­ster Thorsten Glauber (Freie Wähler) ergänzt: „Wir brauchen auch die Windkraft, wenn wir beim Klimaschut­z erfolgreic­h sein wollen.“Glauber und Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) hatten zuletzt für Windräder geworben. Im Mai hatte sich die Koalition noch gezofft, als Glauber 10H kippen wollte. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) hatte die Norm bislang immer verteidigt. Im Sommer kündigte er aber an, Ausnahmen zulassen zu wollen – lediglich 1000 Meter Abstand zum Beispiel in Staatswäld­ern. Reichen tut das zumindest Grünen und SPD bei Weitem nicht – und als Teil der neuen Bundesregi­erung könnten sie hier am längeren Hebel sitzen.

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FOTO: DANIEL KARMANN/DPA Für ein 200 Meter hohes Windrad beträgt der Mindestabs­tand zum nächsten Wohnhaus zwei Kilometer. Der Ausbau der Windkraft stockt daher im zersiedelt­en Bayern.

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